Die erste Woche

In manchen Redaktionen hocken Praktikanten wie Hausgeister: Sie sind da, aber niemand sieht sie. Bei den Praktikanten hingegen folgt auf die erste Euphorie über den ergatterten Platz oft die Enttäuschung: Sechs Wochen oder drei Monate sind um, und sie haben lediglich zehn Mal am Tag ihre E-Mails abgerufen und sich die neuesten Filme bei „YouTube“; angeschaut. Wenn die Freunde begeistert fragen, wie es denn war, lautet die ehrliche Antwort: „Ich bin nur rumgesessen.“; Erfolgreich ist, wer in der Redaktion nicht untergeht, aber auch nicht als Wichtigtuer abgestempelt wird. Die Grundlage für den Erfolg kann man nur zu einem Zeitpunkt legen: zu Beginn der Hospitanz.

Der erste Tag: einen guten Start hinlegen. Eigentlich versteht es sich von selbst, aber man kann es nicht oft genug sagen: unbedingt pünktlich sein. Selbst wenn die anderen erst nach und nach eintrudeln – die Nonchalance gilt nicht für den Praktikanten (auch nicht am dritten Tag oder in der zweiten Woche). Normalerweise findet sich jemand, der dem Praktikanten seinen Arbeitsplatz zeigt und kurz durch die Räume führt. Sollte dies nach der ersten Konferenz immer noch nicht passiert sein: freundlich im Sekretariat nachfragen. Leider gibt es für Praktikanten in den meisten Redaktionen keinen festen Platz. Sie wechseln von Schreibtisch zu Schreibtisch – je nachdem, wer in Urlaub ist. Das ist ärgerlich – aber kein Grund, sich öffentlich aufzuregen. Wenn der Chef gleich am ersten Tag einen Auftrag hat: wunderbar. Wenn nicht: ruhig durchatmen.

Seinen Arbeitsplatz finden. Ein Telefon, Computer, Zugang zum Internet oder zu Datenbanken gehören heutzutage dazu. Fragen Sie, wie man das Archiv nutzt. Normalerweise liegen in jeder Redaktion aktuelle Tageszeitungen aus. Wenn es nur einen Satz Zeitungen für das ganze Ressort gibt: Bunkern Sie diese nicht den ganzen Tag bei sich. Fragen Sie freundlich im Sekretariat, ob sie sich frei bedienen dürfen. Informieren Sie sich über die Gepflogenheiten in der Redaktion: Gibt es eine Kaffeekasse und wenn ja, zahlen Sie trotz Ihres knappen Budgets ein. Erkundigen Sie sich, wie Geburtstage gefeiert werden.

Die erste Konferenz – erstes Schaulaufen. Oft wird die erste Konferenz dazu benutzt, die Neuen vorzustellen. Überlegen Sie sich ein paar Sätze, falls man Sie selbst darum bittet. Aber bitte: Nur die wichtigsten Stationen. Machen Sie sich interessant, aber nehmen Sie sich nicht zu wichtig! Signalisieren Sie, dass Sie sich darauf freuen, von den Profis zu lernen. Wenn Sie die Chance hatten, sich kurz vorzustellen, ist für den ersten Tag schon viel geschafft. Für forschere Charaktere: Verfolgen Sie die Diskussionen in der Konferenz und stellen Sie eine intelligente Frage oder geben eine Anregung, aber kritisieren Sie keine Kollegen. Wer möchte, kann auch am ersten Tag schon eigene Themen vorschlagen. Manche Ressortleiter erwarten das, anderen ist das zu forsch. Eine Regel gibt es nicht. Im Laufe der ersten Woche sollten Sie aber Vorschläge einbringen.

