?! Sind Sie eine poetische Journalistin, Frau Krause-Burger?

* Überrascht, als der Anruf kam: Sie erhalten den Theodor Wolff-Preis für Ihr Lebenswerk?

Sybille Krause-Burger: Vollkommen überrascht, zumal ich ja vor fast dreißig Jahren schon einmal einen Theodor-Wolff-Preis für eine Reportage in der „Stuttgarter Zeitung“ bekommen habe – über die Beerdigung von Ernst Bloch.

* Die „Welt“ hat Sie einen weiblichen Ben Witter genannt, weil Sie wie er Personen und Fakten wie Probleme so darstellen, dass sie für den Leser wirklich greifbar und lebendig sind.

* Das Interessanteste ist und bleibt nun mal der Mensch. Und da ich mich mit Politik befasse, will ich wissen, welche Menschen sich von diesem Metier angezogen fühlen und wie sie sich darin bewähren, ob sie nur ihrer Eitelkeit oder auch der Sache dienen.

* Wie fanden Sie zu diesem Ihnen eigenen Stil?

* Das ist eine lange Geschichte. In Kürze: Es begann mit einer Serie von Porträts für die „Stuttgarter Zeitung“ über die Frauen der Landesminister, bald durfte ich aber auch über Männer schreiben, zum Beispiel über Helmut Schmidt als Wahlkämpfer. Unverhofft beauftragte mich ein großer Verlag, ein Buch über den Kanzler zu verfassen. Daraus ergaben sich dann immer wieder neue Porträts, wobei mir zugute kam, dass ich mehr Zeit mitbrachte als die Mehrzahl der Bonner Korrespondenten und dass ich Minister wie Herbert Ehrenberg tagelang begleiten oder mit Hans Dietrich Genscher durch die Welt reisen konnte. Zudem war ich als Frau fast allein auf diesem Feld. Auch das half.

* Sie haben auch journalistische Ausflüge in die Wirtschaft …

* … oh ja, das war eine ganz neue Erfahrung. Uwe Vorkötter, damals Wirtschaftschef der „Stuttgarter Zeitung“, meinte, es müsse mir doch gelingen, bei Alfred Herrhausen einen Termin zu bekommen. Es gelang tatsächlich, und er hat sich drei Stunden Zeit genommen. Die Herrhausen –Geschichte, die ich danach schrieb, war dann der Auftakt zu einer langen Kette von Portraits über die Mächtigen der Wirtschaft.

* Haben Sie da Parallelen entdeckt zwischen den Mächtigen in der Politik und in der Wirtschaft?

* Ja und nein. Politiker müssen gewählt werden, Manager werden von ihrem Aufsichtsrat auserkoren. Politiker sind also sehr interessiert daran, dass man über sie schreibt. Manager wollen vor allem, dass man ihre Firmen und deren Produkte lobt. Sie sind viel mehr auf Abwehr eingestellt, wenn man hinter ihre Masken schauen will. Als sehr schwierig erwies es sich zum Beispiel, mit Heinrich von Pierer zu sprechen. Er sagte nichts, also schrieb ich eine Geschichte darüber, wie einer nichts sagt. Das hat er mir übel genommen. Denn eitel sind Politiker und Manager gleichermaßen.

* Sie haben Bücher über Sozialdemokraten geschrieben, aber keins über Christdemokraten oder Liberale. Zufall?

* Es hing, was die Biographien angeht, einfach von den Aufträgen der Verlage ab. Aber ich habe auch ein Buch über das Kabinett der Regierung Kohl geschrieben und darin einen langen Aufsatz über diesen Kanzler – im Übrigen einen unter mehreren.

* Und das Buch über Joschka Fischer?

* Das hat mir viel Spaß gemacht. Es ist ja eine Art Entwicklungsroman daraus geworden. Nicht zuletzt weil ich in Stuttgart lebe, konnte ich die Wurzeln dieser Vita hier im „Ländle“ gut ausgraben. Aber natürlich war es auch spannend zu verfolgen, wie Joschka Fischer in seiner Pubertätskrise, die mit der Studentenrevolte zusammenfiel und dadurch verschärft wurde, dem Abgrund nahe kam und dann eine erstaunliche Karriere machte. Er ist ein Mensch, der sich immer wieder neu erfindet.

