Test gelungen?

Die Fragen:

1. Halten Sie das neue formale und inhaltliche Konzept der „Frankfurter Rundschau“ für zukunftsweisend ?

2.Welche Rolle spielt für Ihre eigenen Medien eine gezielte Ansprache von Frauen und Jugendlichen?

„Richtige Entscheidungen“

Fried Gehring, Chefredakteur und Verleger „Die Glocke“, Oelde

1. In der besonderen Situation der „Frankfurter Rundschau“ scheinen mir die Umstellung auf Tabloid sowie die inhaltlichen Veränderungen die richtigen Entscheidungen für die Zukunft zu sein. Alle diesbezüglichen Überlegungen präsentierten sich gut durchdacht.

2. Die Interessen der weiblichen Leser der „Glocke“ werden einerseits durch die gute Besetzung der Ressorts mit Redakteurinnen berücksichtigt. Andererseits finden sich spezielle Themengebiete wie Mode, Lebensart, Beauty und Gesundheit auf Sonderseiten wieder.

Die jüngsten Leser der „Glocke“ werden durch die Kinderseite „Spielplatz“ angesprochen. Malwettbewerbe, Aufrufe zum Geschichtenschreiben und Quizaktionen lösen eine hervorragende Resonanz aus. An Jugendliche richtet sich die Seite „Szene“, bei deren Gestaltung besonderen Wert auf die Einbeziehung der 14-bis 18-Jährigen gelegt wird. Insbesondere sind alle Cross-Media-Aktivitäten der „Glocke“ so ausgelegt, dass hierdurch nicht lesende Jugendliche an das Blatt he-rangeführt und jugendliche Leser an die Zeitung gebunden werden.

„Noch unentschieden“

Thomas Fricker, stellv. Chefredakteur „Badische Zeitung“, Freiburg

1. Die „FR“ hat es geschafft, gegen das scheinbar zementierte Image eines drögen, miesepetrigen, linkem Traditionalismus verhafteten Blattes anzugehen. Alle Achtung! Der frische Rhythmus im Blatt mit Tagesthema, Meinungsseite, oft gut gestalteten Titel- und Ressortaufschlagseiten vermittelt Modernität. Ob daraus allerdings die neue, hippe Zeitung für junge und weibliche Leser/innen wird, steht dahin. Bisher scheint mir das Blatt noch zu unentschieden gemacht. Seiten mit klaren Schwerpunkten folgen immer noch textlastige Nachrichtengräber. Die klare Linie, was die Redaktion für wichtig hält und dann auch entsprechend attraktiv präsentiert, wird nicht durchgehalten. Dabei verlangt das Tabloid-Format genau dieses.

2. Trotz der Frauenseite, die wir früher als Gegengewicht zum besonders üppigen Sportteil montags im Blatt hatten, wurde unser Blatt häufig als „zu männlich“ wahrgenommen. Deshalb gab es Arbeitsgruppen und Inhaltsanalysen speziell von Redakteurinnen sowie Projekte wie die Produktion einer „BZ“-Frauenausgabe, für die Gastautorinnen und Redakteurinnen den „anderen Blick“ von Frauen aufs Nachrichtengeschehen eines Tages richteten. Ganz anders war dieser Blick dann im Ergebnis zwar nicht. Wohl aber änderte sich die Perspektive: In vielen Geschichten wurde die Rolle der beteiligten Frauen sichtbarer. Den „anderen Blick“ hat die Redaktion seitdem nicht zu hundert Prozent verinnerlicht, mitgedacht wird er beim Blattmachen dennoch. Junge Leser an die Zeitung zu binden, gehört fraglos zu den größten Herausforderungen für jede gedruckte Tageszeitung. Selbst wenn ein Verlag mit verstärkten Online-Aktivitäten mittelfristig die Perspektive schafft, eine jüngere Zielgruppe im Internet zu erreichen, muss er ein Interesse daran haben, dass die Leserschaft des Printproduktes nicht hoffnungslos vergreist. In der „BZ“ produziert deshalb eine Redakteurin eine wöchentlich erscheinende Jugendseite mit erwachsenen Redakteuren und Jugendlichen. Zusätzlich schreiben Jugendliche in der Rubrik „Enter“ mal in der Politik, Kultur oder im Landesteil darüber, was ihnen auf den Nägeln brennt, ob Alkoholexzesse in Diskos oder Lehrermobbing im Internet. Daneben legt die „BZ“ großen Wert darauf, schon Grundschüler für die Zeitung zu gewinnen. Bereits im vierten Jahr läuft ein Projekt „Zeitung in der Schule“, mit derzeit 146 Klassen. Flankierend erklären wir in der Rubrik „Erklär´s mir“ quer durchs Blatt kindgerecht die Frage des Tages, zum Beispiel „Wie schalte ich eigentlich ein Atomkraftwerk ab?“ . Auch Erwachsene schätzen übrigens die Erklärungen, die anschaulicher sind als viele in der normalen Zeitungssprache abgefassten Beiträge. Eine Kinderseite im Wochenendmagazin rundet derzeit unser Angebot speziell für Kinder ab.

