Der Kampf um Online

Moderation Daniel Bouhs

Herr Sadrozinski, das Generalsekretariat der ARD hat sich angesichts der massiven Kritik an der Digital-Strategie Ihres Hauses offenbar gezwungen gefühlt, Antworten auf typische Vorwürfe vorzuformulieren und sie unter den leitenden Mitarbeitern zu verteilen. Ist die Lage wirklich so schlimm?

Jörg Sadrozinski: Die Lage an sich überhaupt nicht. Umso mehr hat uns die Vehemenz der Vorwürfe überrascht. Wenn man manche Artikel gelesen hat, war ja schon zu befürchten, dass das Ende der freien Presse bevorsteht. Das sehe ich aber überhaupt nicht, schon gar nicht bei den Punkten, die uns der BDZV vorwirft. Also zum Beispiel, dass Tagesschau.de einen Newsletter herausgibt. Den gibt es nämlich mittlerweile schon seit neun Jahren. Und ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass dieser Newsletter nun Qualitätszeitungen wie die „Süddeutsche“, den „Tagesspiegel“ oder die „Berliner Zeitung“ bedroht. Das will ganz einfach nicht in meinen Kopf rein. Ich glaube eher, dass das Methode hat und schnell bei den Haaren herbeigezogen wurde.

Teilen Sie die Kritik, Herr Jakobs? Fühlen Sie sich denn wirklich von einem Newsletter bedroht?

Hans-Jürgen Jakobs: Die Zeiten haben sich geändert und sie ändern sich noch stärker. Früher war es so, dass die Medien nebeneinander standen: Fernsehen, Radio, Zeitungen und Zeitschriften. Jetzt haben wir ein vergrößertes Spielfeld. Es gibt einen Platz, auf dem sich alle treffen – das ist das Internet. Und im Internet sehen alle ihre Zukunftschancen, dort wollen sie alle wachsen. Klar, dass die Medienplayer aufeinander treffen. Klar, dass es hier unterschiedliche Meinungen gibt. Auch klar, dass eine neue Geschäftsordnung vonnöten ist. Deswegen ist die Diskussion absolut verständlich – und es braucht von ARD und ZDF überzeugende Antworten. Noch gibt es keine Chancengleichheit.

Aber sind die Vorwürfe, die da seitens der Verbände der Printmedien fallen, überzeugend? Neben den Newslettern prangerte der Zeitungsverlegerverband ja unter anderem auch ein Dating-Portal des WDR und Onlinespiele auf den Seiten von ARD und ZDF an.

Jakobs: Es geht um die Gestaltung der Zukunft. Jetzt werden die Plätze für die prosperierende, viel versprechende digitale Welt gesetzt. Und da muss man aufpassen, dass es mit rechten Dingen zugeht, dass die Wettbewerbsgerechtigkeit, die Fairness gewahrt bleibt und hier nicht einer der Partner Privilegien hat, mit denen er die anderen leicht ausmanövrieren kann.

Sehen Sie nun Bereiche, wo ARD und ZDF sozusagen unrechtmäßig in Ihren Wettbewerbsraum eindringen?

Jakobs: Bisher war das Budget der Öffentlich-Rechtlichen für das Internet begrenzt. Derzeit liegt es noch bei 0,75 Prozent des Gesamtvolumens. Das klingt wenig, sind umgerechnet aber 52 Millionen Euro. Das ist das Doppelte des Jahresumsatzes von „Spiegel Online“ und Sueddeutsche.de zusammen. Das ist also ein großer Batzen. Und jetzt soll diese Begrenzung auch noch wegfallen. Da fragen sich natürlich alle: Wie viel Geld wird den Sendern anschließend zur Verfügung stehen, wie gehen ARD und ZDF die Expansion an? Womit haben wir da zu rechnen? Wir sehen ja schon jetzt auf dem einen oder anderen Gebiet, dass es nicht mehr nur um die reine Programmbegleitung geht. Ich erinnere nur daran, dass das ZDF vor einigen Jahren einmal eine Soap eigens für das Internet produzierte – wenn auch ohne Erfolg.

