?! Wie können Sie sich einen so gigantischen Aufwand überhaupt leisten, Herr Scotti?

?! Sie beobachten den Drogenhandel bereits seit fünf Jahren. Das hört sich nach einer enormen Recherche an.

Alessandro Scotti: Na ja, ich habe tatsächlich schon 2002 mit meinen Recherchen begonnen. Allein die Planung hat sechs Monate gedauert. Darin eingeschlossen ist auch die Suche nach ersten Kontakten. Die gesamte Arbeit habe ich mir außerdem in einzelne Puzzlestücke aufgeteilt. Alles beginnt natürlich mit den drei großen Produktionsgebieten: Süd-Amerika, Afghanistan und dem sogenannten Goldenen Dreieck im süd-östlichen Asien. Anschließend werfe ich einen Blick in die Vertriebsregionen und erst am Ende in die eigentlichen Märkte in der westlichen Welt. Während die Produktionsstätten aber von Anfang an bekannt waren, war die Suche nach den Vertriebsstrukturen hingegen eine große Herausforderung.

* War von Anfang an klar, dass Ihr Projekt fünf Jahre dauern würde?

* Eigentlich habe ich meine Recherche sogar bis 2008 angesetzt, also auf sechs Jahre. Und damit rechne ich auch noch immer. Gerade bin ich erst aus Afrika zurückgekommen. Das Projekt dauert also noch an.

* Sie arbeiten aber doch als freier Journalist. Wie können Sie sich denn so einen gigantischen Aufwand überhaupt leisten?

* Das Projekt kann ich nur am Leben halten, weil ich gleich mit einer ganzen Reihe an Partnern zusammenarbeite. Während „GEO“ die komplette Geschichte gleich in einer einzigen Ausgabe druckte, veröffentlichen meine beiden anderen Partner, „Rolling Stone“ in Italien und die Wochenendbeilage der spanischen Tageszeitung „ABC“, nur einzelne Regionen, das aber jedes halbe Jahr.

* Und diese drei Partner tragen eine sechsjährige Arbeit?

* Das Projekt ist so teuer, dass das immer noch nicht völlig reicht. Das reine Sammeln der Informationen kostet ja nicht so viel Zeit. Aber erst einmal einen Zugang in den einzelnen Regionen zu bekommen, um am Ende auch ein paar Fotos schießen zu können, ist ungeheuer aufwendig. Das kann man noch nicht einmal richtig planen. Um einen Zugang zu bekommen, muss man erst einmal verlässliche Netzwerke aufbauen. Das ist zwar der zeitaufwe ndigste Teil meiner Arbeit, aber natürlich auch der interessanteste.

* Warum haben Sie sich denn überhaupt auf dieses Thema gestürzt?

* Mich hat das ganz einfach fasziniert. Drogen sind nämlich ein enormer Wirtschaftsfaktor. Der Handel mit ihnen ist außerdem transnational und deswegen auch höchstgradig kulturell. Und ich war an diesem Netzwerk interessiert, das äußerst sensibel auf jeden Einfluss reagiert.

* Berichten die Medien eigentlich ordentlich über dieses Netzwerk?

* Na ja, eigentlich konzentrieren sie sich eher auf einzelne Regionen, in denen gerade etwas passiert. Das ist der natürliche Reflex der aktuellen Berichterstattung. Mir geht es um eine umfassendere Betrachtung, um die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Regionen. Der Handel mit Drogen ist längst ein internationales Geschäft, das die Kultur der betroffenen Regionen prägt.

* Wie schwer ist es, Abnehmer zu finden, die eine so aufwendige Recherche finanzieren?

* Keine Frage: Das ist sehr schwer. Ich werde beispielsweise niemals im Voraus bezahlt. Aber immerhin garantieren mir meine Partner eine Abnahme. Das hilft natürlich schon sehr. Und es ist überhaupt gut zu wissen, dass da draußen Redaktionen sind, die noch immer aufwendige Geschichten erzählen wollen. Aber um ehrlich zu sein: Ich bin eigentlich der vierte Partner meines eigenen Projekts. Denn zwischen den Recherchen für diese Geschichte mache ich viele kleine Jobs, mit denen ich meine eigentliche Arbeit querfinanzieren kann. Grundsätzlich ist es natürlich ein richtiges Privileg, überhaupt so lange an einer einzelnen Geschichte arbeiten zu können.

* Dann gibt es also keine Chance, so ein Projekt komplett mit dem Verkauf der Geschichten finanzieren zu können?

* Ich glaube schon, dass das möglich ist. Aber ich bin nicht wirklich der Typ, der gerne den Verkäufer spielt. Ich bin schon froh, die drei Partner gefunden zu haben, für die ich gerade arbeite. Ich habe ja noch nicht einmal versucht, mein Projekt auf dem englischen Markt zu verkaufen. Und der ist groß! Da gibt es also noch ein Potenzial, das ich angehen könnte.

* Sie könnten doch beispielsweise ein Buch veröffentlichen.

* Das tue ich auch: Ich berichte meine Beobachtungen an die Vereinten Nationen – in Präsentationen und einer eigenen Trilogie.

* Normalerweise schickt „GEO“ einen Reporter und einen Fotografen als Team auf die Reise. Sie haben beides gemacht. Warum?

* In dieser Recherche kann man schlecht vorhersehen, zu welchem Zeitpunkt es Sinn macht, einen Fotografen dazu zu bitten. Früher war ich auch nur ein schreibender Journalist. Aber gerade für diese Recherche zahlt es sich aus, dass ich irgendwann auch mit der Fotografie angefangen habe.

* Ihre Abnehmer stellen ohnehin unterschiedliche Anforderungen an Ihre Arbeit, oder?

* Mein Output ist natürlich sehr unterschiedlich. Zwar sind alle Partner an derselben Geschichte interessiert. Sie wollen sie aber aus anderen Blickwinkeln sehen. Die Natur eines Magazins wie „Rolling Stone“ ist ja auch eine ganz andere als die von „GEO“ oder einer Tageszeitung.

* Wenn man Ihre „GEO“-Geschichte liest, könnte man auf die Idee kommen, Sie würden sich bei Ihren Recherchen in den Regionen lieber auf die legale Seite, also Regierungsapparate und Ermittler, stützen als auf die Kriminellen.

* Natürlich ist die legale Seite die einfachere. Aber wenn Sie sich meine Fotos ansehen, stellen Sie fest, dass ich auch mit dem zweiten Zugang Erfolg habe.

* … dem gefährlicheren Weg, an die Informationen zu kommen.

* Natürlich! Und hier sehen Sie, was meine Arbeit eigentlich ausmacht: Ich könnte solche Netzwerke gar nicht aufbauen, wenn ich unter Zeitdruck stünde. Dann wäre das Risiko einfach viel zu groß. Für meine Arbeit brauche ich aber die Chance, mich auf Leute vor Ort verlassen zu können. Das kann selbst ein cleverer Taxifahrer sein, der die richtigen Kontakte hat.

* Leute, die in Ihnen keine Gefahr sehen?

* Das ist es! Denn wenn ich etwa Fotos in einem Labor schieße, in denen Drogen hergestellt werden, stehen alle unter Spannung. Die Leute müssen verstehen, dass sie in dieser Situation nicht in Gefahr sind. Dafür braucht es oft auch einen Vermittler, der einem vertraut. Und dafür ist vor allem eines nötig: Zeit.

Interview: Daniel Bouhs

Erschienen in Ausgabe 7/2007 in der Rubrik „Best of Henri-Nannen-Preis 2007“ auf Seite 60 bis 60. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.