Sterne & Schnuppen

Karl Dall sitzt in der Hamburger U-Bahn und liest den „Spiegel“. Urlauberin Manuela K. (42) hat sich im Urlaub auf Fuerteventura in der Sonne ihre Haut rot verbrannt bis auf die weiße Aussparung durch den Badeanzug. Ein weithin unbekannter Zeitgenosse namens Martin Rose gräbt seinen Garten um. Ein Kinderarzt heißt laut Praxisschild M. Neugebohren, eine Krankengymnastin Karin Knackfuß. Von allen diesen Sachverhalten gibt es Fotos. Leser haben sie gemacht, unter der Nummer „1414“ oder per e-Mail nach Hamburg geschickt – und „Bild“ hat sie im Monat Juni in der Bundesausgabe millionenfach gedruckt und jeweils 500 Euro dafür gezahlt. Zu besichtigen sind alle diese Zeugnisse des Alltags auch unter bild.t-online.de im Internet, und hier können die User auch die Aufnahmen kommentieren. So meint Lara83 zum umgrabenden Martin Rose neidisch: „Dafür gab es 500 Euro? Ich hab‘ auch noch tolle Bilder wie ich Blumen pflanze“. Bei den langen Bilder-Serien sonnenverbrannter Körper fühlen sich viele Betrachter zu schlüpfrigen Äußerungen animiert – „Bild“ scheint ganz in ihrem Element.

Seit dem 12. Juli 2006 veröffent-licht. Europas größtes Massenblatt Fotos von Lesern. Innerhalb eines Jahres wurden insgesamt 3.894 Leserreporter-Fotos gedruckt. Im Durchschnitt kommen heute täglich 400 Aufnahmen, an Spitzentagen sind es bis zu 2.500. Am liebsten sind den „Bild“-Machern Fotos, die die nachrichtliche Relevanz der Leserbeteiligung unter Beweis stellen – so wie die erste Aufnahme vom Transrapid-Unglück im Emsland im September 2006. „Die Bilder der Leserreporterin waren über Stunden die einzigen Aufnahmen der Tragödie“, erklärt „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann, „sie wurden als Eilmeldung von den Nachrichten-Agenturen übernommen und erschienen am nächsten Tag in etlichen Zeitungen.“

Oder die Blitz-Serie, die von einem Leser stammt, der auf seinem Balkon stehend ein Gewitter filmte, als plötzlich ein Blitz nur wenige Meter neben ihm in eine Pappel einschlug. „Nach der Veröffentlichung bat uns das Hamburger Institut für Baumpflege um den Film, um ihn zu Vorführungszwecken zu nutzen – so außergewöhnlich waren die Aufnahmen“, sagt Diekmann als Beispiel für die Relevanz der „1414“-Ausbeute. „Beide Fotos stehen für die, 1414′-Reportern weil sie zeigen, dass auch wichtige nachrichtliche Bilddokumente oft Zufallsprodukte sind“, so der Chefredakteur. Kein Zweifel, solche Sternstunden der Leserbeteiligung gibt es vereinzelt, auch wenn die Masse der im Blatt und vor allem im Internet veröffentlichten Aufnahmen eine weit banalere Sprache sprechen. Das gesamte Material, das in Hamburg einläuft, wird sowohl von der „Bild“-Zeitung auf Druckbares durchsucht, die dafür zahlt (immerhin noch 100 Euro für Abdruck in einer der 22 Regionalausgaben), aber auch von im selben Büro arbeitenden Kollegen von bild.t-online.de, die Fotos ins Netz stellen, ohne Honorar zu zahlen. „Die arbeiten eng zusammen, es sind aber zwei getrennte Redaktionen“, sagt Springer-Sprecher Tobias Fröhlich.

Vor einem Jahr ging ein Aufschrei durch die Medienwelt, von Ermutigung zum „Volks-Paparazzitum“ war die Rede, das auch noch den zu geringeren Sätzen arbeitenden Profi-Fotografen das Wasser abgrabe. Doch die Promis konnten bereits aufatmen – die gezeigten Leserfotos sind in der Regel harmloser Natur und zumeist in aller Öffentlichkeit entstanden, nicht wie befürchtet durchs Schlüsselloch. Kai Diekmann sieht das als Erfolg: „‚1414‘ hat die deutsche Medienlandschaft enorm bereichert, die inhaltliche Vielfalt einer Zeitung profitiert unheimlich von Leserreportern. Sie nehmen den Profis nichts weg, sondern schaffen ein zusätzliches Angebot.“

Andreas Spaeth ist freier Journalist in Hamburg und Redaktionsmitglied von Medium Magazin. eMail: autor@mediummagazin.de

Erschienen in Ausgabe 8/2007 in der Rubrik „Fotos des Monats“ auf Seite 6 bis 7 Autor/en: Andreas Spaeth. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.