Ganz einfach

Das wird Riesenfolgen haben, die wir heute nur erahnen können.“ Klingt ziemlich vollmundig, was Ulrich Reitz, Chef der „Westdeutschen Allgemeine Zeitung“, da sagt (Seite 18 ff.). Aber er könnte recht haben. Denn zunächst meint er mit dieser Prognose weniger den Erfolg des neuen Internetportals beim Leser und Nutzer. Er spielt vielmehr auf eine interne „Revolution“ an, die der redaktionelle Umgang mit der neuen Online-Technik mit sich bringen könnte. 900 Redaktionsmitglieder der WAZ-Zeitungen werden bis zum Start der Regionalportals, voraussichtlich Mitte Oktober, in Konzeption und Technik des neuen Systems geschult worden sein. Und – wie man aus den verschiedenen redaktionellen Ecken hört – sogar härteste Skeptiker zeigen sich plötzlich zumindest nicht mehr ablehnend. Die erstaunlich hohe Zustimmungsrate erklärt Katharina Borchert, die Online-Chefin der WAZ-Gruppe, so: „Ich komme ja aus der Blogwelt und habe mich gefragt, warum Redaktionssysteme von Zeitungen im Vergleich zu denen für Blogs so kompliziert sein müssen. Und siehe da: Jetzt haben wir ein System, das nach demselben einfachen Prinzip funktioniert wie die Eingabemaske für Blogeinträge.“

 

Denn ohne aktive Zuarbeit aus den Printredaktionen wird das neue Portal (siehe auch Seite 22 f.) nicht funktionieren. „Im, Westen‘ setzen wir auch stark auf eine Community – aus Lesern, aber auch aus Redakteuren“, betont Katharina Borchert. Nun ist es nicht wirklich neu, dass auch Redakteure auf den Online-Seiten eigene Profile anlegen – wie es jetzt auch die WAZ plant – und auch darüber direkt mit den Lesern kommunizieren. Die Art und Weise aber, wie die WAZ-Redaktionen in den vergangenen Monaten auf den Westen und die geplanten Synergien zwischen Print und Online eingestimmt wurden, überzeugt.

 

Das prinzip ist auch hier eigentlich ganz einfach: Zuerst muss man die eigene Mannschaft überzeugen, dann erst die Nutzer und Leser. Doch im redaktionellen Alltag andernorts ist diese Vorgehensweise häufig keineswegs selbstverständlich. Das hat beispielsweise Redaktionsberater Joachim Blum häufig erlebt. Er hält deshalb ein „professionelles Change-Management“ für solche Umstellungsprozesse für unerlässlich und die Kommunikation darüber für „eine entscheidende Größe“. Das betont auch Klaus Meier, Professor für Online-Journalismus an der Hochschule Darmstadt, der seit Jahren die Entwicklung von Zeitungsredaktionen zu crossmedialen Produktionszentralen analysiert. Die aktuelle zweifache Herausforderung für die Zeitungsbranche, in der die Printdenke vielerorts noch überwiegt, lautet für ihn: „Erstens: Print und Online an einen Produktionstisch zu bringen, und zweitens: das crossmediale Denken in den Köpfen zu verankern.“

 

So gesehen scheint es, als habe das WAZ-Team bisher alles richtig gemacht. Denn bei der Zusammensetzung der Online-Redaktion wurde keineswegs nur auf neue, externe Leute gesetzt, wie es andernorts häufig der Fall ist. Mal abgesehen von der inhaltlichen Hürde, die so mancher Printredakteur in Bezug auf Online noch haben mag, liegt das in der Regel vor allem an unterschiedlichen Beschäftigungsverhältnissen von Print und Online-Mitarbeitern. In vielen Verlagen sind die Onlineredaktionen in eigenständige Geschäftseinheiten ausgegliedert, die nicht den Tarifbedingungen der Zeitungsbranche unterliegen. Onlineredaktionen sind auch deshalb häufig überdurchschnittlich jung und unterdurchschnittlich bezahlt. Denn welcher langjährige, erfahrene Printredakteur wechselt unter solchen Bedingungen schon freiwillig in eine Onlineredaktion und verliert damit seine Tarifrechte? Ulrich Reitz aber sagt zu Recht: „Wenn wir wollen, dass die Redakteure sich kanalunabhängig für guten Journalismus einsetzen, dann müssen sie unabhängig von der jeweiligen Gattung Print, Online oder Fernsehen gleich bezahlt werden – oder noch besser nach Leistung, damit sich Leistung wieder lohnt.“ Wer würde sich nicht wünschen, dass die WAZ zumindest damit Maßstäbe für die Branche setzt?

 

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Annette Milz

Erschienen in Ausgabe 10/2007 in der Rubrik „Editorial“ auf Seite 3 bis 5. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.