Sadrozinski: Es kann doch nicht sein, dass die Verleger definieren, was programmbegleitend ist. Denn wir bewegen uns in einem neuen Medium – das haben Sie ja völlig richtig gesagt. Dort müssen wir als Öffentlich-Rechtliche unsere Nutzer auch mediengerecht bedienen. Und das heißt, dass ich Informationen, die ich als Audio oder als Video habe, auch mit Text ergänzen muss – das ist etwas ganz Natürliches. Da kann man doch nicht sagen, dass das nicht mehr Programm begleitend ist. Wir als Tagesschau.de sind dafür beispielsweise an die ARD-Hörfunkkorrespondenten herangetreten. Deren Manuskripte haben wir aufgenommen, verschriftlicht und auf unsere Seite gesetzt. Auch das ist eindeutig eine Form der Programmbegleitung. Da kann ich nicht sehen, dass wir über das Ziel hinausschießen.

Jakobs: Der Bürger gibt Ihnen Gebühren – und zwar nicht freiwillig. Damit ist Ihr Angebot Teil des Gemeinwohls. Was das Gemeinwohl aber ist, sollten Sie nicht alleine definieren. Mein Eindruck ist, dass hier starke Plattformen aufgebaut werden, aus denen sich sehr viel entwickeln kann. Anders gesagt: Jetzt wird gesät, später wird geerntet und dann werden sich viele wundern. Wenn man sich Tagesschau.de anschaut, finden Sie dort bereits alle Spielarten angelegt: Sie haben Audio- und Videobeiträge, Sie haben Tests, Sie haben Blogs und Sie haben Bildergalerien. Vom Konzert Live-Earth zeigen Sie 42 Bilder. Warum? Bildergalerien sind im Internet ein probates Mittel, um Klicks zu erzeugen – PageImpressions. Offensichtlich ist das auch Ihr Bestreben. Und damit stehen Sie natürlich voll in Konkurrenz zu privatwirtschaftlichen Informationsportalen, die sich aber über Werbung finanzieren müssen und dafür eine hohe Reichweite brauchen. Sie haben hingegen stets eine sichere Einnahmequelle: die Gebühren. Während andere also sehr scharf rechnen müssen, können Sie wie im Schlaraffenland leben.

Sadrozinski: Das wäre schön, stimmt aber leider nicht! Wir schöpfen die Grenzen, die wir uns im Übrigen selbst gesetzt haben, doch gar nicht aus. Wenn man sich die Budgets der Onlineredaktionen ansieht, ist nicht erkennbar, dass wir uns da ausbreiten oder in Felder vorstoßen, auf denen wir nichts zu suchen haben. Der Jahresetat für die gesamte Redaktion tagesschau.de, mit dem unter anderem auch rund-um-die-Uhr die Nachrichten für den ARD-Videotext erstellt werden, liegt im unteren einstelligen Millionenbereich. Was die Klicks anbelangt: Das wäre für die Verlage natürlich eine Gefahr, wenn wir unsere Zugriffsraten ebenfalls ausweisen würden. IVW-Zahlen werden Sie von ARD und ZDF aber nicht bekommen, weil wir keine Werbeträger sind. Wir wissen zwar, dass wir als ARD gar nicht so schlecht dastehen. Aber es ist ja nicht so, dass wir um Werbeetats konkurrieren würden …

Jakobs: Das sagt nichts. Je attraktiver Sie Ihren Online-Auftritt gestalten, desto mehr Nutzer bekommen Sie und damit desto mehr PageImpressions – die fehlen dann eben den anderen.

Sadrozinski: Aber das gilt doch für die Mediennutzung insgesamt. Dann würden Sie ja auch mit dem Fernsehen und dem Radio konkurrieren, weil die auch die Mediennutzungszeit abgraben, die jemand auf Sueddeutsche.de verbringen könnte. Da muss man schon die Kirche im Dorf lassen: Den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt es nur solange er nicht marginalisiert wird und durchaus ein großes Publikum erreicht. Wenn wir nur relativ wenig Nutzer ansprechen würden, würde doch sofort jeder rufen: Diese öffentlich-rechtlichen Onlineangebote brauchen wir nicht. Wie bei den Einschaltquoten brauchen wir, wenn das Programm auch ins Netz wandert, gewisse Abrufzahlen, um das Angebot zu rechtfertigen. Dass wir konkurrieren, bestreitet ja niemand. Wir müssen uns nur fragen, wie wir konkurrieren. Das ist für mich vor allem eine Frage der publizistischen Inhalte. Ich würde mir gerade auf diesem Feld eine größere Konkurrenz wünschen, damit die Qualität des Internetjournalismus insgesamt steigt.

