Sprechstunde

Steht in Roger Schawinskis Buch über Sat.1 die ganze Wahrheit?

Dr. Med.: Jeder hat halt seine eigene Wahrheit, und daher gibt es oft mehrere. Als ein besonders eindringliches Erlebnis schildert der ehemalige Sat.1-Geschäftsführer Roger Schawinski in seinem erstaunlich positiv besprochenen Buch die „TV-Falle“ den Erhalt einer SMS vom damaligen CEO der Pro Sieben-Sat.1-Gruppe. „Sat.1 wartet auf dich. Urs“ habe ihn sein Schweizer Landsmann Urs Rohner per Kurzmitteilung wissen lassen – sehr schmeichelhaft für Schawinskis Ego (sein erstes Buch hieß ja dann auch „Das Ego-Projekt“). Ob es diese SMS allerdings wirklich gegeben hat, da-rüber gehen die Meinungen auseinander. So stellt eine andere Version von Schawinskis Anheuerung die Sache etwas nüchterner da. Auf der Zugfahrt zu einem gemeinsamen Abendessen bei einem Schweizer Geschäftsmann habe Rohner Schawinski erstmals kennengelernt und sich von dessen Vita als Schweizer Provinz-TV-Macher („Tele-Züri“) nur bedingt angetan gezeigt. Auf die Frage, ob er – Schawinski – denn mal in der Champions League statt in der Regionalliga spielen wolle, habe Schawinski wie wachgeküsst gewirkt. Für diese Version spricht einiges – vor allem, dass Rohner von der SMS aus dem Buch nichts weiß: „Die soll er mir mal zeigen.“

Fördert der Springer-Verlag junge Medienmacher oder nur sich selbst?

Dr. Med.: Wohl weil den eigenen Mitarbeitern zu wenig einfällt, ist man beim Springer-Verlag da-rauf verfallen, einen Ideen-Wettbewerb auszuschreiben. Unter dem Namen „Scoop“ konnte man Konzepte für Medienprojekte einreichen, der Gewinner, den die Jury im Otober kürt, darf damit rechnen, dass das Projekt „gemeinsam“ mit dem Springer-Verlag realisiert und mit „bis zu“ 500.000 Euro in zwei Jahren finanziert wird. Nun kann man natürlich überlegen, was das Wort „gemeinsam“ heißt, was mit den Ideen passiert, die erst einmal nicht gewinnen und welche Spanne „bis zu 500.000 Euro“ umfasst – muss man aber gar nicht. Es reicht schon, wenn man ein wenig herumrechnet. Dann kommt man nämlich zu dem Ergebnis, dass man mit 500.000 Euro, die für Laien nach unheimlich viel Geld aussehen, nicht sehr weit kommt. Selbst für ein Monatsmagazin dürfte es knapp werden. Es sind dann nämlich in zwei Jahren pro Heft etwas mehr als 20.000 Euro da, die nicht mal zur Produktion reichen würden – es sei, man druckte nur 5000 Exemplare davon. Vielleicht will man aber auch einfach nur einen Nachfolger für die somnambule Zeitschrift „Der Freund“, die letztes Jahr eingestellt wurde, und Konzernchef Döpfner immer so schön als Feigenblatt diente, wenn er mal wegen der „Bild“-Zeitung angegangen wurde.

Wieviel Neues über die RAF hat das Jubiläum des Deutschen Herbstes nun eigentlich gebracht?

Dr. Med.: Es ist schon komisch, was man deutschen Journalisten alles als neu unterjubeln kann. Der wiederentdeckte Schießbefehl der Stasi-Grenztruppen ist ein beredtes Beispiel dafür, aber auch die extensive Aufarbeitung der RAF-Geschichte in den vergangenen Wochen. Zwar hat der „Spiegel“-Chefredakteur Stefan Aust in der Tat für seinen ARD-Zweiteiler ein paar erstaunliche Indizien zur Abhöraktion in Stammheim zusammengetragen, aber was sonst noch so als brandneu gefeiert wurde, war größtenteils seit Langem bekannt. Der Medienredakteur der „FAZ“, Michael Hanfeld, der Aust in einer Weise gewogen ist, dass man sich fragt, wann er als Pressesprecher zum „Spiegel“ wechselt, lobte Aust absurderweise dafür, „mit der Saga vom Mord in Stammheim aufgeräumt“ zu haben – als habe daran außerhalb der Roten Hilfe noch irgendjemand geglaubt. Für Hanfeld war auch neu, dass Brigitte Mohnhaupt früh gegenüber anderen Terroristen klarstellte, dass es Selbstmord war, oder dass die Isohaft in Stammheim gar nicht existierte, sondern deren reine Behauptung lediglich Mittel zum Kampf war. All das steht allerdings schon in der einschlägigen Literatur. Vielleicht täte Hanfeld eine Bücherspende gut – für den Anfang der Baader-Meinhof-Komplex von Aust. Ein sagenhaftes Buch.

Wird Kurt Kister der nächste Chefredakteur der SZ?

Dr. Med.: Noch haben sie ja einen. Aber in der Tat häufen sich innerhalb der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) die Sprüche über Hans-Werner Kilz, der die „SZ“ spiegelisiert hat; also auf der einen Seite um exklusive Enthüllungsgeschichten bereichert, sie andererseits aber auch austauschbar gemacht hat, indem er der Zeitung ihre liebenswerten Schrullen und ihre Fähigkeit, eigene Geschichten zu schreiben, ausgetrieben hat. Als Breschnjew in der Endphase wird Kilz zuweilen beschrieben, und in der Tat ist es spannend zu sehen, wie es bei der größten Tageszeitung nach ihm weitergehen könnte. Da gibt es zum einen Kurt Kister, der Kollegen schon mal im Fahrstuhl fragt, warum sie sich eigentlich nicht umbringen. Das meint er natürlich nur halb im Ernst, aber eben auch nur halb. Heilig ist ihm jedenfalls sein Image als besonders harter Hund. So ein Misanthrop taugt natürlich gar nicht als Chefredakteur, und man kann der „SZ“ nur wünschen, dass ihr diese Personalie erspart bleibt. Aber wer dann? Aus quasi der Tiefe des Raumes kommt Wolfgang Krach, der nach seinem Wechsel vom „Spiegel“ bei der „SZ“ eine Express-Karriere gemacht hat. Und dann gibt es ja noch Heribert Prantl, das gute Gewissen der „SZ“ – der Einzige, dessen Artikeln man wohltuend anmerkt, dass die „SZ“ mal etwas linker war. Sollte Prantl es werden, geht Kister zur „FAZ“, jede Wette.

Erschienen in Ausgabe 10/2007 in der Rubrik „Journaille“ auf Seite 24 bis 24. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.