Blasen und Phrasen

„Die Zukunft ist digital“

Hier haben wir diesmal vier Mode-Phrasen aus der wunderbaren Welt des sogenannten Web2.0, denn: „Die Zukunft ist digital.“ Diese Phrase taugt mittlerweile zum Motto oder Untertitel für Kongresse und Messen landauf landab, vorzugsweise für Medienschaffende. Wo im wirklichen Leben Auflagen bröckeln und Anzeigen-Umsätze stagnieren, muss man sich eben neue schöne Wachstumswiesen aussuchen, die man abgrasen kann. Und schon ist man dabei, an der Speerspitze der Web2.0-Welt. Dass die meisten Unternehmungen dort zwar nicht kapitalintensiv sind im Sinne von z.B. Druck-oder Personalkosten, aber auch eher nix reinbringen an Geld, das wird oft gerne übersehen und überhört. Es reicht zu rufen, „die Zukunft ist digital“, schon öffnen sich die Geldtöpfe der eLabs, Ventures und Incubators und kaufen jede Hinterhof-Internet-Klitsche auf, deren CEO nicht bei drei auf den Bäumen ist. Das gab’s zu Zeiten der New Economy alles schon mal, nur diesmal hat die Digital-Hysterie angeblich eine realistische Basis. Was oftmals nur heißt, dass es keine Dienstwagen gibt und die Buffets weniger üppig ausfallen.

„Community“

Wo wir gerade dabei sind: Wann haben Sie zuletzt eine Community gebuildet? Community Building ist ein neuer Trendsport. Kein Medienhaus kann es sich mehr leisten, nicht irgendwelche Communities aus dem Boden zu stampfen oder zu kaufen. Problem beim Selbermachen: Es bringt meistens nix, weil die Leute sich schwer bis gar nicht vorschreiben lassen, wo sie im Internet hinsurfen und wo sie sich anmelden. Das Problem beim Kaufen: Es bringt oft auch nix, weil die Leute schnell merken, wenn ihre lieb gewonnene Internet-Seite plötzlich nach den Regeln eines Konzerns tickt und dann eben anderswo hingehen. Wichtig ist ganz allein die Phrase „Community“ in Sitzungen zu penetrieren. Könner schaffen es, alles mögliche Altbackene zur Community umzudeuten. „Eigentlich ist unser guter alter Club eine Community par excellence“, könnten Sie sagen. Oder zu einem Haufen wahllos zusammengeklaubter Adressen: „Was wir hier haben, ist doch eine astreine Community.“ Und schon liegt man Ihnen als Guru der neuen Zeit zu Füßen! Dann noch schnell ein paar abgegriffene US-Sprüche wie „Money follows eyeballs“, etwas von Skalierbarkeit der Datenbankmodule und „Optimierung der RSS-Feeds“ murmeln und, wichtig, ganz schnell aus dem Staub machen, sobald es darum geht, wer die lustige Community denn künftig im Tagesgeschäft betreuen darf.

„Marken-Leuchttürme“

Medien sind ja, öhm, Marken. Ja, doch, irgendwie. Aber das reicht nicht. Im Medien-Business und anderswo müssen Sie eine Nummer größer denken und vor allem reden. „Marken-Leuchttürme“ müssen errichtet werden, die in Ihre Communities abstrahlen. Da klingelt es in den Ohren! So ein Marken-Leuchtturm mag sich in seiner greifbaren Ausprägung zwar recht mickrig ausnehmen, eine Kaffeetasse mit Firmenlogo beispielsweise oder minderwertig zusammengedübelte Billigst-Kulis. Das ist aber egal. Mit Ihren „Marken-Leuchttürmen“ machen Sie Marken „erlebbar“ und – Achtung – können sie „emotional aufladen“. Warum nicht auch mit einem Seminar zum Thema „Die Zukunft ist digital“? Mit so einem emotional aufgeladenen Erlebnis-Leuchtturm haben Sie dann etwas ganz, ganz Tolles. Das ist ja viel mehr als bloß ein Leuchtturm, das ist eine-Trommelwirbel, Tusch – Markenwelt. Will heißen: Neben Kaffeetassen bieten Sie in Ihrem Online-Shop womöglich auch T-Shirts, Reisen und Buddelschiffchen an.

„Virtuell“

Alles, alles muss virtuell sein, denn: „Die Zukunft ist digital.“ Anführer des virtuellen Nonsens-Schmonzens ist das mittlerweile schon wieder totgesagte „Second Life“. Da lassen Weltfirmen Agenturen sechs Monate für viel Geld an virtuellen Einkaufsläden herumprogrammieren, es werden virtuelle Plakate geklebt und virtuelle Zeitungen aus virtuellen Zeitungskästen genommen. Oder eben nicht. Während sich die Erregung über „Second Life“ glücklicherweise mangels Nutzer-Beteiligung gerade wieder legt, wird das Wort „virtuell“ nach wie vor gerne gehört. Also ruhig ab und an einfließen lassen. „Wir machen da jetzt auch eine „virtuelle Community“, eine „virtuelle Konferenz“ oder setzen auf unsere „virtuelle Markenwelten“. Blöd nur, dass damit meistens auch bloß virtuell Geld verdient wird.

Erschienen in Ausgabe 8/2007 in der Rubrik „Tipps für Journalisten“ auf Seite 73 bis 89. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.