Jakobs: Mein Verdacht ist, dass die Kirche, die Sie im Dorf lassen wollen, in diesem Fall ein Dom ist. Und zwar, weil Ihnen eben jetzt schon erhebliche finanzielle Mittel zur Verfügung stehen und weil Ihnen auch die Redakteure aller Landesrundfunkanstalten zuarbeiten. Sie haben ein riesiges Material, dass Ihnen frei Haus zur Verfügung steht. Sie können sehr viel PS auf die Straße bringen. Und was würde Sie daran hindern, das zu tun, wenn es den nötigen Blankoscheck geben sollte, also die Deckelung der Onlineausgaben wegfallen würde? Sie würden es tun! Das geht dann aber zu Lasten der Zeitungen, die sich in einer S
trukturkrise befinden, weil junge Leute online lesen und sich die Werbewirtschaft ins Netz verlagert. Wenn die Zeitungen bestehen wollen, dann müssen sie das digitale Feld offensiv und intensiv angehen, aber eben auch die Chance haben, wachsen zu können. Nicht nur für ARD und ZDF sollte es Bestands- und Entwicklungsgarantien geben, sondern auch für die Zeitungen. Sollten Sie wie geplant expandieren wollen, würden Sie den Zeitungen das Wasser abgraben. Damit würde die Meinungsvielfalt in Deutschland ärmer werden.

Sadrozinski: Das kann ich nicht nachvollziehen. Auch die Öffentlich-Rechtlichen stehen doch vor der Aufgabe, ihre Inhalte digitalisieren zu müssen. Wir müssen sehen, dass wir unsere Inhalte an ein jüngeres Publikum bringen und weiterhin unsere öffentliche Aufgabe wahrnehmen. So wie die Zeitungen beanspruchen auch wir diese Entwicklungsmöglichkeiten, um in Zukunft noch eine Bedeutung zu haben. Um unser Programm für die digitale Welt fit zu machen, sind aber eben auch angemessene Mittel nötig.

Aber ist es denn nicht so, dass Sie nicht nur das bestehende Material für das Netz tauglich machen? Immerhin beschäftigt Ihre Redaktion ja auch freie Mitarbeiter, die exklusive Inhalte für Ihre Seite recherchieren und produzieren – ob Interviews oder richtige Autorenstücke.

Sadrozinski: Das ist das, was ich vorhin sagte: Wir versuchen, die User mediengerecht anzusprechen. Zu einem Nachrichtenfilm von 30 Sekunden über das neueste Bombenattentat in Bagdad kann es aus meiner Sicht für den Nutzer doch nur sinnvoll sein, wenn wir ein Gespräch mit dem Korrespondenten oder einem anderen Experten führen, um zu erklären, was da eigentlich passiert. Die traditionellen Medien haben die Geschichten eben nicht immer so schnell so ausführlich, wie die Internet-User erwarten. Das Internet bietet uns außerdem die Möglichkeit, ergänzend zu berichten – und auch das ist unser Auftrag. Da geht es um Hintergründe. Und ich glaube nicht, dass jemand etwas dagegen hat, wenn wir die Leute informieren.

Jakobs: Das Problem ist doch, dass wir uns in einer Zwischenzeit befinden: Bis die Vorgaben der EU in zwei Jahren in einem neuen Rundfunkstaatsvertrag umgesetzt werden, haben wir ein offenes Feld, das ARD und ZDF erlaubt, frühzeitig einen Teil des Systems zu besetzen. Deswegen braucht es schnell neue Regeln. Die EU hatte ja sicher nicht im Sinn, den Sendern im Digitalen freie Fahrt zu ermöglichen, sondern wollte im Gegenteil fairen Wettbewerb. Im Übrigen hat die „Tagesschau“ im Fernsehen ein riesiges Promotion-Portal, das ausgiebig genutzt wird: Jeden Tag wird bei einem Beitrag auf Tagesschau.de verwiesen – das bekommen Millionen Zuschauer mit und werden so auf Ihr Angebot gelenkt. Diesen Vorteil haben Zeitungen gar nicht.

Sadrozinski: Das machen Sie doch mit Hinweisen unter Ihren Zeitungsartikeln genauso. Außerdem ist es doch etwas ganz Natürliches, wenn wir uns mit unserem Muttermedium vernetzen und auf einen Mehrwert in unserem Internetangebot hinweisen. Das machen die Zeitungen ja nicht anders. Ich bedauere jedenfalls, dass in der derzeitigen Diskussion auf ARD und ZDF reflexartig draufgehauen wird, ohne zu erkennen, dass deren Internetangebote einen Mehrwert bieten. Im Übrigen könnten sich ja auch Möglichkeiten ergeben, mal zu überlegen, wo wir vielleicht gemeinsam agieren könnten.

