Tunnelblick im Feuilleton

Menefreghismo“, wie die Italiener sagen, lässt sich nur schwer ins Deutsche übersetzen: Gleichgültigkeit oder Desinteresse kommen seiner Bedeutung wohl am nächsten. Das Wort umschreibt jene Stimmung, bei der es keine Unterscheidung von Wichtig und Unwichtig, von Pflicht oder Laissez faire gibt. Nur was Karriere, Gesundheit, Lust und Laune fördert, hat Bedeutung. Alles andere: me ne frega niente. Jeder kennt Beispiele, wir wenden uns mal dem deutschsprachigen Feuilleton zu.

Zuständig für das, was in den „harten Ressorts“ irgendwie keinen Platz findet, interessiert sich der Feuilleton-Journalist buchstäblich für alles: von der hell funkelnden Hochkultur bis in die tiefsten Niederungen einer Billig-Soap-Opera, von den Hintergründen weltgeschichtlicher Top-Events bis zu den Abgründen des alltäglichen Wahnsinns, vom Nobelpreis in Stockholm bis zur Stadtschreiber-Ehrung in Telgte. Nichts von dem soll geringgeschätzt werden. Dennoch gibt es auf dem horizontlosen Territorium des jung-fidelen Feuilletonisten offensichtlich Schattenplätze, die ihn einfach nicht interessieren: „Me ne frega niente.“

Alles Träumer? Werden wir konkreter: Seit Jahren existiert ein ermutigend dichtes internationales Solidarnetz zwischen Organisationen wie „Reporter ohne Grenzen“, „Amnesty International“, „PEN“ und diversen kleineren Initiativen für den Erhalt der Presse- und Meinungsfreiheit. Journalistinnen und Journalisten aus fast allen klassischen und neueren Ressorts der Medien unterrichten sich dort gegenseitig über Notfälle unterdrückter oder bedrohter Kollegen, sie sammeln Geld oder technisches Equipment für Medienprojekte auf dem Balkan, in Afrika oder Lateinamerika. Sie unterstützen auf jede erdenkliche Art Publizisten und Schriftsteller, die beispielsweise aus ihren diktatorisch geführten Heimatländern nach Deutschland geflohen sind. Und das fast immer jenseits öffentlicher Aufmerksamkeit. Im Ressort der Auslandsberichterstattung ist das Interesse an diesen Hilfsaktionen relativ hoch, in den Kulturressorts jedoch kaum vorhanden – abgesehen vielleicht von den großen Namen unter den Exil-Publizisten. Der eigenen Karriere kann ein Promi-Artikel schließlich nie schaden. Beliebt ist auch, in gelegentlichen Buchrezensionen „Haltung“ und „Anstand“ als Teil journalistischen Berufsethos‘ einzuklagen. In den Tagen nach der Ermordung von Anna Politkowskaja z. B. waren die Feuilletons voll mit Beiträgen über sie und den autoritären Putin. Doch wo wird heute noch den russischen Journalisten kontinuierlich Aufmerksamkeit geschenkt, die sich dem Druck von Bürokraten und Oligarchen nicht beugen wollen?

Zu viele Opfer … Auf den Gedanken, etwa den Angehörigen eines in seiner Berufsausübung ermordeten Journalisten ganz praktisch zu helfen – ein (geringer) Mitgliedsbeitrag oder eine einmalige Spende bei den genannten Organisationen wären probate Mittel –, kommt der emsige Feuilletonist offensichtlich noch seltener. Das ist wohl etwas für waghalsige Kriegs- und Frontreporter, für karitativ verträumte Alt-68er, für naive „Gut-Menschen“, die tatsächlich noch an die Presse- und Meinungsfreiheit glauben. Dem weit verbreiteten feuilletonistischen Zynismus und Sarkasmus aber kann man damit keinen Zucker geben. Konfrontiert etwa mit dem Schicksal eines in Kuba inhaftierten Schriftstellers, einer im Irak erschossenen Journalistin oder eines in Mexiko entführten Berufskollegen sind in Journalistenkreisen (zugegeben nicht nur im Feuilleton, aber da ganz besonders) zwei Reaktionen anzutreffen: Die Zahl der Opfer unter den Journalisten ist einfach zu hoch, um ihrer noch zu gedenken. Oder „me ne frega niente“ – was gehen sie mich an. Karriere, Auflagenhöhe oder Einschaltquote dürfen im journalistischen Alltag nicht die einzigen Kriterien sein. Vielleicht sollte man sich „in der Journalistenausbildung auch mehr an der Vermittlung moralischer Standards orientieren“, hat einmal der russische Journalist Gregorij Pasko gefordert. Und der weiß, wovon er spricht. Pasko wurde wegen seiner Recherchen über die mafiösen Zustände in der russischen Atommüllversorgung für mehrere Monate inhaftiert. Mit „me ne frega niente“ wäre ihm das nicht passiert …

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Fax 089-68 87 789

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Erschienen in Ausgabe 8/2007 in der Rubrik „Standpunkt“ auf Seite 64 bis 65 Autor/en: Carl Wilhelm Macke. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.