* Sie bewundern ihn?

* Das nun wirklich nicht. Dazu ist er zu selbstverliebt und zu selbstherrlich. Aber man muss ihm anrechnen, dass er aus den antiparlamentarischen Grünen eine parlamentarische Partei, ja sogar eine Regierungspartei gemacht hat. Das ist im Wesentlichen sein Verdienst.

* Ist Schreiben für Sie eine Qual oder Vergnügen?

* Schreiben ist die Hölle, geschrieben haben der Himmel, das hat ein Kollege einmal gesagt. Da ist etwas dran. Das Hegelwort von der „Anstrengung des Begriffs“ sagt, was ich meine. Dazu gehört auch das Glück, den Begriff gefunden zu haben.

* Sehen Sie sich auch als journalistische Poetin?

* Das wäre zu hoch gegriffen. Aber jeder in diesem Beruf darf literarisch begabt sein.

* Er sollte es sogar, wenn er Kolumnen schreibt …

* Unbedingt, denken Sie an Tucholsky: ein großer Journalist und ein literarisches Talent. Oder Erich Kästner. Ich vergleiche mich nicht mit ihnen, aber sie sind immer Vorbilder gewesen. Und natürlich freue ich mich, wenn mir etwas Hübsches einfällt. Das halte ich für normal und angemessen.

* Kämpfen Sie mit der schönen Formulierung?

* Ich versuche den Anfang schon im Kopf zu haben, bevor ich mich an den PC setze. Oft habe ich die ganze Kolumne schon durchdacht. Und wenn ich mich über etwas sehr ärgere, fällt es mir leichter, griffige Formulierungen zu finden.

* Darum nannten Sie sich selbst eine „Wadenbeißerin“ …

* Ja, im Vergleich zu Manfred Rommel, dem ehemaligen Stuttgarter OB, mit dem im Wechsel ich die Kolumne schreibe. Einmal er, einmal ich. Er gibt den Philosophen, und ich sehe mich in der Rolle der „Wadlbeißerin“.

* Sie bezeichnen sich als teilnehmende Beobachterin. Nehmen Sie also auch Anteil?

* Sagte ich das? Ich beobachte eher aus der Distanz, mit großer Neugier, wenngleich nicht gefühllos. Aber ich zähle mich nicht zu den Gutmenschen, wenn Sie das meinen.

* Dürfen Journalisten ein Sendungsbewusstsein haben, Missionare sein?

* Auf keinen Fall. Dann nehmen sie die Wirklichkeit nicht wahr, sehen nichts, hören nur, was sie hören wollen, und man weiß immer schon im Voraus, was sie schreiben werden. Das ist todlangweilig. Journalisten sollen informieren, aufklären, zum Denken. anregen, Beobachtungen weiterreichen, die der normale Bürger nicht machen kann, und sich an jedem Thema wieder neu eine Meinung bilden.

* Sie sind Zeitzeugin der Bonner und der Berliner Republik. Jetzt haben Sie aber auch Ihre ganz persönliche Vergangenheit aufgearbeitet.

* Es handelt sich mehr um die Geschichte meiner Eltern, ihrer Geschwister und meiner Großeltern. Es ist die Geschichte einer Familie, deren jüdische Teile im Dritten Reich in alle Welt verstreut oder ermordet wurden. Ein sehr authentisches Stück Zeitgeschichte – für mich vielleicht die interessanteste und gewiss die bewegendste Arbeit in meinem Leben.

Interview:

Wilm Herlyn ist Chefredakteur der dpa und Mitglied der Theodor-Wolff-Jury.

Erschienen in Ausgabe 8/2007 in der Rubrik „Best of Theodor-Wolff-Preis 2007“ auf Seite 52 bis 53. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.