Als in den 80er Jahren in Frank-reich die Kinderzeitung „Le Journal des Enfants“ entstand, bewunderte der Verlagskaufmann Jürgen Fastbinder die französischen Vorreiter für ihren Mut. „Deutschland braucht eine eigene Zeitung für Kinder“, befand er schon lange – und machte sich schließlich selbst daran zu beweisen, dass das auch machbar ist: Vor zwei Jahren begann er den Markt zu testen und ein eigenes Konzept zu entwickeln. Die großen Fragen, die sich Fastbinder damals stellte, waren: Wie finanziert man eine Zeitung für eine Zielgruppe ohne Budget? Wie kann man ein großes Publikum erreichen?
Lokales Angebot. Die Lösung sah Fastbinder in der Zusammenarbeit mit dem Berliner Verband deutscher Lokalpresse, der 85 Tageszeitungsverlage vertritt. Geschäftsführer Martin Wieske unterstützt das Konzept Fastbinder, das es auch kleineren Zeitungen mit knappem Budget und Personal ermöglicht, Kindern ein eigenes Angebot zu machen: Eine eigene Zeitung für Kinder im handlichen Tabloid-Format mit kindgerechtem, aber zeitungsähnlichem Layout und sogar eigenen lokalen Seiten. „Alle unsere bisherigen Befragungen unter Kindern zwischen 6 und 12 ergaben, dass sie eine eigene Zeitung nur für sich bevorzugen gegenüber einer täglichen Seite in der Zeitung. Begründungen: morgens lesen Papa und Mama, nachmittags habe ich keine Lust oder keine Zeit mehr, weil was anderes anliegt. Und es kommt (fast) immer eine ganz praktische Begründung: die Zeitung ist mir zu groß!“, argumentiert Fastbinder für sein Modell. Zwölf lokale Verlage beziehen bereits nun in jeder ersten Monatswoche die „Zeitung für Kinder“. Diese Vertriebsidee verschafft seinem 16-seitigen Nachrichtenblatt, das im Oktober nun sein einjähriges Bestehen feiert, inzwischen eine halbe Millionen Leser.
Die Lockvögel, denen es gelingt, was manch ein Lehrer in der Schule nicht mehr schafft – nämlich zum Lesen zu verführen –, sind zwei fiktive Redaktionsmitglieder: Kalle Kritzel, Chefredakteur, und Rudi Raser, Reporter – die als Extraangebot auch Kindernachrichten im Wochenrückblick und in der Wochenvorschau für das Hauptblatt liefern. Gezeichnet werden sie übrigens von einem, der sein Fach versteht, Wolf Gerlach, dem Erfinder der Mainzelmännchen.
Hinter Kritzel und Raser steht in Wirklichkeit jedoch ein fünfköpfiges Journalistenteam, das an Themen wie „Geht der Sonne bald das Licht aus?“ oder „Geschwister – niedlich oder nervig“ arbeitet und versucht, Kindern zu erklären, was eine Demonstration ist. „Wir wollen Kindern helfen, den Alltag zu verstehen“, sagt Fastbinder. Ein „seichtes Magazin für Kinder“ wolle er nicht machen: Auch Themen wie ein Tsunami als Naturkatastrophe, Tod in der Familie oder große Politik gehören für ihn ins Programm.
Bunter Markt. Kinder als Zielgruppe haben aber längst auch andere im Auge: Allerdings unterscheiden sich die Konzepte erheblich. Wöchentliche Kinderseiten, monatliche Beilagen, eine Rätselecke oder zumindest ein Comic für die Kleinen – kaum eine Zeitung könne es sich mehr leisten, überhaupt kein Angebot für Kinder zu haben, erklärt Anja Pasquay, die sich als Referentin beim Bundesverband der deutschen Zeitungsverleger (BDZV) mit dem Thema Kindermedien beschäftigt.
Eine aktuelle BDZV-Umfrage unter 152 Chefredakteuren bestätigt: Insgesamt haben inzwischen 76 Prozent der Verlage ein Angebot für Kinder, davon 13 Prozent ein tägliches. Mehr als die Hälfte der Zeitungen setzen dabei auf eine ganze Seite für Kinder, zehn Prozent bringen tägliche Kindernachrichten als Extraspalte und acht Prozent legen eine Extra-Zeitung bei.
Ein einheitlicher Trend lasse sich allerdings nicht erkennen, so Pasquay: „Der Markt ist so bunt und individuell wie die deutsche Zeitungslandschaft auch.“ Insgesamt sieht sie allerdings inhaltlich „den Trend zum Nachrichtlichen und weg von Spiele, Freude, Heiterkeit“. Wer Kinder als Leser gewinnen will, müsse sie ernst nehmen. „Mit einem Ersatzkinderbuch gelingt genau das nicht.“ In dem Bemühen vieler Verlage, ein Angebot für Kinder zu schaffen, sieht die Medienreferentin eine Art „Daseinsvorsorge“: „Wir müssen heute Kinder für das Medium Zeitung begeistern, damit wir in 10, 20 Jahren immer noch Leser haben.“
Eigene Nachrichten. Diese Lücke im Angebot haben mittlerweile auch die Nachrichtenagenturen erspäht. Seit rund einem halben Jahr bietet die Deutsche Presse-Agentur einen Dienst für Kindernachrichten an, der in einer eigens eingerichteten Redaktion produziert wird (s. Interview auf Seite 48f.). Neben reinen Artikeln stellt die Redaktion Fotos und interaktive Online-Grafiken zusammen und produziert einen Podcast. Mitbewerber ddp zog mit einem ähnlichen Angebot im August nach.