Vorstellen – am besten persönlich. Egal, ob Sie in der Konferenz vorgestellt wurden oder nicht: Gehen Sie in jedes einzelne Büro und stellen sich persönlich kurz vor. Nichts ist schlimmer, als wenn keiner merkt, dass Sie da sind. Fragen Sie kurz nach den Themen, an denen die Redakteure gerade sitzen. Bieten Sie Ihre Hilfe an – freundlich, aber nicht verzweifelt. Zu einem besseren Kennenlernen gehört das gemeinsame Mittagessen. Nicht nur politische Entscheidungen werden beim Essen getroffen. Die Entwicklung von Themen besprechen Redakteure gerne in der Kantine. Schließen Sie sich daher möglichst bald an. Es kann durchaus sein, dass Sie niemals gefragt werden, ob Sie zum Essen mitkommen wollen. Das muss kein böser Wille sein, sondern wird meist schlicht vergessen. Ergreifen Sie einfach die Initiative und fragen Sie, wann die Redakteure üblicherweise essen gehen und ob Sie mitkommen dürfen. Wichtig: Beteiligen Sie sich nicht an Lästereien über Kollegen oder den Ressortleiter. Niemals!

Kleiderordnung: im Zweifel zu schick. Auch wenn Sie es spießig finden: Nach außen vertreten Sie die Redaktion. Also kleiden Sie sich so, dass Sie auch zu einer Feierstunde ins Rathaus gehen könnten. Im Zweifel ziehen Sie sich lieber etwas besser an. Orientieren Sie sich an den anderen. Speziell Politik- und Wirtschaftsredaktionen bevorzugen einen konservativen Kleidungsstil. Der Ressortleiter eines Parlamentsbüros kritisierte das Äußere eines Praktikanten, der im gebügelten Hemd, Jackett und Jeans auftrat, mit den Worten: „Das ist mir zu leger.“;

Der erste Auftrag: von Beginn an professionell arbeiten. Kein Thema ist zu popelig: „Das Thema liegt mir nicht“;, den Satz gibt es nicht für Praktikanten. Jedes Thema, das wert ist, vom Chefredakteur oder Ressortleiter genannt zu werden, ist es wert, dass sich der Praktikant sorgfältig darum kümmert. Ob der Bericht über den Müll nach Silvester oder die 100-Jahr-Feier des Krankenhauses – wer die erste Chance ablehnt, kriegt oft keine zweite. Das Gleiche gilt für Textlängen. Auch 30 Zeilen wollen anspruchsvoll gefüllt werden und auch eine Zuarbeit ist wichtig. Die meisten Praktikanten werden anfangs anderen Redakteuren bei der Recherche helfen. Auch hier kann man sich über gründliche Recherchen und interessante Ansprechpartner profilieren. Dabei immer korrekt den vollen Namen, die Funktion, das Alter und den Wohnort aufschreiben. Vergewissern Sie sich, bis wann Sie Zeit für den Auftrag haben und liefern Sie pünktlich.

„Gründe sind die Pest“;, sagt Wolf Schneider, erster Leiter der Henri-Nannen-Journalistenschule, und das stimmt. Einer Redaktion ist es völlig egal, ob Sie zu spät kommen, weil Ihre Katze Geburtstag hatte oder die U-Bahn einen Unfall. Kommen Sie niemals in die Redaktion, ohne den Auftrag erledigt zu haben. Sollte sich die Situation vor Ort anders darstellen als erwartet: Überlegen Sie sich einen anderen Zugang zu der Geschichte. Berichten Sie kurz darüber, wenn Sie wieder da sind oder rufen Sie vorab an. Bieten Sie Ihre Idee an, aber überlassen Sie die Entscheidung dem Chef. Wenn sich abzeichnet, dass ein Thema platzt: Überlegen Sie sich eine Alternative.

Lernen heißt: Kritik annehmen. Sie haben Ihren ersten Artikel geschrieben; wollen den Sekt öffnen und kriegen dann Ihren redigierten Text zurück – mehr rot als schwarz-weiß? Macht nichts. Es gibt keine gute erste Version. Hören Sie zu und schlucken Sie Ihren Frust herunter. Heben Sie sich dennoch ihre erste Version auf. Manchmal werden auch Fehler (natürlich nicht absichtlich) in den Text redigiert.

Erschienen in Ausgabe 12/2007 in der Rubrik „Praktikum“ auf Seite 6 bis 6. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.