Jakobs: Dazu eine ganz einfache Idee, und zwar ein Open-Source-Ansatz: Stellen Sie einfach alles, was Sie an Videos oder sonstigem Material im Internet anbieten, gleichzeitig allen zur Verfügung, damit jeder Ihre Filme in die eigenen Webangebote einbauen kann. So können Sie Ihren Anspruch von „public value“ wirklich richtig ernst nehmen!

Sie würden also „Tagesschau“-Beiträge in das Onlineportal der „Süddeutschen“ einklinken?

Jakobs: Das ist durchaus vorstellbar, natürlich. Dafür würden wir aber nicht zahlen wollen. Das ist ja schließlich schon über Gebühren finanziert und damit im öffentlichen Auftrag produziert. Mit einer Kooperation würde jedenfalls das Misstrauen gegen Ihre Digitalisierungspläne kleiner werden.

Sadrozinski: Solche oder ähnliche Überlegungen gibt es durchaus bei uns im Haus. Sie wissen aber, dass es da unter anderem Probleme mit dem Urheberrecht gibt. Die Idee, schon mit öffentlichen Gebühren bezahltes Material zugänglich zu machen, haben wir aber auch und fragen uns gerade, wie wir es mit dem geltenden Urheberrecht schaffen können, unsere Inhalte anderen zur Verfügung zu stellen. Bei der BBC in Großbritannien funktioniert das zum Teil schon. Ich glaube schon, dass das machbar ist – und Sueddeutsche.de wäre beispielsweise sicher ein Partner, der gut zu uns passen würde.

Auf der Funkausstellung in Berlin Ende August wird die ARD ja ihr neues Audio/Video-Portal präsentieren. Ist das Ziel also, den einzelnen Clips jeweils einen Link beizustellen, mit dem jeder das Video oder den Radiobeitrag auf seine Seite einbinden kann – so, wie das etwa mit den Inhalten von YouTube möglich ist?

Sadrozinski: Wenn die Rechtelage entsprechend geklärt ist, ist das durchaus das Ziel, dass man sagt: Dieses ist ein Inhalt, der schon bezahlt ist. Wie man das nun umsetzt, dass die Inhalte von anderen genutzt werden können, ist natürlich die spannende Frage, die wir uns derzeit noch stellen. Da müssen sich die Juristen den Kopf zerbrechen.

Jakobs: Stellen Sie doch erst einmal nur solche Beiträge ins Netz, die urheberrechtlich geklärt sind. Das dürfte bei den Nachrichtenbeiträgen recht schnell der Fall sein. Natürlich müssen wir uns aber trotzdem über die Grenzen der Expansion der Öffentlich-Rechtlichen im Internet unterhalten. Denn es gibt ja im Netz keinen Mangel, den ARD und ZDF beheben müssten. Das ist eben anders als im Fernsehen, wo das Bundesverfassungsgericht immer wieder festgestellt hat, dass es Ausfallerscheinungen im kommerziellen Bereich gibt. Diese vom hohen Gericht zugestandene Funktion der Öffentlich-Rechtlichen kann man aber doch nicht einfach ins Internet verlängern, wo es zum Beispiel 600 Portale der Zeitungen gibt.

Sadrozinski: Ich glaube aber nicht, dass es da einfach die Masse macht. Von den 600 Portalen sind längst nicht alle in der Lage, einen vernünftigen Onlinejournalismus zu betreiben.

Nehmen wir doch die fünf, sechs großen Portale – von „Spiegel Online“ bis zu Sueddeutsche.de: Wo sehen Sie dort den Mangel, den Sie füllen müssen?

Sadrozinski: Ich sehe vor allem Zwänge, denen die Kollegen unterliegen. Dazu gibt es inzwischen ja auch entsprechende Studien. Die privaten Seiten müssen eben, um für die Werbung attraktiv zu sein, Klicks generieren. Auch Herr Jakobs muss deswegen entsprechende boulevardeske Inhalte anbieten, die man so sonst nicht in Zeitungen oder Magazinen findet. Mit politischen Leitartikeln allein käme er doch gar nicht auf die entsprechenden Zugriffszahlen.

