* Man sagt, Kinder suchen sich ihre Eltern aus. Könnte es nicht sein, dass sich auch Geschichten ihre Autoren suchen?
Sebastian Glubrecht: Ich denke, es ist eher andersherum: Der Autor sucht eine Geschichte – und im besten Fall findet er eine sehr gute. In meinem Fall war sicher ein wenig Glück dabei, aber es hatten ja auch andere Kollegen über den Fall berichtet. Wenn sich also Geschichten ihre Autoren suchen, dann hat diese hier nicht nur einen gefunden.
* Sie haben aus der Polizeimeldung von der Tat erfahren. Sechs Monate später lasen Sie den Gerichtsbericht und haben sich erst dann entschieden, der Geschichte nachzugehen. Wieso so spät?
* Wenn in einer Polizeimeldung steht, dass ein Mensch einen anderen erschossen hat, hört man für gewöhnlich längere Zeit nichts von dem Täter. Es ist nahezu unmöglich, mit jemandem, der in Untersuchungshaft sitzt, ein intensives Gespräch zu führen. Als ich später im Gerichtsbericht las, wie aufrichtig und bewegt Herr Bauer dem Richter seine Tat schilderte, da dachte ich mir: Ruf ihn doch mal an!
* Wie sind Sie mit Herbert Bauer in Kontakt gekommen?
* Sein Anwalt hat nach Rücksprache mit ihm ein erstes Gespräch ermöglicht, daraufhin habe ich mich mit Herrn Bauer verabredet und ihn besucht.
* War es schwer, ihn dazu zu bringen, seine Geschichte zu erzählen? Schließlich sind Sie nicht nur Journalist, sondern mit 30 Jahren auch gerade mal so alt, wie seine Enkel sein dürften.
* Wenn ich mich nicht irre, sind seine Enkel sogar noch jünger als ich. Als ich Herrn Bauer zum ersten Mal traf, erschien er mir unendlich traurig. Er war gezeichnet von der Haft, dem Prozess und seiner Tat; und er war einsam. Ich musste ihn nicht dazu bringen, seine Geschichte zu erzählen, sie sprudelte nur so aus ihm heraus. Aber natürlich habe ich das Gespräch so gut wie möglich gelenkt und nachgefragt.
* Welche Ihrer Fähigkeiten waren für diesen Beitrag unerlässlich?
* Ich höre gern zu, vor allem älteren Menschen, das kommt vielleicht noch aus meiner Zivildienstzeit. Außerdem musste ich mich in die Rolle des Protagonisten versetzen können und versuchen, diese Tat aus seinem Blickwinkel zu sehen, da diese Geschichte ja aus seiner Perspektive erzählt wird. Das war nicht so einfach.
* Wo und wie oft haben Sie den Rentner getroffen und wie sind Ihre Treffen abgelaufen?
* Ich habe Herrn Bauer drei Mal in seiner Wohnung getroffen. Bei unserem ersten Treffen waren wir zu zweit, am zweiten Treffen nahm seine Tochter teil, als wir uns zum dritten Mal begegneten, kamen später ein Teil seiner Familie und ein Fotograf vom SZ-Magazin dazu. Unsere Treffen fanden in der Stube von Herbert Bauer stand, wo wir uns gegenübersaßen. Manchmal erzählte Herr Bauer so lebhaft, dass ihn die Trauer packte und er anfing zu weinen, dann sprachen wir über weniger schmerzhafte Erinnerungen und kamen später wieder zum roten Faden zurück. Wir machten Pausen, er zeigte mir die Ringe und die Briefe. Die meiste Zeit aber hörte ich ihm einfach nur aufmerksam zu.
* Haben Sie die Gespräche mitgeschnitten oder sich Notizen gemacht?
* Bei unserem ersten Treffen machte ich mir Notizen, dreißig bis vierzig Seiten. Bei den beiden folgenden Terminen ließ ich auch ein Aufnahmegerät mitlaufen, weshalb ich etwas weniger mitschrieb. Notizen sollte man aber immer machen.
