* Sie sind „die bestinformierte NPD-Expertin des Landes“ genannt worden, die die „Tricks der Rechten“ durchschaue. Ist das für Sie nun Ansporn oder Bürde?
Astrid Geisler: Das ist zunächst mal übertrieben und missverständlich. Es stimmt, dass ich gern recherchiere und generell den Ehrgeiz habe, mehr herauszufinden als andere. Weil die „taz“ Rechtsextremismus sehr prominent behandelt, konnte ich mich dem Thema stärker widmen als viele andere Journalisten. Mein Fokus liegt aber nicht auf der NPD. Viel spannender finde ich die sozialen und gesellschaftspolitischen Fragen, die das Thema birgt. Und ich schreibe ebenso gern auch über andere Themen.
* Den prämierten und in der „taz“ veröffentlichten Artikel haben Sie „Das vergessene Land“ genannt. Ist Rechtsextremismus auch das vergessene Thema?
* Nein. Es ist aber stark von Hypes abhängig, ob und wie groß darüber berichtet wird. Insgesamt finde ich die Berichterstattung zu stark auf Ereignisse fixiert, die auf den ersten Blick empörend und dramatisch wirken: Jemand wird ins Koma geprügelt oder ein NPD-Mann sagt etwas, das als skandalös gilt. So gehen die eigentlich brisanten Entwicklungen leicht unter. Denn die taugen häufig nicht für knallige Berichte. Im Gegenteil: die Realität ist oft sehr unaufgeregt. Genau das wollte ich auch mit meiner Reportage zeigen.
* Sie haben zusammen mit dem Fotografen Christian Jungeblodt vier Wochen lang in Ostvorpommern für Ihren Artikel recherchiert. Wie haben Sie sich den Menschen dort genähert? Wo haben Sie Ihre Gesprächspartner gefunden?
* Wir hatten beide ein Stipendium und mussten deshalb nicht mit dem knappen Zeit- und Geldbudget klarkommen, das einem normalerweise bei einer Tageszeitung zur Verfügung steht. Deshalb konnten wir anders recherchieren. Wenn man in der Gegend wohnt, jeden Morgen am gleichen Kiosk die Zeitung holt, wenn man die Zeit hat, einfach mal so mit ABM-Kräften am Kaffeetisch zu schwatzen, dann ergeben sich daraus eigene Möglichkeiten. Jemand ruft seinen Nachbarn an und sagt: „Du, die von der Zeitung sind wieder da, dürfen die auch mal mit dir reden?“ Wichtig war auch der örtliche Mitarbeiter des Civitas-Netzwerks gegen rechts. Der konnte uns Informationen geben, die wir vom Verfassungsschutz nie bekommen hätten.
* Wie haben Ihre Gesprächspartner auf die „taz“-Redakteurin aus Berlin reagiert?
* Viele Leute waren absolut überrascht, dass sich jemand aus der Hauptstadt wirklich für ihre Lage interessiert und länger als ein paar Stunden bleibt. Deren Erfahrung war: Aus Berlin oder Schwerin kommt bestenfalls mal wer, wenn Wahlkampf ist oder ein Minister irgendetwas eröffnen darf. Für wen wir arbeiten, war vielen gar nicht so wichtig. Eine Ausnahme war die Anklamer Polizei, die wollte bis zuletzt überhaupt nicht mit mir über das Thema reden.
* Entwickelt man während einer solch langen Recherche so etwas wie Verständnis für Menschen, die aus Protest oder auch Resignation bei Wahlen ihr Kreuz bei der NPD machen?
* Der Blick verändert sich, wenn man ein paar Wochen in Bugewitz bei Ducherow bei Anklam lebt. Ich habe irgendwann selbst gedacht: Wieso kommt nicht mal jemand aus Berlin vorbei und schaut sich das hier an? Ich konnte die Wut der Leute verstehen, die sich von der Bundes- und Landespolitik vergessen fühlen. Deshalb muss man trotzdem nicht die NPD wählen.
* In welcher Rolle sehen Sie sich selbst? Sie halten sich im Text mit Werturteilen ja weitgehend zurück und lassen viele Aussagen für sich stehen.
* So war das auch gedacht. Christian Jungeblodt und ich wollten gemeinsam ein Panorama der Gegend zeichnen, in dem die Menschen möglichst für sich selbst sprechen. Unser Ziel war: Gerade die sogenannten einfachen Menschen, die also kein Amt innehaben, sollen sich nicht bloßgestellt fühlen.
* NPD-Lokalpolitiker wie Michael Andrejewski haben mit Ihnen ganz offen über ihre Ziele und Visionen gesprochen. Ist das Unbedarftheit oder Kalkül?
* Ich würde sagen: Kalkül und Selbstbewusstsein. Andrejewski kann ruhig sagen, er arbeitet auf den Umsturz hin. Es passiert ihm nichts deswegen. Im Übrigen zeigt der Text ja, wie erfolgreich die Rechtsextremen in Ostvorpommern sind. Ganz unabhängig davon gilt bei vielen NPDlern aber auch die Maxime: Besser schlechte Presse als gar keine Presse.
* Die Mitglieder der rechtsextremen Kameradschaften haben sich Ihnen dagegen entzogen. Gab es auch Drohungen oder Einschüchterungsversuche Ihnen gegenüber?
* Einige Neonazikameradschaften verfolgen die Strategie zusammen, die, Feindpresse‘ zu boykottieren und stattdessen über eigene Kanäle an ihe Klientel heranzutreten. Wir wurden aber absolut in Ruhe gelassen – auch aus Kalkül, würde ich sagen. Der lokale NPD-Mann hat explizit gesagt: Die Medien warten doch nur darauf, dass einer von uns gewalttätig wird. Den Gefallen tun wir euch nicht. Trotzdem war ich froh, meist mit einem 1,90 m großen Fotografen unterwegs zu sein.
* Ihr Artikel wurde erst mit Hilfe eines Stipendiums von „Netzwerk Recherche“ ermöglicht, die „taz“ selbst hätte das Projekt wohl nicht finanzieren können. Sparen Medien heute am falschen Ende?
* Der „taz“ kann man das kaum vorwerfen, die muss an allen Enden sparen. Aber bei den meisten Tageszeitungen ist es ja ähnlich undenkbar, mal einige Wochen für eine Recherche abzutauchen. Das hat gar nichts mit dem Thema zu tun. So fehlen bestimmte Texte und das ist schlecht. Immerhin hatte die „taz“ aber den Mut, mit dem damals absolut exotischen Thema Ostvorpommern die Seite eins aufzumachen. Das hätten sich andere Redaktionen nie getraut.
* Sind Sie nach Erscheinen des Artikels noch einmal in die Orte, in denen Sie recherchiert haben, zurückgekehrt?
* Bisher einmal. Zur Landtagswahl im letzten Herbst war ich in Postlow. Dort hatte die NPD schon bei der Bundestagswahl den Vogel abgeschossen. Dass das Resultat wieder heftig würde, war absehbar. Trotzdem war außer mir kein Reporter da. Es war beinahe familiär im Wahllokal, der Bürgermeister hat dem Fotografen und mir sogar Schokoladenpudding spendiert. Just Postlow sollte dann alle Rekorde brechen mit mehr als 38 Prozent NPD-Stimmen. Daraufhin setzte der übliche Medienansturm ein. Einige Zeitungen schrieben, die Leute seien zugeknöpft und abweisend. Mir kam das ungerecht vor.
Interview:Christian Meier
Erschienen in Ausgabe 8/2007 in der Rubrik „Best of Theodor-Wolff-Preis 2007“ auf Seite 34 bis 34. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.