Bitte mehr Höhepunkte!

Für ihre „kreative, kritische und unabhängige“ Arbeit als Moderatorin der „Tagesthemen“ erhielt Anne Will Mitte Oktober den Hanns-Joachim-Friedrich-Preis. In ihrer Laudatio zur Preisverleihung lobte Ursula von der Leyen: Wer Anne Will im Fernsehen anschaue, werde davon klüger. Aber trifft dieses Kompliment auch auf ihre neue Talkshow am Sonntagabend zu, die im September gestartet ist? Kann sie halten, was die Vorschusslorbeeren versprachen?

Das Konzept.

+ Es gehört zum Sendekonzept, dass Anne Will stets auch unbekannte Gäste einlädt. Das Signal: Ihr geht es um die Sache. Wichtig ist, wer etwas zum Thema zu sagen hat. So wie Callcenter-Mitarbeiterin Kerstin Weser, der Anne Wills erste Frage in ihrer ersten Sendung galt. Natürlich verzichtete sie nicht auf prominente Namen wie Wolfgang Schäuble, Kurt Beck oder Veronika Ferres.

– Etwas befremdlich wirkt hingegen die Sitzordnung. Es ist nicht ganz nachvollziehbar, dass die Betroffenen auf dem Sofa nie mit in die Runde aufgenommen werden und gleichwertig mitdiskutieren dürfen, obwohl sie doch als Experten zum Thema geladen wurden. So wäre beispielsweise eine stärkere Einbindung der beiden Nobelpreisträger in die Diskussion wünschenswert gewesen-zumal es ihr gelungen war, beide fast unmittelbar nach der Nachricht in die Sendung zu holen.

Der Einstieg.

+ Anne Wills erste Frage: „Frau Weser, warum tun Sie sich das an?“ ist eine offene, präzise Einstiegsfrage, die allgemeine Einschätzungen als Antwort unmöglich macht. Das hat Methode: Den direkten Weg zur Gesprächseröffnung behielt sie in bisher allen Sendungen bei.: „Liegen diejenigen so falsch, die sagen, dass der Streik bei der Bahn so festgefahren ist, weil Sie und Manfred Schell sich überhaupt nicht leiden können?“, fragte sie Bahnchef Hartmut Mehdorn, der mit so was offenbar nicht gerechnet hatte und erst mal drum herum redete. Zwei Wochen später wurde Wulf Bernotat, Vorstandschef von E.ON., von der Moderatorin gefragt: „Sie wissen genau, dass man sich mit Preiserhöhungen ganz selten Freunde macht. Hätten Sie sich nicht überzeugendere Gründe einfallen lassen können?“ Als Wulf Bernotat ausweicht, bekräftigt sie: „Das würden die Kunden aber gern genau verstehen.“

Dies sind Beispiele für gelungene Einstiegsfragen, sie sind leicht verständlich, machen neugierig, führen zum Thema der Sendung hin und verlangen nach einer direkten Antwort.

Die Gesprächsführung.

+ Im richtigen Moment kritisch nachzufragen und die Gesprächsführung zu behalten-das gelingt ihr gut, z. B. wenn sie den CDU-Politiker Peter Hintze in der Sendung zum Thema „Unrecht vergeht nicht. Der lange Schatten der DDR“ fragt: „Wie genau hat die CDU hingeschaut, als sie die Blockflöten auch aufgenommen hat?“ So wies sie Peter Hintze souverän zurecht, der Petra Pau (Die Linke) zuvor vorgeworfen hatte, ihre Partei habe sich nicht von der SED distanziert. Bei jener Frage applaudierte sogar das Publikum. Ebenso gekonnt, diesmal mit charmentem Witz wies sie in ihrer Sendung über Forschung und Bildung den Präsidenten des Lehrerverbands Josef Kraus in seine Schranken, als er sich über die Rolle des Staates bei Pflege und Erziehung ereiferte. Erst sprach Anne Will einfach hinein: „Ich würde gerne …“ – ohne Erfolg. Zweimal sprach sie ihn anschließend direkt an: „Herr Kraus, Herr Kraus …“ – ebenfalls erfolglos. Jetzt sprach sie einfach parallel zu ihm: „Ich weiß ja nicht, wie das ist bei Lehrern, da muss man sich wahrscheinlich melden.“ Da war Josef Kraus still und Anne Will konnte weiterfragen.

– Weniger gut gelingt es ihr, wenn sie, meist im mittleren Teil der Sendung, das Gespräch einfach laufen lässt. Minutenlang dürfen ihre Gäste Argumente austauschen, Will führt keinerlei Regie. Fast entsteht der Eindruck, sie habe sich kurz zurückgezogen, um sich zu sortieren. Das würde auch nicht auffallen, wären die Gespräche in solchen Momenten spannend.

Aber es ist gefährlich, wenn sie einfach so dahinplätschern. Oder wenn sich Politiker wie Beck und Rüttgers einen inhaltsarmen Schlagabtausch ohne Argumente liefern. Viele Zuschauer und Medienprofis wünschen sich an diesen Stellen eine Unterbrechung. Da es aber auch Fernsehzuschauer gibt, die Unterbrechungen als unhöflich ansehen, wäre es die hohe Kunst, immer so zu unterbrechen, dass es beim Zuschauer nicht als unangenehmes Ins-Wort-fallen ankommt. Dass sie das beherrscht, zeigte Anne Will ja bei Lehrer Josef Kraus.

