Blasen und Phrasen

Abgedroschen?

Regelmäßige Leser dieser Kolumne werden sich womöglich an die Phrasendreschmaschine erinnern, die uns Mike Seidensticker, Pressesprecher bei Reed Exhibitions Deutschland, neulich zugeschickt hatte. Mit diesem kleinen Papp-Instrument läßt sich mittels dreier Drehscheiben eine Fülle von Wort-Monstern wie „Nachhaltige Wettbewerbs-Orientierung“ zusammenbauen. Wir waren angesichts der bevorstehenden Arbeitserleichterung von den Socken, unsere Leserin Barbara Geiss war indes weniger begeistert. Sie schreibt uns: „Ich kenne dieses Teil bereits seit dem letzten Jahrhundert, Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre … Mich ärgert ein wenig, dass ach so kreative Leute während einer Zugfahrt einen Geistesblitz haben, den vor 20 oder so Jahren schon andere hatten. Es soll ja die dollsten Dinger geben …“ Dass unsere kleine Dreschmaschine offenbar kein patentiertes Unikat ist, betrübt uns natürlich ein wenig, beweist aber einmal mehr, dass Originalität ein seltenes Gut ist. Und ist es nicht auch köstlich, dass eine Phrasendreschmaschine, mit der man abgestandene Formulierungen generieren kann, möglicherweise selbst ein abgedroschenes Teil ist?

„Wir müssen uns neu erfinden“

Wenn ein Chef mit dem Rücken zur Wand steht, erfindet er sein Unternehmen neu – und sich selbst am besten gleich mit. Wer sein Business „neu erfindet“, der gibt freilich zu, dass es in seinem Laden zurzeit gerade nicht zum Besten steht. So sagte unlängst ein Sony BMG-Manager über die Musikbranche, dort würden Geschäfte „wie 1982“ geführt. Darum müsse man sich nun „neu erfinden“. Das Reizvolle an dieser, ja, man darf ruhig schon sagen, Power-Phrase, ist der aufregende Duft der Avantgarde, den sie verströmt. Neu erfinden, das bedeutet auch: Zerstören des Alten, Hergebrachten, Abgenutzten. Neu erfinden, das klingt nach großer (Börsen-)Story, nach Innovation, Aufbruch, Abenteurertum. Klar ist aber auch: Nicht jeder Manager kann mir nichts, dir nichts ankündigen, sich neu zu erfinden und damit seinen Kritikern entkommen. Dazu braucht man schon Glaubwürdigkeit und muss auch ein paar Erfolge vorweisen können. Von den Musikern Madonna oder Prince heißt es immer mal wieder, sie erfänden sich regelmäßig neu. Wer so viel Platten verkauft hat wie die beiden, dem nimmt man den Willen zur radikalen Veränderung eben ab. Darum gilt: Wer sich neu erfinden will, schaut sich am besten ein paar Kniffe von Madonna ab.

„Wir müssen das Rad nicht neu erfinden“

Verfügt man über ein neues, aber vielleicht nur mittelmäßiges Produkt, eine anständige Unternehmensbilanz und ein gesundes Selbstbewusstsein, dann hat man es nicht nötig, sich „neu zu erfinden“. Dann kann man in Interviews auch mal ganz lässig sagen: „Wir müssen das Rad nicht neu erfinden“. Mit anderen Worten: Was wir jetzt auf den Markt werfen, gibt es bereits in dieser oder ähnlicher Form. Ist uns aber egal. Wer das Rad nicht neu erfindet, beweist vor allem eins: Realitätssinn. Denn wo gibt es schon echte Innovationen? Entsprechend darf jeder Manager, der das Rad nicht neu erfindet und sich damit auch noch brüstet, mit dem Wohlwollen der Journalisten rechnen. Die wissen solche Ehrlichkeit zu schätzen. „Endlich mal einer, der nicht behauptet, gerade den Stein der Weisen entdeckt zu haben“, mag sich dann der eine oder andere sagen. Sicher nicht ganz zufällig lautet der neue VW-Claim: „Volkswagen – Das Auto“. Denn auch Werbeagenturen erfinden das Rad nicht neu. Sie polieren nur die Felgen.

„Niemand hat vor, …“

Sie denken doch auch grad dran, gell? „Niemand hat vor, eine Mauer zu errichten“, ausgesprochen 1961 von Walter Ulbricht. Was draus wurde, ist hinlänglich bekannt. Entsprechend kitzelig wird es, wenn man sich mit einer ähnlichen Satzkonstruktion in einem Interview nach vorne wagt. So sagte BKA-Chef Jörg Ziercke neulich in einem „Stern“-Interview über das Thema Onlinedurchsuchungen: „Niemand hat vor, diesen Staat zu einem anderen Staat zu machen.“ Ziercke meint das sicher so, wie er es gesagt hat. Nur hätte er es besser mal anders formuliert.

Erschienen in Ausgabe 10/2007 in der Rubrik „Tipps für Journalisten“ auf Seite 65 bis 89. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.