Freiwillige vor!

Als sich die Waiblinger bei der Konrad-Adenauer-Stiftung um den Deutschen Lokaljournalistenpreis 2006 bewarben, reichten sie ein Paket ein, das selbst die verwöhnten Jury-Mitglieder staunen ließ. 223 Extra-Seiten plus zehn Serien produzierten die fleißigen Schwaben 2006. Das Themenspektrum reichte von der Reportage über Wassertiere im Waiblinger Wald bis hin zu Interviews über „Koma-Saufen“, von der kommunalpolitischen Hintergrundstory bis zur Serie gegen Rechtsextremismus.

Dafür bekamen sie nun den ersten Preis. Die „Waiblinger“: Das sind die „Waiblinger Kreiszeitung“, die „Schorndorfer Nachrichten“, die „Winnender Zeitung“ und die „Welzheimer Zeitung“, deren Lokalverlage sich 1971 zum Zeitungsverlag Waiblingen im Rems-Murr-Kreis am Rande von Stuttgart zusammengeschlossen haben. Die 32 Redakteurinnen und Redakteure plus Volontäre verteilen sich auf die vier Lokalredaktionen und eine Kreisredaktion. Sie produzieren täglich zwischen 20 und 30 Seiten. Der Mantel wird von den „Stuttgarter Nachrichten“ geliefert, die Auflage beträgt gut 46.000. „Die vier Lokalredaktionen des Waiblinger Zeitungsverlags machen das Besondere zum Normalfall“, würdigte die Jury die Arbeit, die den Lesern Hintergrund liefere, Zusammenhänge erkläre und bundespolitische Themen auf ihre lokalen Auswirkungen hin abklopfe. Jury-Sprecher Dieter Golombek: „Ein solches Konzept überhöht das tägliche Kleinklein der Berichterstattung.“

Gegen Einheitskost. Seit Juni 2002 ist Frank Nipkau Redaktionsleiter, und nach dem Rezept gefragt, wie die tägliche Kür zu schaffen ist, sagt er: „Es beruht auf dem Prinzip der totalen Freiwilligkeit.“ Es gebe keinerlei Vorgaben der Redaktionsleitung. Was nicht ganz stimmt, denn Frank Nipkau ist ein Chef, der genau weiß, was er will. Das heißt, er hält auch am Anspruch fest, „täglich mehr zu bieten als nachrichtliche Einheitskost“.

Das funktioniert mittlerweile oft schon auf Zuruf im Team: Ein Kollege hat ein Thema, ein anderer eine Idee dazu, die Nächste kennt einen Experten. Oft kommt die Motivation für eine Extra-Seite aus der Vorgabe, dass ein Standard-Artikel nicht länger als 90 Zeilen sein darf. Der Autor hat die Wahl, sich zu beschränken oder die Geschichte richtig groß zu machen, sagt Nipkau. Die Gefahr, dass die Kollegen den Stoff dann nur in die Breite treten, sieht er nicht. Wer eine Extra-Seite mache, strenge sich an, bastle Kästen mit Sonder-Infos, hole zusätzliche Stellungnahmen ein, schreibe eine schöne Reportage. Auch wenn selbst nach eigener Einschätzung „nicht alle Seiten immer gelungen“ seien, halten die Waiblinger einen hohen Qualitätsstandard. Nipkau ist überzeugt, dass das nur durch Teamarbeit mit einer motivierten und gut ausgebildeten Mannschaft zu erreichen ist, nicht mit Vorschriften: „Gute Leute, die Spaß an der Sache haben, sind das A und O.“

Wichtig sei auch genug Freiraum für die Kollegen. So gibt es in allen Redaktionen die Aufteilung in Blattmacher und Reporter. Und wer mit einem wichtigen Thema befasst ist, wird von den Alltagspflichten befreit. „Da muss der tägliche Kleinkram auch mal zurückstehen“, so der Redaktionsleiter.

Doch nicht nur die Extra-Seiten sind ein Markenzeichen der „Waiblinger Kreiszeitung“. Zusätzlich setzen die Schwaben auf eine Reihe von Leser-Aktionen. Besonders gefragt sind die „Sommertouren“ zu Institutionen oder Firmen in der Region, die jedes Jahr mehrere Tausend Leser nutzen. Ein Renner, besonders beim jungen Publikum, sind die wöchentlich abgedruckten Kino-Gutscheine. Bis zu tausend davon werden jede Woche bei den Kinobetreibern eingelöst. Ziel der Aktionen sei weniger der ökonomische Vorteil, sondern ein hoher emotionaler Wert für die Leser, so Nipkau. „Die Abonnenten sollen das Gefühl haben, wir machen was für sie.“ Und sie scheinen es zu honorieren. Die Auflage hält sich stabil.

Robert Domes ist freier Autor, Journalist und Trainer. Er lebt im Allgäu. eMail: Autor@mediummagazin.de

Tipp: Zum Deutschen Lokaljournalistenpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung haben sich 2006 über 500 Redaktionen beworben. Neun von ihnen wurden mit einem Preis geehrt. Diese und knapp 50 weitere Geschichten wurden in den Sammelband „Ausgezeichnet-Rezepte für die Redaktion“ (Ergänzungsband 2007) aufgenommen, der von Dieter Golombek herausgegeben wird und im Medienfachverlag Oberauer erscheint. Kosten: 9,90 Euro. Bezug: www.newsroom.de, Rubrik shop

Erschienen in Ausgabe 10/2007 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 47 bis 47 Autor/en: Robert Domes. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.