Am Wendepunkt des Lebens

Wir werden vom Schicksal hart oder weich geklopft; es kommt auf das Material an“, formulierte einst die österreichische Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach. Schicksalsschläge werfen Menschen aus der Bahn oder lassen sie wachsen. Ein Lottogewinn bringt den Ruin, ein behindertes Kind wird zum positiven Mittelpunkt der Familie oder der Selbstmord der Tochter zur Lebenskrise. Für Journalisten ergibt sich ein spannender Zugriff. Erforderlich sind allerdings viel Fingerspitzengefühl und ein großes Maß an Geduld. Beispiele aus der „Stuttgarter Zeitung“, der „Main Post“ (Würzburg) und der „Schweriner Volkszeitung“ zeigen, dass Regional- und Lokalzeitungen anspruchsvolle Reportagen in diesem Bereich gelingen. Aufhänger ist der Wendepunkt im Leben eines Menschen, den die meisten Betroffenen auf einen bestimmten Tag und ein bestimmtes Ereignis fixieren können.

Lokaltipp des Monats:

Plötzlicher Einschnitt. Die Serie „Wendepunkte“ in der „Stuttgarter Zeitung“ handelt von Menschen, die durch Unfall, Zufall oder Glücksfall in ein neues Leben geworfen wurden. „Ich wollte Menschen mit positiven wie negativen Wendepunkten darstellen“, sagt Michael Ohnewald, der als leitender Redakteur des lokalen Reportageressorts die Serie konzipierte (siehe auch Seite 32 ff.). Ein breites Themenspektrum wird abgedeckt: Ein Paar, das ein Kind adoptiert, spielt ebenso eine Rolle wie ein Krebskranker, der zum Laufen findet, eine Frau, die in einer Lebenskrise zum Glauben findet, oder ein ehemaliger Junkie, der zum Suchthelfer wird. Für die einzelnen Porträts nimmt sich der Redakteur viel Zeit, mindestens vier Stunden pro Gespräch. „Erst nach zwei Stunden kommt der Fotograf dazu“, erläutert er. „Mir macht es unheimlichen Spaß, durch die Beschreibungen rüberzubringen, wie sich die Erfahrungen der Menschen auf ihr Leben ausgewirkt haben.“ Etwa bei Eleonore Günther, die bei einem Brand alles verlor, jedoch neue Einsichten gewann. Oder die Frau, die vergeblich auf die Rückkehr ihres Mannes aus Afrika wartete, wo er als Ingenieur verschollen ging. Alle Teile der Serie sind im Netz abrufbar unter: www.stuttgarter-zeitung.de/wendepunkte

Kontakt: Michael Ohnewald, Tel. (0711) 72 05 13 13, eMail: m.ohnewald@stz.zgs.de, web: www.stuttgarter-zeitung.de

Ideenbörse:

Trauernde im Porträt. Zunächst waren es Artikel zur Lebenshilfe, die Redakteur Herbert Scheuring für die „Main-Post“ über Tod und Trauer schrieb. Er selbst verlor vor acht Jahren seine Frau durch ein Krebsleiden. Heute schreibt der Nachrichtenredakteur alle paar Wochen ein ganzseitiges Porträt über einen Trauernden. Dabei sucht er nicht nach Fällen, sondern widmet seine Aufmerksamkeit Menschen, die sich von allein an ihn wenden. Behutsam und manchmal erst nach vielen Vorgesprächen kommt ein Vertrauensverhältnis zustande, das ihn auch Fragen stellen lässt, die schmerzlich sind. „Aber die Menschen haben oft das Bedürfnis, gerade darüber zu reden, weil sie von ihrem sonstigen Umfeld nicht darauf angesprochen werden“, sagt Scheuring. Die Beiträge sind bemerkenswert dicht an den Menschen und heben sich ab von Verlegenheitsartikeln, bei denen Journalisten den Kontakt mit Betroffenen scheuten.

Kontakt: Herbert Scheuring, Tel. (0931) 6 00 13 45, eMail: herbert.scheuring@mainpost.de, web: www.mainpost.de

Tipp

Weitere interessante Beispiele aus der lokaljournalistischen Praxis finden Sie in der aktuellen „drehscheibe“.

Kontakt: Redaktion „drehscheibe“,

Raufeld-Medien, Mehringdamm 57, 10961 Berlin, Tel. 030 / 695 665 22, eMail: info@drehscheibe.org,

Homepage: www.drehscheibe.org

Erschienen in Ausgabe 11/2007 in der Rubrik „Tipps für Journalisten“ auf Seite 80 bis 80 Autor/en: Bernd-Volker Brahms. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.