?! Was haben Gefühle in einem Leitartikel zu suchen, Herr Blome?

* Sie beginnen Ihren Leitartikel mit den Sätzen: „Es ist nur so ein Gefühl. Aber manchmal vermisse ich Gerhard Schröder.“ War allein Ihre Stimmung Anlass für den Text?

Nikolaus Blome: Politische Langeweile war das vorherrschende Gefühl im April 2006. Entsprechend schwer taten wir uns auf den Konferenzen der „Welt“, aus der nachrichtenarmen Lage interessante, kommentarwürdige Themen zu filtern. Dieses Gefühl hat sich nach und nach verdichtet, und ich fragte mich: Geht es hier nur um die Langweile einer krawallverliebten Journaille oder steckt mehr dahinter, etwas Grundsätzliches? Da es damals zu meinen Aufgaben gehörte, alle paar Tage die politische Lage zu kommentieren, habe ich mich irgendwann hingesetzt und mir das von der Seele geschrieben.

* … und das Schreiben ging dann in einem Rutsch?

* Gemeinhin gelten Leitartikel ja als die hohe Kunst der Kopfgeburt. Aber die Idee zu diesem Stück kam eindeutig aus dem Bauch, und ich finde, das dürfen solche Texte auch. Sie bringen einen anderen Ton in die Debatte, und sind trotzdem ein valabler Beitrag.

Wenn ich mich recht erinnere, hatte ich vier Fünftel des Textes auf einmal fertig. Dann habe ich über ein paar Tage hinweg noch an Details gefeilt: Mal habe ich einen Satz weggenommen, mal einen Gedanken dazugeschrieben. Es war also kein Text, der in die übliche Tagesproduktion eingefügt war.

* Haben die Kollegen den entstehenden Text gelesen und Änderungen angeregt?

* All die Gespräche, die wir in jenen Tagen führten, sind in den Text irgendwie eingeflossen. Die Kollegen der „Forum“-Seiten der „Welt“ haben den fertigen Text natürlich gegengelesen, dann wurde er ohne nennenswerte Änderungen gedruckt.

* Ein Absatz beschäftigt sich mit der Meinung des stellvertretenden „Stern“-Chefredakteurs Hans-Ulrich Jörges zum Politikstil der Koalition. Interessiert das nicht eher die Journalistenkollegen als die Leser?

* Es ging mir um die Tatsache, dass Hans-Ulrich Jörges in seiner Wochen-Kolumne den neuen, stillen Stil der Großen Koalition überschwänglich lobte. Unter dem Strich sah er die allgemeine Langweile als die große Wende in der politischen Kultur des Landes. Das fand ich deutlich zu hoch gegriffen. Deshalb war das Beispiel wichtig für meine Argumentation: „Stille“ kommt von „Stillstand“. Damit ist dem Wähler nicht gedient und der politischen Kultur auch nicht. Ich bin der Meinung, dass Streit die Grundbedingung von Demokratie ist.

* Würden Sie den Leitartikel heute nochmals so schreiben?

* Die Passagen über Streitkultur sind nach wie vor gültig. Ich verstehe Wähler nicht, die einerseits von der Politik die bestmögliche Lösung samt Durchsetzung erwarten, andererseits die Auseinandersetzung darum nicht goutieren, Politiker dafür sogar abstrafen.

Aber die Große Koalition hat einiges geleistet, seit der Leitartikel erschienen ist. Zwischenzeitlich musste man sich über Stillstand nicht beklagen. Allerdings könnte sich der Kreis bald wieder schließen: Wenn Union und SPD ihre grundsätzlichen Unterschiede wie jüngst beim Mindestlohn nicht überwinden, aber trotzdem zusammenbleiben, dann stehen uns zwei ziemlich langweilige und inhaltsarme Jahre bevor.

* Welche Beziehung pflegten Sie eigentlich zu Gerhard Schröder zu der Zeit, als er noch Regierungschef war?

* Sie ging nicht über die übliche Beziehung zwischen Politiker und Berichterstatter hinaus. Er hat meiner Meinung nach nicht wenige widersinnige Entscheidungen getroffen, und seinen Politikstil muss man wahrlich nicht angenehm oder appetitlich finden. Aber beeindruckend war er allemal, gerade in Wahlkämpfen. Es gibt nicht viele Politiker von Schröders Sorte – in meinem Leitartikel habe ich ihn deshalb den „letzten politischen Straßenfußballer“ genannt. Dass er auf den Arbeitsmarktreformen bestand, obwohl er sein Amt damit aufs Spiel setzte – davor ziehe ich den Hut.

* Haben Sie von Kollegen und/oder Lesern Reaktionen auf den Leitartikel bekommen?

* Ja, es gab eine ganze Menge Reaktionen. Wenn ich mich richtig erinnere, durchweg positiv. Das mag damit zusammenhängen, dass die Kollegen damals das Grundgefühl des Stückes – die gewisse Langeweile – teilten. Und zwar ganz unabhängig von ihrer politischen Einstellung.

* An einer Stelle vergleichen Sie das Verhältnis der Großen Koalition „zu politischem Streit wie ein Eimer schnell bindender Zement zu den darin steckenden Füßen eines Mafioso“. Nicht gerade ein nahe liegender Vergleich … Waren dieses und andere Bilder spontane Eingebungen oder Ergebnis intensiver Grübelei?

* Ich glaube, das meiste kommt aus dem Bauch, mehr oder minder spontan. An manchen Passagen feilt man erfahrungsgemäß aber länger, bis ein Sprachbild oder eine Wendung wirklich sitzt, also etwas wirklich anschaulich macht.

* Wie würden Sie selbst Ihre Sprache beschreiben, worauf kommt es Ihnen an?

* In diesem Fall: auf Unterhaltung und politische Aussage zugleich. Die Sprache sollte schnörkellos sein, direkt und möglichst viel auch von dem Grundgefühl transportieren, von dem wir schon sprachen – dem seltsamen Unbehagen mit dem anfänglichen Stil der Großen Koalition.

Interview: Eva Keller

Erschienen in Ausgabe 8/2007 in der Rubrik „Best of Theodor-Wolff-Preis 2007“ auf Seite 50 bis 50. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.