Jakobs: ARD und ZDF sind nicht die Gralshüter der Qualität, auch wenn Sie das gerne so hätten. Sie verkennen, dass gerade jetzt überall investiert wird. Jeder Verlag überlegt, wie er die Qualität der Printredaktionen in das Über-Medium Internet bringt – überall wird umgebaut. Und dann sehen wir uns auch noch gleich zwei großen Konkurrenten ausgesetzt, denn anders als in Großbritannien mit der BBC stoßen hier nämlich mit ARD und ZDF gleich zwei öffentlich-rechtliche Institutionen in die digitalen Medien vor. Das ist eine Zange, in der sich die Verlagsangebote befinden.

Sadrozinski: Die 600 gegen zwei?

Jakobs: …es handelt sich eben um zwei ganz starke, öffentlich finanzierte Anbieter, die potenziell sehr viel in den Markt bringen können – an Material, Nutzerkontakten und Journalisten. Und wenn da zusätzlich noch die Millionen fließen, können die anderen das Licht ausmachen.

Sadrozinski: Das ist doch ein Zerrbild! Es ist ja doch nicht so, dass etwa die „Süddeutsche“ oder „Spiegel Online“ ganz arm und klein wären und keine Korrespondenten haben. Und wenn man sich die Gr
öße der Seiten ansieht, toppen „Süddeutsche“, „FAZ“ und „Spiegel“ das, was wir auf Tagesschau.de machen, doch um ein Vielfaches – sowohl an Personal als auch an Geld. Also anders als Matthias Müller von Blumencron von „Spiegel Online“ kann ich nicht sagen, ich nehme jetzt mal einen siebenstelligen Betrag in die Hand, um mein Video-Angebot auszubauen.

Jakobs: Aber die 0,75-Prozent-Begrenzung des Online-Budgets entfällt künftig. Sie räumen doch selbst die Zäune weg.

Sadrozinski: Der Zusammenhang ist doch ein ganz anderer: Das Internet wird nach Meinung aller Fachleute als Distributionsweg rasant an Bedeutung gewinnen. Da würde eine rigide Begrenzung wie ein Würgegriff wirken. Im Übrigen reden wir von einem Wegfall in frühestens zwei Jahren. In den nächsten Monaten müssen wir uns erst einmal überlegen, wo es überhaupt Sinn macht, aufzustocken. Und ich kann nur sagen: Es kann doch keiner schlecht finden, wenn wir das Geld, das uns der Gebührenzahler gegeben hat, möglichst ökonomisch einsetzen und versuchen, unsere Programme über Internet oder über mobile Plattformen zu verbreiten. Denn wenn wir feststellen, dass sich die Mediennutzung verändert, wären wir doch mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn wir das nicht täten. Außerdem sehe ich uns da in einer Bringschuld, jedem unsere bezahlten Inhalte zugänglich zu machen.

Jakobs: Sie sind erkennbar nicht geeignet, den freien Markt für sich zu reklamieren. Schließlich stuft die EU die Rundfunkgebühr, von der Sie leben, als „staatliche Beihilfe“ ein.

Sadrozinski: An dieser Stelle hat die Informationsfreiheit für uns höchste Priorität. Wir müssen doch das Recht haben zu schauen, wie wir die Zuschauer, die wir gegebenenfalls in den traditionellen Medien verlieren, wieder erreichen können. Es ist ja im Übrigen nicht so, dass wir Zeitung machen wollen. Aber die Zeitungen dringen im Internet in unser Kerngeschäft ein und bieten plötzlich bewegte Bilder und Töne an. Wir müssen uns darauf einstellen, dass sich die Mediennutzung noch stärker differenzieren wird. Dabei geht es nicht um eine Ausweitung, sondern um eine technische Entwicklung, an der wir nicht vorbeikommen.

Jakobs: Sie greifen dabei in ein anderes System über – vom Fernsehen in das Internet. Dabei gelten aber noch die medienpolitischen Voraussetzungen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Das kann nicht richtig sein. Deshalb muss klar sein, um welchen Umfang es geht und wie viel Geld für die Veranstaltung zur Verfügung gestellt wird. Das sind die entscheidenden Fragen. Solange die nicht geklärt sind, wird es nun mal Misstrauen und harte Debatten geben.

Erschienen in Ausgabe 8/2007 in der Rubrik „Titel“ auf Seite 18 bis 23. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.