An eine tägliche Kinderzeitung hat sich in Deutschland bislang jedoch nur der türkische Verleger Turgay Yagan gewagt. Mit einer Start-auflage von 30.000 Stück erschien „Meine Zeitung“ im März 2005 für Kinder zwischen acht und 13 Jahren. Was dann allerdings folgte, war ein wahrer Flop: Innerhalb weniger Monate wurde der Verleger Yagan von drei Verlagsgesellschaften verklagt, der Vorwurf lautete Insolvenzverschleppung und Betrug. Der Landschaft für Kindermedien in Deutschland hat das zunächst eher geschadet, glaubt Pasquay: „Die Eltern, die damals seine Zeitung abonniert und dann nicht bekommen haben, werden heute wohl nicht mehr so schnell zu einer Kinderzeitung greifen.“ Der Medienkonzern Axel Springer hat ein fertiges Konzept für eine tägliche Kinderzeitung bereits seit einiger Zeit in der Schublade und jüngst, zum Weltkindertag 2007, hat das „Hamburger Abendblatt“, eine Kinderzeitung produziert – die allerdings bisher als einmalige Aktion gilt. Den Start einer regulären eigenen Kinderzeitung scheut der Springer-Verlag bisher vor allem wegen hoher Vertriebskosten.
Pionierweg. Risikofreier ist da die tägliche Kinderseite des „Hellweger Anzeiger“-als quasi Zeitung in der Zeitung. Doch auch sie war bei ihrem Erscheinen im April vergangenen Jahres ein Novum – bis zu diesem Zeitpunkt wagten sich deutsche Zeitungen nur mit kleineren Rubriken beziehungsweise wöchentlich oder monatlich erscheinenden Kinderseiten auf den Markt. Auf sein Unterfangen, Kindern zwischen acht und zwölf Jahren täglich eine ganze Seite zum Lesen zu bieten, bereitete sich Chefredakteur Volker Stennei deshalb gründlich vor: Erst analysierte er den Markt und sah das Potenzial. Dann brachte er seiner Redaktion bei, wie man für Kinder schreiben muss: Einfache, kurze Sätze, keine Fremdwörter und einen klaren Stil. Heute sagt er: „Kinder sind das Beste, was einem Verlag passieren kann – sie sind wissbegierig, neugierig und sie üben Kritik“. Und weil Kinder zudem treue Leser seien, sieht Stennei in ihnen „die beste Markenbindung, die man sich wünschen kann“.
Den Stellenwert, den die tägliche Seite einnimmt, zeigt sich an der prominenten Platzierung auf der Schlussseite des letzten Buches – eine Seite, die laut Studien mit am häufigsten gelesen wird. Für Stennei ist dies keineswegs eine Opfergabe, im Gegenteil: „Wir sind überrollt von dem Erfolg der Seite, da kann man sich nur fragen, weshalb wir das nicht schon früher gemacht haben.“
Plattform im Internet. Ein anderes Konzept, junge Leser zu gewinnen, hat sich die Unternehmensgruppe M. DuMont Schauberg ausgedacht. Seit März dieses Jahres produziert die „Mitteldeutsche Zeitung“ zweimal wöchentlich ein dreiseitiges pdf-Magazin im Internet. „Galaxo“ für Acht-bis Zwölfjährige solle den Abonnenten der „Mitteldeutschen Zeitung“ aus Halle einen Mehrwert bieten, erklärt der stellvertretende Chefredakteur, Torsten Kleditzsch. Denn jeder Abonnent erhalte automatisch auch Zugriff auf das pdf-Magazin, mit dem man dem eigenen Kind, dem des Nachbarn oder dem Enkel eine Freunde machen könne. Der Verlag wollte mit der Wahl des Formats vor allem das finanzielle Risiko eingrenzen. „Man kann den Markt auf diese Weise mit wenig Geld sehr genau testen“, meint Kleditzsch. Der Journalist ist davon überzeugt, in die Zukunft zu investieren: „Wir haben die Vorste
llung, dass wir die Kinder im Web abholen und so zur Zeitung bringen können.“ Der Aufbau der dreiseitigen pdf-Kindernachrichten ist auch deshalb auf den einer richtigen Zeitung abgestimmt: es gibt aktuelle Nachrichten, ein großes Tagesthema, die Rubriken Interview und Kommentar, außerdem Veranstaltungstipps. Ob und wann das pdf-Format durch eine gedruckte Zeitung ergänzt wird, prüfen die Hallenser derzeit.
Noch sind Internetangebote für Kinder eher selten – laut der BDZV-Umfrage haben gerade einmal sechs Prozent der befragten Verlage etwas im Angebot. Jürgen Fastbinder, der bereits mit seiner Kinderbeilage Erfolg hat, setzt seit Kurzem ebenfalls auf das Web. „Eure Zeitung“ heißt sein neues interaktives Portal, in dem junge Leser ihre Zeitung auch als pdf-Format durchblättern können. Und auch hierfür gilt seine Idee der Synergie und Dienstleistung: Verlage, die die Kinderzeitung beziehen, können jetzt unter ihrer eigenen Domaine das Kinderportal verlinken – und so einen zusätzlichen Köder für Kinder werfen.
Linktipp
www.lokalpresse.de/index.php?id=216
www.eurezeitung.de
www.mz-web.de/galaxo
www.bdzv.de/kinderseiten
Erschienen in Ausgabe 10/2007 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 26 bis 27 Autor/en: Isabella Kroth. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.