Bitte keine Gettos!

Kommt das Interview über das neue Unterrichtsfach „Glück“ nun oben auf die Seite oder doch lieber die weiß-nicht-wievielte Berichterstattung über einen geplanten Gleisbau? Sollen wir mit der Rezept-Serie aufmachen oder mit der jährlichen Klage der Lehrergewerkschaft zum Schuljahresanfang? Eigentlich liegen die Antworten auf der Hand. Und doch haben wir uns in den letzten Monaten oft anders entschieden: gegen den „anderen Blick“ auf die Nachrichten und für das Gewohnte, die Chronistenpflicht. Seriös, keine Frage, aber auch langweilig. Nein, automatisch wirkt unsere Aktion „Der andere Blick“ nicht. Man muss dranbleiben, jeden Tag. Richtschnur dabei ist unsere Ausgabe zum internationalen Frauentag im letzten Jahr. Damals hatten Redakteurinnen und Mitarbeiterinnen der „Badischen Zeitung“ (BZ) das Blatt aus einem anderen Blickwinkel gestaltet: ohne Männer in der Redaktion, dafür aber mit Unterstützung von rund 20 „zeitungsfremden“ Frauen aus Wirtschaft, Kultur und Hochschule im Mantel sowie zahlreichen Beiträgen in den Lokalausgaben. Ziel war herauszufinden, ob Frauen tatsächlich anders Zeitung machen, welche Nachrichten sie wählen, wie sie an Themen herangehen, welches Layout gefällt.

Die Antwort auf die Frage „Machen Frauen eine andere Zeitung?“ wurde nicht so eindeutig gegeben, wie wir gedacht hätten. Und so gab es auch am Projekttag kaum eine wichtige Nachricht, die nicht im Blatt war. Trotzdem machen Frauen ein Stück weit anders Zeitung, weil sie (im Idealfall) die Perspektive wechseln. Statt der nackten Nachricht erzählen sie Geschichten: von den Anwohnern beispielsweise, die vom Gleisbau betroffen sind. Oder von einem Junglehrer, der trotz Lehrermangels nicht eingestellt wird. Es geht also um das „Wie“, erst nachrangig um das „Was“.

Die BZ vom 8. März 2006 war dennoch keine Frauenzeitung, keine badische „Brigitte“ oder ein feministisches Agitationsblatt. Sie war eine ganz normale BZ-nur eben ein bisschen anders. So erschienen wesentlich mehr Texte von und über Frauen. Und gemessen an den Leserreaktionen lässt sich sagen: Wer die Regel „Mehr Frauen als Autoren und als Akteure von Nachrichten“ konsequent beherzigt, der bindet weibliche Leser ans Blatt. Diese Erkenntnis ist nicht neu; Marktforscher und auch wir selbst kennen sie seit Jahren. Trotzdem handeln wir nicht immer konsequent genug nach dieser Maxime.

Der „andere Blick“ muss auch nicht zwingend weiblich sein: Wer-wie von den Frauen gewünscht-mehr Hintergrund liefert („Die Nachricht selbst kenne ich schon aus dem Fernsehen!“), wer mehr erklärt und mehr verbrauchernahen Service bietet, der weckt auch das Interesse der Männer. Einhellig ist bei beiden Geschlechtern auch der Wunsch nach mehr „positiven Nachrichten“. Und noch eine wichtige Erkenntnis hat unser Projekt gebracht: Bitte keine Gettos! Statt Frauenseiten einzurichten, sollte der „andere Blick“ durch die gesamte Zeitung gehen.

Die Forderungen klingen einleuchtend. Warum also tun wir uns so schwer mit der Umsetzung? Wir sind genauso abhängig von der aktuellen Nachrichtenlage wie unsere Kollegen in anderen Redaktionen. Dennoch könnten wir öfter „quer schießen“. Dass wir es selten tun, liegt auch an uns selbst. Es ist eben einfacher, sich den allgemeingültigen Redaktionsstil anzueignen, statt immer wieder für die eigenen Ideen gegen Widerstände anzugehen. Auch dass oft noch in Ressortzuständigkeiten gedacht wird, statt vom Thema her, blockiert ungewöhnliche Zugänge. Manchmal fehlen aber auch bloß die Mitstreiter(innen) oder Autor(inn)en; manchmal mangelt es an Zeit und Platz. Doch das geht vielen Redaktionen so. Kein Grund also, die Hände in den Schoß zu legen und alles beim Alten zu belassen!

Erschienen in Ausgabe 11/2007 in der Rubrik „Standpunkt“ auf Seite 15 bis 15 Autor/en: Frauke Wolter. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.