Diagnose

Es geht gar nicht um Online oder Print – es geht um Qualität!

Wie angespannt das Verhältnis zwischen Bloggern und klassischen Redaktionen ist, lässt sich an der Auseinandersetzung zwischen Stefan Niggemeier, dem mit Abstand meistgelesenen Blogger im Lande, und der „Süddeutschen Zeitung“; ablesen. Niggemeier kritisiert die Redaktion von sueddeutsche.de immer wieder dafür, dass sie mit Geschichten, die noch unter „Bild“;-Niveau liegen, Klickzahlen generiert, statt das Web sinnvoll einzusetzen. Jahrelang hatte der Süddeutsche Verlag es verpasst, in Online zu investieren und das unternehmerische Heil vor allem in Buch- und CD-Reihen gesehen. Erst jetzt investiert der Verlag mehr Geld in die Online-Redaktion – aber eine eigene Marke im Netz, emanzipiert vom Mutterblatt, wie Spiegel-Online es ist, wird sueddeutsche.de wohl nicht mehr werden.

Und so geht es vielen Verlagen. Statt ins Internet zu investieren, reden sie Webentwicklungen lieber schlecht. Blogger seien irrelevant und unseriös, „Bürgerjournalismus“; ein Irrweg – manche fordern sogar Bestandschutz für ihre Zeitungen. Dabei sind die Verlage doch selbst schuld. Indem sie die Qualität ihrer Produkte dank Stellenstreichungen, Einstellung ganzer Zeitungsteile, Einsparen der Korrektoren selbst reduziert haben, haben sie erst dafür gesorgt, dass man tatsächlich auf die Idee kommen kann, dass mancher Blogger interessantere und bessere Geschichten schreibt als die Zeitungen. Und schlecht Recherchiertes bekommt man auch bei den klassischen Printmedien.

Querverbindungen. Und was, bitte, ist daran Qualitätsjournalismus, wenn „Vanity Fair“; den Lesern eine Story über die viele Anzeigen schaltende Modefirma Boss anbietet, die sich liest, als sei sie von der Boss-PR-Agentur gegengelesen worden? Oder wenn Gruner + Jahr die Themen doppelt verwertet – wie die Geschichte über ein magersüchtiges Model, wobei im „Stern“; steht, dass sie sich die künstlichen Sommersprossen hat tätowieren lassen und in „View“;, dass sie sich diese Sommersprossen selber jeden Tag ins Gesicht malt? Die Frage stellt sich aber auch, wenn der „Spiegel“; eine äußerst positive Rezension über das Buch „Mona“; von Alexander Gorkow veröffentlicht, die ausgerechnet der Münchner Dramatiker Albert Ostermaier schreibt, der das Buch mit dem Autor selbst auf einer Lesung im Literaturhaus München vorstellt. Angesichts solcher Fehlleistungen muss wirklich niemand mit dem Finger auf Blogger oder Wikipedianer zeigen. Allenfalls wären diese Art freiwilliger Aufgabe von Standards, gepaart mit dem Hang zur Vermischung von Redaktion und Werbung, ein guter Grund, mal vom hohen Ross herabzusteigen.

Ansprüche. Die Verlage sollten sich also nicht wundern, dass manche Leser ihr Heil nicht mehr bei den klassischen Medienmarken sehen, wenn das einst gute Image von Print so mutwillig zertrümmert wird. Beispiel Medienseiten: Stefan Niggemeiers und Christoph Schultheis‘ „Bild“;-Blog erfüllt eine Wächterfunktion, die die klassischen Medien nicht mehr wahrgenommen haben. Die veröffentlichten lieber indifferente, ironische Artikel darüber, warum die „Bild“; im Großen und Ganzen doch recht lustig ist. Niggemeier und Schultheis ist es zu verdanken, dass die Kritik an chauvinistischen und sexistischen Zeilen nicht völlig entschlafen ist und mittlerweile auch in anderen Medien wieder zum guten Ton gehört. Wenn man einen journalistischen Anspruch hat – dann ist der technische Distributionsweg eigentlich egal. Es geht nicht um Online oder nicht Online, es geht um einen Journalismus, der gewissen Werten verpflichtet ist, der eine klare Haltung hat. Niggemeier und Schultheis hätten auch eine wöchentliche Tageszeitungskolumne schreiben können, dann gäbe es diesen Blog womöglich gar nicht. Aber die deutschen Medienseiten wollen ja oft nicht mehr, als Fernsehrezensionen abzudrucken.

Natürlich müssen Verlage ihr Online-Angebot ausbauen, weil gerade junge Leser nun mal mehr vor dem Bildschirm als vor Zeitungen und Magazinen sitzen. Allerdings sollten sie sich zuerst einmal auf Qualität besinnen. Dann bräuchten sie auch weniger Ängste vor Bloggern, Wikipedia und sogenanntem Bürgerjournalismus zu haben.

Erschienen in Ausgabe 12/2007 in der Rubrik „Journaille“ auf Seite 22 bis 23. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.