+ Öfter geschieht es, dass Gesprächsteilnehmer wichtige Fragen stellen: wie z. B. die nach Mehdorns Gehaltssteigerung in den letzten Jahren. Das aber ist eigentlich Aufgabe der Moderatorin.

– Auch sollte sie Argumente und Gegenargumente nicht unkommentiert stehen lassen. So wie z. B. in der Sendung zum Streik der Lokführer: Schauspieler Rolf Becker: „Die Bahn hat in den letzten Jahren einen massiven Personalabbau betrieben, das Personal mehr als halbiert.“ Bahnchef Hartmut Mehdorn: „Die Bahn ist das einzige Unternehmen, das in den letzten zehn Jahren keine betriebsbedingte Kündigung ausgesprochen hat.“ Der Dialog geht in diesem Stil weiter. Anne Will klärt nicht, bricht ab und wendet sich mit einem anderen Themenaspekt an Minister Tiefensee. In einer Gesprächssituation, in der die oder der Diskussionleiter die Behauptungen nicht sofort klarstellen kann, wäre es besser, dem Zuschauer einen anschließenden Faktencheck der relevanten Frage auf der „Anne Will“-Homepage anzubieten. Wie wirkungsvoll allein schon ein Hinweis auf derart überprüfbare Fakten für eine aus dem Ruder laufende Debatte sein kann, zeigt Kollege Frank Plasberg bei „hart, aber fair“ (früher im WDR, seit 24. Oktober in der ARD).

+ Ausgesprochen gut gelingt es Anne Will zumeist, die Runde im Auge zu behalten. Im wahrsten Sinne des Wortes: Steter Blickkontakt zu ihren Gesprächspartnern ist ein wichtiges Merkmal ihrer Diskussionsführung, das deutliches Interesse am Thema wie am Gesprächspartner signalsiert. Hervorzuheben ist auch ihre Fähigkeit, aus den Antworten ihrer Interviewpartner flexibel die nächste Frage abzuleiten, und sich nicht starr an ihre Moderationskärtchen zu halten.

– In den Einstiegs-Interviews mit Betroffenen ist Anne Will ganz Reporterin: Ob es die Töchter der Frau vom Check Point Charlie sind, die sie einfühlsam und ohne emotionalen Pathos befragt, wie ihr Leben in der DDR beim Vater ohne die Mutter ausgesehen hat, oder Lokführer Frank Werner, der die Position der Gewerkschaft der Lokführer vertritt, und den sie nach einer Kritik seiner Transnet-Kollegin Peggy Ebelin („…Ich möchte nicht dastehen und sagen, ich bin was Besseres als du, sieh zu, ich bekomm jetzt 31 %, …“), sehr direkt fragt: „Herr Werner, wollen Sie was Besseres sein als die anderen?“. Solche Interviews gelingen ihr in der Regel gut-von Ausnahmen wie beim privaten Stromproduzenten Sebastian Schuster mal abgesehen.

+ – „Leise sprechen, langsam sprechen, akzentuiert sprechen“, solle ein guter Moderator, sagte schon Hanns Joachim Friedrich. Erstens bliebe dadurch die Modulationsfähigkeit seiner Stimme voll erhalten und zweitens entspreche dies der ganz normalen Gesprächssituation. Der Zuschauer wolle einen Ton haben, der dem Gespräch im Wohnzimmer angemessen sei. „Da brüllt normalerweise auch niemand.“ Diesen Duktus hat sich Anne Will für ihre Sendung zu eigen gemacht. Fast beschaulich wirkt die Runde daher an manchen Abenden. Doch darin liegt auch eine Gefahr für die Sendung. Zuviel Beschaulichkeit langweilt.

Fazit. Anne Will kann zuhören, eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiche Moderationen. Sie kann geschickt Fragen stellen und flexibel auf den Gesprächsverlauf reagieren. Ein redaktionelles Drehbuch (Redaktionsleitung: Cathrin Kahlweit, Jens-Uwe Knoche) ist erkennbar. Aber es gelingt der Moderatorin noch zu selten, Höhepunkte zu setzen wie im Gespräch mit E.ON.-Chef Ulf Bernotat, als der sagte: „… In der Regel decken sich alle unsere Kunden ein bis zwei Jahre vorher ein, das heißt, sie kaufen 2006 bereits den Strom für 2008. Und dadurch
sind die Kostensteigerungen für die Regionalversorger entstanden.“ Anne Will: „Also keine Abzocke?“ Ulf Bernotat: „Nein, eindeutig nein.“ Anne Will: „Warum hat die Kanzlerin das nicht verstanden?“ Da schaut und hört man doch gerne zu. Bitte mehr davon!

Lesetipp

Noch zu „Tagesthemen“-Zeiten hat Axel Buchholz Anne Will zu ihrer Arbeitsweise und Vorbereitung befragt. Das detaillierte, aufschlussreiche Ergebnis ist nachzulesen in „Fernseh-Journalismus. Ein Handbuch für Ausbildung und Praxis“, 7. aktualisierte Auflage 2007, Econ

Linktipp

Im Internet sind alle bisherigen Sendungen von „Anne Will“ dokumentiert und abrufbar jeweils ab Montagmorgen.

www.daserste.ndr.de/annewill/

Homepage der Produktionsfirma:

www.will-media.de/19.0.html

Erschienen in Ausgabe 11/2007 in der Rubrik „Beruf“ auf Seite 60 bis 62 Autor/en: Jörg Hunke und Irmhild Speck. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.