Rosstäuscher und Perlentaucher

Fat & flat

In der Medienrepublik haben Lobbyisten stets ein Wörtchen mitzureden. Zum Glück geschah es bislang selten, dass die Medien in eigener Sache auf die Pauke hauten. Das änderte sich, seit die Konvergenz, die seit einem Jahrzehnt auf jeder Branchenkonferenz beredet wurde, im echten Leben auftaucht. Seit die ARD ihre „Digitalstrategie“ präsentierte, etwa die 100 Sekunden-„Tagesschau“ fürs Handy (die „taz“ dokumentierte ein Witzchen von Jan Hofer: „Früher waren wir Menschen ohne Unterleib. Heute sind wir Menschen ohne Oberkörper“), wird geschimpft, was das Zeug hält. „Wie soll angesichts der mit sieben Milliarden Gebühreneuro produzierten Materialfülle noch Platz für private Anbieter bleiben?“, fragte Kölns „Stadtanzeiger“. „,Welt am Sonntag‘ und, Welt online‘ erscheinen in einem privaten Verlag. Wenn ARD und ZDF weitere Millionen in das Internet investieren, verringern sie unsere Chancen“, argumentierte Christoph Keese, „WamS“-Chefredakteur, mit fast entwaffnender Ehrlichkeit. Am debattierfreudigsten die „FAZ“. Michael Hanfeld ersann den Slogan „Enteignung der freien Presse“; dass „die umfangreichen textbasierten Internet-Nachrichten“ von ARD und ZDF „einer gebührenfinanzierten Zeitung gleich“ kämen, zürnte per Gastbeitrag Dietmar Wolff vom Zeitungsverleger-Verband BDZV (der ansonsten ebenso gern „Freiheit der Berichterstattung“ fordert, um des „hohen Guts der Pressefreiheit“ willen, wie „vollständige Liberalisierung“ der Briefzustellung, der hohen Profite aus Postgeschäften wegen). Während Wolfgang Fürstner vom Zeitschriftenverlegerverband in der „SZ“ „Rosstäuscherei“ beklagte, zeigte sich Jürgen Doetz vom Privatsender-Verband in der „FAZ“ immerhin heutig in der Metaphernwahl: Was die ARD „Medien-Flatrate“ nennt, müsste „Fatrate“ heißen.

Schwammig

Doetz‘ Vision einer „großen Allianz der privaten Medienunternehmen“ wurde also recht mustergültig umgesetzt. Schon weil Meinungsvielfalt zu den Kernkompetenzen der Medien zählt, boten diese aber auch davon etwas. „Irritierend“ fand die „FTD“ „Leitartikler, die die Parolen ihrer Verleger ungeprüft nachbeten“. Während die Verleger „ein längst vergangenes Gestern“ im Sinn hätten, besäßen ARD und ZDF „ja gar kein echtes Konzept, sondern eine Anhäufung von schwammigen Absichten“, meinte in erfrischender Äquidistanz die „taz“. Die musste freilich kurz zuvor notieren, als es um die BDZV-Verlautbarungen ging: „Bei Deutschlands Zeitungen wird wieder gutes Geld verdient. Teilweise jedenfalls“. Die „taz“ selbst hatte just da aus finanziellen Gründen ihren NRW-Teil eingestellt.

Eisern

Entweder wird in Frankfurt das traditionelle Debattenfeuilleton besonders hoch gehalten, oder aber angesichts des Internets hat überdurchschnittliche Existenzangst Besitz von der „FAZ“ ergriffen. Jedenfalls fühlt sich das Frakturblatt außer vom milliardenschweren ARD/ ZDF-Komplex auch vom erheblich kleineren Internet-Unternehmen „Perlentaucher.de“ bedroht genug, um noch eine Mediendebatte zu führen. Respekt verdient im Krieg der Hardcorefeuilletonisten der lange Atem: Mehr als ein halbes Jahr nach Beginn der Recherchen erschien der „FAZ“-Artikel „Die Gedanken der anderen“, der dem Ur-Perlentaucher Thierry Chervel u. a. vorwarf, „schon lange nicht mehr von der eigenen schöpferischen Leistung im kulturellen Sinne“ zu leben. Da die „FAZ“ von zwei zwischen beiden Medien laufenden Prozessen nur einen erwähnte (und auch sonst manches nicht), feilte das „Perlentaucher“-Team fast zwei Wochen an den „Klarstellungen“, die es dann auf der Webseite veröffentlichte. Eine der Formulierungs-Perlen: „Über den Traueranzeigen für verblichene Bankdirektoren, Freifrauen und Träger des Eisernen Kreuzes siedelt seit je das FAZ-Feuilleton. Es ist ja wie ein Friedhof. Mit seinen Kernkompetenzen-Vergreisung, Sterbehilfe, Denkmalschutz-schafft es tagaus tagein ein angemessenes redaktionelles Umfeld.“ Das ist nicht rundum sachlich, aber es sitzt.

Erschienen in Ausgabe 8/2007 in der Rubrik „Chronik“ auf Seite 12 bis 13 Autor/en: Christian Bartels. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.