Bionade und andere Köder

Dolomiten-Ego

Unter großem Hallo fand nun auch im Privatfernsehen statt, was in sonstigen Sektoren der Medienbranche meist schon vollzogen wurde: die Ablösung der „Paradiesvögel“ durch Controller. Erst ging Mitte August der Mediendarling und „große Zampano“, das „Stehaufmännchen“, der „Regenmacher“ („FAZ“ jeweils), der „Lautsprecher“, „Mister Pay“, „der leidenschaftliche Skifahrer, Bergsteiger und Golfspieler“ („SZ“ jeweils), „ausgestattet mit einem Ego so kühn wie die Gipfel der Dolomiten“ („FAZ“ wiederum) usw. usf.: Georg Kofler, der gute Laune auf Fotos so schön zum visuellen Ausdruck bringen kann wie kaum einer sonst im deutschen Sprachraum. Am Tag seines Abgangs strahlte er gleich drei Mal vierfarbig in der gedruckten „FAZ“ – auch das wahrscheinlich einmalig und wird sich wahrscheinlich im Maschinenbau nicht wiederholen.

Angler-Latein

Als kurz darauf „FTD.de“ das Thema „Betriebswirte verdrängen Medienzampanos“ als Fotoschau zum Durchklicken aufbereitete, war unter zehn der nicht dabei, der gerade auf Seite 2 des „Zeit“-Magazin-Doppelcovers einen jener Bälle, die einst das Logo des Kuschelsenders Sat.1 waren, zerplatzen ließ: Roger Schawinski. Das Heft brachte einen achtseitigen Vorabdruck aus seinem Buch „Die TV-Falle“, mit dem es der Ex-Sat.1-Chef nach eigenen Angaben („Spiegel“-Interview) als Erster „in der TV-Landschaft gewagt hat zu beschreiben, wie Fernsehen und seine Macher ticken“. Oder mit dem er sich kontrolliert als im aufziehenden „Controller-Fernsehen“ gescheiterter vorletzter Paradiesvogel des Privat-TV inszeniert. Eine seiner zentralen Erkenntnisse: „Wir hatten gehofft, dass der Köder diesmal dem Fisch und dem Angler zugleich schmecken würde, aber wir Macher hatten den Schmaus vorwiegend mit unserem eigenen Gaumen abgeschmeckt.“

Dass das oft verkürzte berühmteste Zitat des Ur-Paradiesvogels Helmut Thoma im Kontext lautete: „Der Wurm muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler. Und wir diskutieren aus der Angler-Perspektive. Es war das Missverständnis in vielen öffentlich-rechtlichen Anstalten, dass sie glaubten, ihr eigener Geschmack müsse auch der der Masse sein“ (1990 im „Spiegel“, auch bei www.helmutthoma.de), machte nichts. Schawinski war massenhaft in allen Medien – von der „Bunten“ über die „FAZ“ bis zum nächsten „Zeit“-Magazin. In der etwas irrigen Annahme, Schawinski hätte bestritten, dass es gute US-Serien gäbe, ließ Josef Joffe sich zu einer Replik hinreißen.

Und fast alle fanden zumindest etwas gut: „Witz oder gar Lachen über sich selbst, das ist diesem Buch fremd. Desto größer ist das Gelächter des Lesers“ (Arno Widmann, „Frankfurter Rundschau“). Die wohl prägnanteste Einschätzung kam aus Schawinskis Heimat: „Auch wenn man manche kritische Einschätzung teilt, so muss man das nicht ganz ernst nehmen, da Schawinski hier zu sehr der Versuchung erliegt, den eigenen Abgang zum Zeitzeichen einer allgemeinen TV-Dämmerung zu stilisieren“ (Heribert Seifert in der „NZZ“).

Lebensmittel-Liebe

Der Paradiesvogel der Zukunft trinkt Bionade, und wo er die kauft, sagte Thomas Kausch auch. Kausch ist der Nachrichtenmoderator, mit dessen „würdeloser Verabschiedung“ („FAZ“) bei Sat.1 die Krise begann. Seine These „Wer keine Haltung hat, der fällt. „Ganz einfaches Gesetz“ untermauerte er im „FAZ“-Interview im Juli so: „Ich bin überzeugt, dass eine Entwicklung zu mehr Verantwortungsbewusstsein, zu Qualität und Nachhaltigkeit in der Gesellschaft generell stattfindet. Deshalb kann man sich auch über Qualität neu erfinden und dabei profitabel sein. Nehmen Sie nur mal als profanes Beispiel die Edeka-Kampagne, Wir lieben Lebensmittel‘: Ein Bekenntnis zu Qualität und Verantwortung und eine der erfolgreichsten Kampagnen überhaupt. Oder nehmen Sie die „Bionade‘ oder die Umweltbank. Die wurden alle belächelt und sind alle erfolgreich“.

Wer die Sat1-Nachrichten nie gesehen hat, kann auf „Welt Online“ einen audiovisuellen Eindruck gewinnen. Da stellt Kausch in einem Blog „Provoluzzer“ vor.

Dass Edeka wiederum kurz darauf erneut durch die Medienmedien ging, weil laut „Spiegel“ eine Umschichtung des gerade großen Werbebudgets weg von Bertelsmann-Medien mit einem (nicht im Paradiesvogel-, im betriebswirtschaftlichen Sinn) kritischen Bericht der „FTD“ zusammenhängen sollte, muss in keinem Zusammenhang stehen.

Erschienen in Ausgabe 10/2007 in der Rubrik „Chronik“ auf Seite 14 bis 15. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.