* Herbert Bauers Sprache besticht durch ihre Einfachheit und Authentizität. Was hat Sie selbst an dem Mann besonders beeindruckt?
* Seine Hingabe, seine Stärke und seine bedingungslose Liebe.
* Der Titel Ihres Beitrags lässt erahnen, was inhaltlich folgt. Den Text chronologisch aufzubauen, liegt ebenfalls nahe. Haben Sie diese schlichte Form bewusst gewählt?
* Ja, allerdings bezweifle ich, dass es eine schlichte Form ist. Wäre es nicht viel klassischer gewesen, mit dem Schuss einzusteigen? Oder den Artikel nicht in der „Ich“ Form zu verfassen, sondern aus der üblichen journalistischen Reportage-Perspektive? Der Entscheidung über Form des Beitrags und Erzählperspektive gingen intensive Überlegungen und Gespräche mit Kollegen voraus.
* In Ihrem Beitrag zitieren Sie aus der Krankenakte Margarete Bauers, aus ihrer Trauerkarte, aus der Anklageschrift und dem Urteilsspruch. Wie sind Sie an diese Schriftstücke gekommen und wie setzen Sie diese ein?
* Die Presseerklärungen erhielt ich von den zuständigen Pressestellen. Private Schriftstücke bekam ich von Herrn Bauer, bei der Verlesung von Anklageschrift und Urteil saß ein Kollege im Gerichtssaal. Die Stärke einer Protokollform, ihre Subjektivität, kann auch ihre Schwäche sein. Daher verwende ich diese Dokumente als äußere szenische Elemente. Außerdem war es wichtig, die Erzählungen des Protagonisten gelegentlich zu unterbrechen und mit Fakten zu untermauern, damit die Reportage nicht zu subjektiv wirkt.
* Liebesbriefe, zu jedem Hochzeitstag ein Ring, ein selbst schwer kranker Mann, der seine Frau pflegt – wurde früher anders geliebt als heute?
* Das hoffe ich nicht. Die Liebesbriefe erinnern an eine wunderschöne Tradition aus einer anderen Zeit, die sicher eine Wiederbelebung verdient hätte – vor allem, wenn ihre Verfasser so gut zeichnen können wie Herr Bauer. Ich weiß allerdings aus sicherer Quelle, dass auch heutzutage noch Männer ihre Frauen mit absoluter Hingabe und Aufmerksamkeit lieben können. Und umgekehrt.
* Herbert Bauer ist nicht der einzige Mann, der seine schwerkranke Frau erlösen wollte.Immer öfter hört man von solchen Fällen. Darf man aus Liebe töten?
* Man darf nicht aus Liebe töten. Die Geschichte von Herrn Bauer behandelt einen Fall von Tötung auf Verlangen – seine Frau war sterbenskrank, er dachte, er könne nicht ohne sie leben, beide wollten gemeinsam in den Tod gehen, da sie keinen anderen Ausweg aus ihrer Situation sahen. Ich kann diesen Gedanken, so verzweifelt er auch ist, nachvollziehen. Ein pauschales Urteil über andere, vielleicht ähnliche Extremsituationen möchte ich mir aber nicht erlauben.
* Haben Sie Herbert Bauer nach Ihren Recherchen noch einmal wiedergetroffen?
* Schon bevor die Geschichte erschien, haben unsere Treffen Herrn Bauer sehr mitgenommen, da viele seiner Erinnerungen wieder hochkamen. Nachdem die aus unseren Gesprächen zusammengesetzte Reportage im SZ-Magazin erschienen war, wurde Herr Bauer sehr krank, sein Herz machte ihm zu schaffen. Ich habe in dieser Zeit telefonischen Kontakt zu seiner Familie gehalten. Das mache ich heute immer noch. Aber ich muss auch respektieren, dass Herr Bauer allmählich versuchen möchte, die Vergangenheit ruhen zu lassen.
Interview: Katy Walther
Erschienen in Ausgabe 8/2007 in der Rubrik „Best of Theodor-Wolff-Preis 2007“ auf Seite 38 bis 38. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.