„Praktisch und ästhetisch“

Michael Ludewig, Mitglied der Chefredaktion dpa, Hamburg

1.Das Konzept Halbformat ist eine wichtige Option für das Medium Zeitung. Das neue Format der „FR“ ist praktisch und ästhetisch, und es zwingt dazu, klare Schwerpunkte zu setzen, denn eine Seite trägt nicht mehr als ein großes Thema. Wenn es stimmt, was die Marktforscher sagen, dass das Halbformat vor allem bei Frauen und jüngeren Lesern gut ankommt, dann sollte das auch Einfluss auf die Themenauswahl und die inhaltliche Gestaltung haben. Dass die Zeitung jünger und weiblicher wird, ist bei der „FR“ zumindest vorerst nicht richtig erkennbar. Das eher vorsichtige Herantasten an inhaltliche Veränderungen ist allerdings verständlich angesichts des schwierigen Spagats zwischen der Sicherung des Stammpublikums und dem Werben um neue Leser.

2. Eine zu deutliche Zielgruppenorientierung widerspricht dem Auftrag der Nachrichtenagentur, jedenfalls in dem Bereich der „general news“. Dafür sind unsere Nutzer viel zu verschieden. Aber wir erkennen, dass bei unseren Kunden diejenigen Themen an Akzeptanz und Bedeutung gewinnen, die einen direkten Bezug zum Alltagsleben von Lesern haben. Das sind oft sogenannte weibliche Themen – von Bildungschancen für Frauen über das Spannungsfeld zwischen Beruf und Familie bis zur Integrationsdebatte aus dem Blickwinkel von Migrantinnen. Die Ansprache erfolgt also über die Themenauswahl. Der viel diskutierte Ansatz, Leserinnen über eine stärkere Emotionalisierung zu erreichen, scheidet für die Agentur aus. Zum Glück. Denn das enthebt uns der Notwendigkeit zu prüfen, ob die These überhaupt stimmt, dass Frauen eher gefühlig und Männer mehr über Fakten zu erreichen seien.

Mit dem neuen Angebot dpa-Nachrichten für Kinder setzen wir bei den ganz jungen Lesern an. Die Redaktion der Kindernachrichten beschreibt und erklärt das Weltgeschehen und gibt Antworten auf Fragen, die Kinder interessieren – über Schule und Familie, Musik und Sport, Umwelt und Technik. Die Themen für die etwas älteren Jugendlichen finden sich dann schon in unseren erwachsenen Diensten, wie den Basis- und Landesdiensten oder in den Ratgeberstücken des Themendienstes.

„Frischeres Konzept“

Axel Ehrlich, Chefredakteur „20 Cent“/“Potato“, Saarbrücken

1. Radikaler Formatwechsel, frischeres inhaltliches Konzept-das ist womöglich die einzige Chance für die „FR“, aus der Sackgasse wieder herauszufinden. Und gleichzeitig ein öffentliches Experiment, von dessen Erkenntnissen-positiv oder negativ-andere Pressehäuser profitieren können. Wenn junge Nichtleser sich einem Produkt zuwenden, dann eher einem in Look und Feel + Inhalt moderneren, wie der „FR“, als einem althergebracht-konservativen.

2.Der Anteil weiblicher Leser bei „20cent Saar“ beträgt 43 Prozent. Ein für Kaufzeitungen überdurchschnittlich hoher Wert. Wir führen das auf unsere Themenmischung und-aufbereitung zurück, z. B. emotionale Aufbereitung „trockener“ Sachverhalte, viel Service und Lebenshilfe im Blatt. „20cent“ als Spezialfall in der deutschen Tageszeitungs-Landschaft liefert ein Komplett-Angebot, das die Lebenswelt der jungen Leser abbildet. Von speziell aufbereiteten News und Polit-Themen über alles rund um Handy, Computer, Spiele, Liebe & Sex, Schule, Uni, Partys, Musik, Veranstaltungen und Konzerte… Und das alles crossmedial aufbereitet. Mit diesem Konzept erreichen wir erfolgreich die Menschen, die sich in dem eher traditionellen Angebot der klassischen Abozeitung nicht oder nicht ausreichend wiederfinden.

„Voll überzeugt“

Dieter Schreier, Chefredakteur „Hanauer Anzeiger“, Hanau

1.Mich hat das Konzept und das Ergebnis voll überzeugt. Sicher passt das nicht für jede Zeitung. Die „FR“ ist hier aber den für s
ie richtigen Weg gegangen. Beeindruckt hat mich der Mut, aber auch das Tempo der Umsetzung. Keine Frage: Die „FR“ ist jünger geworden, sicher auch weniger auf den klassischen Zeitungsleser (Männer zwischen 40 und 70) fixiert.

2.Vermutlich sind die Interessen weiblicher Leser genauso vielfältig und schwer zu definieren wie bei den Männern. Voraussetzung ist sicher eine „weibliche Sicht“ der Dinge und die fängt mit dem Personal an. Wir haben im Rahmen unserer Möglichkeiten in den letzten Jahren den Frauenanteil in der Redaktion und bei den freien Mitarbeitern erhöht. Und das merkt man erfreulicherweise bei den Inhalten. Inhaltliche Fragen sind vor allem Organisations- und Strukturfragen. Da reformieren wir derzeit kräftig. 2008 wollen wir im Rahmen unseres längst überfälligen Relaunches statt der bisherigen wöchentlichen Jugendseite junge Themen kontinuierlich im Blatt haben. Den Anfang werden wir aber in diesem Jahr mit der Ausweitung des Kinderangebotes machen, das sich bisher ebenfalls auf eine (sehr beliebte) Seite pro Woche beschränkt.

Tipp:

Mehr Infos zu Kinderkonzepten und der „weiblichen Sicht“ im Journalismus gibt es in mediummagazin Ausgabe 10/2007 im September.

Erschienen in Ausgabe 8/2007 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 26 bis 27. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.