Die Angstbeißer

Ein Journalist sollte sich beruflich nicht zu Themen äußern, von denen er selbst betroffen ist, lautet eine alte Regel. Es fehlt ihm dann an Distanz und er ist zu einer möglichst objektiven Einordnung kaum in der Lage. Wer beispielsweise gerade mit seiner Ex-Frau um die Höhe des Unterhalts streitet, ist der falsche Mann für eine Story über das deutsche Scheidungsrecht und er sollte sich Kommentare und Leitartikel zu diesem Thema verkneifen, auch wenn es schwer fällt. Schließlich sind wir alle Profis, gell?

Hört auf! Dieser Logik folgend fordere ich hiermit sämtliche professionelle Journalisten auf, sich nicht mehr über Blogs und andere partizipative Medienformen des Internet zu äußern – und schon gar nicht auf Kongressen oder Podiumsdiskussionen. Es reicht. Aus. Punkt. Vorbei. Der Erkenntnisgewinn solcher Runden tendiert gegen null und ihr Ablauf ist stets bis zur Unerträglichkeit vorhersehbar. Gefühlte fünfhundert Mal pro Stunde fallen die Worte „Qualität“ und „Qualitätsjournalismus“, immer wieder gerne gewürzt mit dem Verweis auf die eigene Professionalität und niemals ohne bissige Bemerkungen in Richtung der Amateure, die da irgendetwas ins Internet schreiben.

Momentaner Distanzierungsweltmeister und Goldmedaillengewinner im Hallen-Blogger-Bashen ist zweifellos „Stern“-Kolumnist Hans-Ulrich Jörges, der anlässlich der Vorstellung des Buches „Alpha-Journalisten“ trompetete: „Die guten Redaktionen sollten ihre Siele geschlossen halten, damit der ganze Dreck von unten nicht durch ihre Scheißhäuser nach oben kommt.“ Die Hobby-Schreiberei im Netz ist für ihn wahlweise „Dreck von unten“ oder – Achtung, Wortwitz – „loser generated Content“.

Der Blogger Matthias Kiesselbach ( www.sprechblase.org) prägte angesichts solcherlei Treppenhauskeifereien den treffenden Begriff „Abgrenzungshysterie“, der in einem einzigen Wort das Dilemma des publizierenden Berufsstandes einkreist: Das plötzliche Auftauchen fröhlich und in aller Öffentlichkeit vor sich hinschreibender Blogger muss auf viele Journalisten derart traumatisierend gewirkt haben, dass sie sich permanent zwanghaft von den ungeliebten Eindringlingen in ihr sicher geglaubtes Terrain abgrenzen müssen. „Ich bin anders, ich bin besser“, rufen Jörges und Konsorten permanent und ungefragt in den Saal. Wäre das auf Dauer nicht so nervig, könnten sie einem leidtun.

Genau genommen hat das Internet lediglich dafür gesorgt, dass in einem kleinen Segment unserer Existenz – im Bereich des Publizierens nämlich – endlich die gleiche Normalität herrscht wie in anderen Lebensbereichen. Vor 100 Jahren war die Fotografie eine Wissenschaft, die nur wenige Spezialisten mit teuren Instrumentarien praktizieren konnten. Im 21-sten Jahrhundert kann man froh sein, irgendwo einen Küchenmixer oder einen Elektrorasierer zu finden, der nicht gleichzeitig eine Digitalkamera ist.

Millionen Menschen spielen täglich ein Musikinstrument, treffen sich zum Fußballspielen, kochen gerne mal eine warme Mahlzeit oder fahren mit dem Fahrrad durch die Gegend, ohne jemals auf die Idee zu kommen, professionelle Musiker, Fußballspieler, Köche oder Radsportler werden zu wollen. Diesen Zustand – viele Hobbyisten, einige wenige Profis – betrachten wir als Normalität. In einigen anderen Berufsfeldern waren Amateure bislang eher selten anzutreffen, beispielsweise in der Wertraumfahrt, in der Reaktorphysik – oder eben in der Publizistik.

Hilfe! Das Internet hat die einstige Superkraft des Publizierens nun in rücksichtsloser Weise zum Allgemeingut degradiert. Und die vormaligen Superhelden, Journalisten und Medienmacher, reagieren auf diese für sie ungewohnte Situation mit Unverständnis, Überheblichkeit und Drohgebärden, immer wieder gerne angereichert mit einer großen Portion Kulturpessimismus: Hilfe, die Barbaren kommen!

Wie gesagt: Ein Journalist sollte sich beruflich nicht zu Themen äußern, von denen er selbst betroffen ist. Er tut sich und seinem Publikum damit keinen Gefallen. Geht es um Amateur-Publizistik, sollten die Profi-Publizisten vielleicht einfach mal ihre Klappe halten – genau dann verhielten sie sich nämlich professionell.

Wie wäre es eigentlich, wenn jetzt einfach wieder alle an ihre Arbeit gingen, wenn Journalisten werktäglich bewiesen, dass sie Qualität produzieren, statt sonntäglich von selbiger zu schwärmen, wenn jeden Tag aufs Neue toller Journalismus die Frage nach der beruflichen Selbstdefinition obsolet machen würde? Das wäre doch was, oder?

Erschienen in Ausgabe 8/2007 in der Rubrik „Sixtus‘ Onlinetrends“ auf Seite 55 bis 55. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.