Der Zeitpunkt hätte für die Akteure kaum unpassender sein können: Mitten in den Auftakt zu den „Zeitschriftentagen“; in Berlin, dem alljährlichen Verbandstag, platzt am 15. November die Nachricht, der Vertrag von „Spiegel“;-Chefredakteur Stefan Aust werde nicht verlängert: „Die Gesellschafter des „Spiegel“;-Verlags haben einvernehmlich auf Initiative der Mitarbeiter-KG beschlossen, den Vertrag von Stefan Aust, Chefredakteur des „Spiegel“;, nicht über den 31. Dezember 2008 hinaus weiterlaufen zu lassen. Über eine Nachfolge wird zu gegebener Zeit informiert.“; Punkt. Aus. Spärliche Worte, um so mehr Raum für aufgeregte Diskussionen, Gerüchte, Spekulationen. Tags drauf nutzt Helmut Markwort die VDZ-Diskussionsrunde über „Corporate Social Responsibility“; für eine Solidaradresse an den Kollegen Aust und ein Statement gegen Mitarbeiter-Mitbestimmung, Moderator Ulrich Wickert empört sich sichtlich aufgewühlt über den Umgang mit einem verdienten Chefredakteur, seinem Duzfreund Stefan, während der sonst so meinungsfreudige Hans-Ulrich Jörges gelassen bleibt und fragt „Können wir jetzt über Gratiszeitungen weiterdiskutieren?“; Doch eine schnelle Rückkehr zur Geschäftsordnung gelang nur auf dem VDZ-Podium. Die Gerüchteküche der Medien kochte sofort auf allzu hoher Flamme, befeuert von ständig ins Feuer geworfenen neuen Kandidatennamen – ein Spiegelbild der Spekulationsfreudigkeit in der Branche.
Aber wer auch immer nun das Rennen machen wird, es bleiben Fragen von grundsätzlicher Natur, die sich beim „Spiegel“; wie unter einem Brennglas zeigen, sich aber der Printbranche insgesamt stellen:
* Welche Rolle soll, welche kann der „Spiegel“; für den gesellschaftlichen Diskurs künftig spielen?
* Wie muss ein Printmedium seinen gesellschaftspolitischem Anspruch in einer veränderten digitalen Medienwelt formulieren, um wahrgenommen zu werden?
* In welchen Sinne und mit welchen Mitteln sollen Medien Themen setzen und Debatten vorantreiben?
Stefan Aust, so viel ist sicher, war ein Meister des Agendasettings – weil er nicht nur den eigenen Titel, sondern ein ganzes Netzwerk dazu nutzte. Doch gerade das hat die Redaktion und Leserschaft zunehmend polarisiert. Denn seine Methode löste immer mehr Unbehagen aus, weil die Grenzen zwischen unabhängiger Kritik und parteilicher Stellungnahme zunehmend verschwommen.
Dazu hat nicht unwesentlich beitragen, dass auch die klassische Gewaltenteilung zwischen „linken“; und „rechten“; Blättern längst nicht mehr eindeutig geregelt ist. Das allein der Männerfreundschaft zwischen Stefan Aust, Frank Schirrmacher, Kai Diekmann & Co. in die Schuhe zu schieben, wäre allzu einfach. Aber sie waren es, die der Koexistenz von „Spiegel“;, „FAZ“; und „Springer“; durch freundliche Kooperationen in Themen und Nachrichten ein anderes Gesicht gegeben haben. Nicht von ungefähr werden jetzt schon Wetten darauf abgeschlossen, ob Stefan Aust nach seinem Vertragsende beim „Spiegel“; womöglich als Fernsehvorstand in der Axel Springer AG weiterwirken werde.
In der Frage des Stils, was die Demission des amtierenden Chefredakteurs betrifft, mögen sich die Geister scheiden. Glücklich war der Vorgang und das Krisenmanagement des Hauses mit Sicherheit nicht. Doch die damit losgetretene öffentliche Auseinandersetzung hat auch ihr Gutes: Sie hat die Debatte um den künftigen inhaltlichen Kurs eines der immer noch wichtigsten Leitmedien wieder belebt. „Ein Facelifting wäre nötig. Es fehlen Kommentare und Essays, damit der „Spiegel“; sich in den intellektuellen Diskurs der Republik einschalten und ihn mitbestimmen kann“;, fordert beispielsweise Augstein-Biograf Peter Merseburger (s. a. Seite 16 f.).
Die Entscheidung über den künftigen Kurs liegt jetzt in den Händen des Mehrheitsgesellschafters, der Mitarbeiter-KG. An ihrer Entscheidungsfähigkeit und Kompetenz wird der „Spiegel“; künftig gemessen werden. „Zum ersten Mal in der deutschen Pressegeschichte bestimmt eine Redaktion darüber, wer ihr Herr werden soll. Ich bin gespannt wie das Experiment ausgeht“;, sagt Merseburger. Eines ist jetzt schon sicher: Die Diskussion um die Führungsstruktur und Positionierung des „Spiegel“; wird nicht mit der Benennung des neuen Chefredakteurs enden.
Erschienen in Ausgabe 12/2007 in der Rubrik „Editorial“ auf Seite 3 bis 3. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.