Etwas für alle

Die Grenzen verschwimmen immer mehr: Seit Highspeedverbindungen die privaten Haushalte erobern, sind bewegte Bilder im Internet stark im Kommen, mehr noch: Sie werden auch für die Webangebote der Zeitungsverlage, denen bislang das geschriebene Wort reichte, immer wichtiger, in Zukunft wohl sogar unverzichtbar. Gleichzeitig ist die Kostenlos-Kultur im Internet nach wie vor kaum ein lösbares Problem – jedenfalls für die Medienunternehmen, die sich in der freien Wirtschaft zu behaupten haben. In dieser Situation ist es nur allzu verständlich, dass da die angekündigte Digitalisierungsoffensive der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten auf – gelinde gesagt-wenig Gegenliebe bei den Verlagen und Privatsendern stößt. Denn was die einen im freien Wettbewerb erst verdienen müssen, haben die anderen per Gebührengelder der Zuschauer als feste Größe zur Verfügung.

 

Und dennoch: Wer das duale System in der deutschen Rundfunkstruktur für richtig erachtet, dem muss daran gelegen sein, dass auch die öffentlich-rechtlichen Sender mit der Zeit gehen können – und das heißt: nutzergerecht mit allen Facetten ins Internet. Denn das klassische Fernsehen ist womöglich in Zukunft noch viel mehr von Veränderungen durch die Online-Nutzung bedroht, als es die Printmedien sein werden. „In der Online-Welt geht es nicht mehr um Programme, sondern um Inhalte“, sagt Tim Weber von BBC News Interactive zu Recht. An einer brauchbaren Definition, welche Inhalte die öffentlich-rechtlichen Sender im Internet bieten dürfen, fehlt es bislang. Die derzeit gültige medienpolitische Vorgabe „Programmbegleitende Informationen“ ist im Web 2.0-Zeitalter ein allzu schwammiger Begriff.

 

Umgekehrt stehen die Verlage vor dem Problem, dass professionelles Internet-TV eine Menge Geld und Ressourcen erfordert. Denn der Verleger-Traum vom Alleskönner, der gleichermaßen professionell mit Wort, Bild und Ton hantiert, ist unrealistisch. „Man muss alles denken können, aber nicht alles selbst machen“, ist die einhellige Erkenntnis in all den Redaktionen der Verlage, die bereits heute crossmedial alle möglichen Plattformen bedienen. Christian Ortner, Chefredakteur der „Vorarlberger Nachrichten“ (dem österreichischen Multimedia-Vorreiter unter den Verlagen), konzentriert sich deshalb lieber von vorneherein auf eigene Medienstärken, verwendet zwar Bewegtbilder, aber verzichtet bewusst auf selbstproduzierte TV-Formate. Denn: „Fernsehen können andere besser, wir können dafür schneller sein.“ Wenn man sich anschaut, wie hierzulande die Verlage mit Internet-TV experimentieren, ist man geneigt, ihm zuzustimmen: Fernsehen können andere wirklich besser. Bewegte Bilder als lokale Nachrichten sind eine gute Sache. Und wenn es da mal hakt-o. k. Wackelbilder haben auch ihren eigenen Charme. Aber darüber hinausgehende Ambitionen erfordern weit mehr, wenn man in Konkurrenz zu veritablen TV-Anbietern einerseits und ambitionierten Hobbyfilmern nicht den Kürzeren ziehen will.

 

In dieser Situation klingt es mehr als plausibel, wenn Hans-Jürgen Jakobs (Chefredakteur „sueddeutsche.de“) seinem Kollegen Jörg Sadrozinski („tagesschau.de“) einen „Open-Source-Ansatz“ für öffentlich-rechtliche Inhalte im Netz vorschlägt: „Stellen Sie einfach alles, was Sie an Videos oder sonstigem Material im Internet anbieten, gleichzeitig allen zur Verfügung, damit jeder Ihre Filme in die eigenen Webangebote einbauen kann.“ (siehe Titel, Seite 18 ff.). Das könnte in der Tat ein guter Kompromiss sein: Ein professionelles, zudem kostenloses TV-Angebot für die Verlags-Websites einerseits, eine deutliche Ausweitung der Nutzer-Reichweiten andererseits. Die Idee ist keineswegs Utopie und stößt durchaus auf Gegenliebe, denn-so die Antwort von Jörg Sadrozinski: “ Solche oder ähnliche Überlegungen gibt es durchaus bei uns im Haus.“ Vorausgesetzt, das Problem mit dem Urheberrecht ist gelöst. Dass ein solcher Ansatz funktionieren kann, macht die BBC bereits vor. Jenseits des harten Schlagabtauschs konkurrierender Interessen gibt es also durchaus Perspektiven, die allen Seiten dienen würden.

Annette Milz

Erschienen in Ausgabe 8/2007 in der Rubrik „Editorial“ auf Seite 3 bis 5. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.