Sprechstunde

Wird die „SZ“ unseriöser?

Dr. Med.: Das Café „Einstein Unter den Linden“ in Berlin ist der Ort, wo man meist gar nicht mehr unterscheiden kann, ob es sich bei den Männern mit saturiertem Bäuchlein und schlecht sitzenden Anzügen um Mitglieder des Bundestages oder um Angehörige der umliegenden Parlamentsredaktionen handelt. Man ist hier nicht nur geschmacklich ganz eng beieinander, sondern auch räumlich. Sogar so nah, dass die „Süddeutsche“ (SZ) neulich einen neuen Kreis von konservativen „Jedi-Rittern“ innerhalb der CDU am Nachbartisch auszumachen meinte und einen großen Artikel darüber schrieb, dass einige junge Parteimitglieder wie Junge Union-Chef Mißfelder und sich jung fühlende wie Markus Söder das konservative Profil der Partei in einer neuen Runde schärfen wollen. „Fest zugesagt hat auch der niedersächsische CDU-Fraktionschef David McAllister, ein enger Vertrauter von Ministerpräsident und Partei-Vize Christian Wulff“, vermeldete die „SZ“ – und auch Christian Baldauf, Fraktionschef aus Rheinland Pfalz, solle dabei sein. Schon am nächsten Tag erwies sich das Ganze als Luftnummer. Sowohl McAllister als auch Baldauf distanzierten sich, übrig blieb das Gefühl, dass sich selbst seriöse Tageszeitungen im zunehmend erratischen Geschäft der Parlamentsberichterstattung schnell vereinnahmen lassen. Die „SZ“-Leser erfuhren von der Korrektur übrigens nichts.

Wie lange gibt es noch „Park Avenue“?

Dr. Med.: „Park Avenue ist das beste Magazin der Welt“, war neulich im Editorial von „Park Avenue“ zu lesen, und danach folgte der Satz: „Natürlich ist das gelogen – aber steckt nicht in jeder Lüge ein Fünkchen Wahrheit?“ Nein, in diesem Fall steckt nicht einmal das kleinste Fünkchen Wahrheit darin. Eher schon ist das Magazin so schlecht, dass man es kaum glauben kann. Neulich las ich, dass die Auslandsauflage des Blattes ordentlich zugelegt habe. Am selben Tag habe ich mir „Park Avenue“ am Flughafen von Zürich gekauft und mich geärgert, dass wenig später, am Gate, Hunderte von Gratis-Exemplaren lagen. Egal. Ich ging mit dem festen Vorhaben, das Blatt gut zu finden, an die Lektüre. Aber es ging nicht. So sehr ich mich um einen unvoreingenommen Blick mühte, es gab nichts, was man lesen mochte. Nur den x-ten Artikel über die Sansibar in München oder über irgendeinen halbseidenen deutschen Millionär, dessen Haut in Miami in der Sonne vor sich hinschrumpelt. Und so stimmte wenigstens ein weiterer erstaunlicher Satz am Ende des Editorials: „Das Wichtigste aber steht auch diesmal nicht in diesem Heft.“ (Darauf folgte der Schleimspurzusatz: „Das Wichtigste sitzt davor: Willkommen liebe Leserin, lieber Leser.“) Vielleicht ist die Auslandsauflage von „Park Avenue“ deshalb gestiegen, weil man dort nicht versteht, was drinsteht?

Gibt die „FAZ“ ihren Kultfaktor auf?

Dr. Med.: Wie man weiß, überlegt man ja bei der „FAZ“ nach der revolutionären Einführung der Schmuckfarbe Rot, ob man nicht in Zukunft die Frakturschrift auf der ersten Seite abschafft. Und ob man nicht überhaupt moderner aussehen sollte. Was schade wäre, denn ehrlich gesagt, ist die „FAZ“ in der marktforschungsgetriebenen Branche, wo sich Journalisten freiwillig auf Augenhöhe mit den Lesern begeben und vor lauter Angst, dessen Gunst zu verlieren, jedes Blatt meinungstechnisch und thematisch rund schleifen, die letzte Bastion. Hier nimmt man sich das Recht heraus, Themen und Meinungen zu präsentieren, die nicht woanders stehen. Und sich eben auch nicht optisch anzubiedern. Oder drücken es wir mal in den Worten eines „FAZ“-Redakteurs aus: „Die FAZ ist wie eine Eisdiele, die noch eine Originalausstattung aus den 50er-Jahren hat – und kurz bevor das zum Kult wird, alle rausreißt und sich eine 80er-Jahre-Dekoration zulegt.“

Dreht Alice Schwarzer jetzt völlig durch?

Dr. Med.: Ich weiß, es ist viel darüber geschrieben worden, dass es fruchtbar ist, dass Alice Schwarzer für „Bild“ Werbung macht. Aber ehrlich gesagt: Wen konnte denn das noch verwundern?

Wer weiß, mit wie viel Eitelkeit die Schwarzer-Biografin Bascha Mika zu kämpfen hatte, und wer zudem weiß, dass Alice Schwarzer in ihren „Emma“-Interviews zuweilen in der dritten Person von sich selbst redet (etwa gegenüber Franka Potente), der ahnt, dass der Tag nicht mehr weit ist, dass sich Schwarzer für den „Playboy“ auszieht.

Wird Ulf Poschardt Bürgermeister von Berlin?

Dr. Med.: Gut möglich. Jedenfalls hat er anlässlich der Fashion Week schon mal eine erste Kostprobe seiner Fähigkeit zu diesem Amt vorgelegt. Im Magazin der Modemesse kam gleich nach der weitgehend gedankenfreien Grußadresse des tatsächlichen Bürgermeisters Klaus Wowereit („Die Berlin Fashion Week geht in die nächste Runde“) die Ansprache des gefühlten Bürgermeisters Ulf Poschardt, der sich bei seiner Arbeit bei „Vanity Fair“ selbst von hämischen „Spiegel“-Artikeln nicht aus dem Gleichgewicht bringen lässt. Jedenfalls lobte er die Villenkultur in seinem Wohnbezirk Zehlendorf als Prachtstück einer bürgerlichen Modernität. Das Berlin heute, so Poschardt, habe „viele Akteure, die zu wenig Vorstellung von der Größe des Vermächtnisses dieser Stadt haben“. Ferrari-Fan Poschardt, der viele Jahre in München lebte, hat diese Vorstellung als Schlossbefürworter und Kämpfer für ein Tempolimit auf der Avus zweifellos. „Nirgendwo ist die Wut, zeitgenössisch wirken zu wollen, nachhaltiger implantiert in dem ebenso düsteren wie bezaubernden Moloch Berlin“, so Poschardt. Das klingt doch schon nach Amtswechsel. Denn, wenn das 90er-Jahre-Blatt „Vanity Fair“ eins nicht ist: dann zeitgenössisch.

Dr. Med. alias Oliver Gehrs, freier Journalist in Berlin, beantwortet in der „medium magazin“-Sprechstunde regelmäßig Leserfragen zur Medienbranche. Fragen bitte per eMail an redaktion@ mediummagazin.de

Erschienen in Ausgabe 8/2007 in der Rubrik „Journaille“ auf Seite 14 bis 17. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.