Echter Bedarf

* Herr Kiesel, kann man vom freien Journalismus noch leben?

Wolfgang Kiesel: Ja. Ich kenne deutlich mehr freie Journalisten, denen es nicht schlecht geht, als solche, denen es richtig schlecht geht. Man lebt allerdings nicht gut davon, wenn man das falsche Verständnis von diesem Beruf hat.

Was sind die schlimmsten Fehler?

Sich als „freier Mitarbeiter“; zu fühlen, fertige Texte abzuliefern, in der Hoffnung, dass die irgendwann einmal für irgendein kleines Honorar gedruckt werden. Und vielleicht der größte Fehler ist es, ausschließlich oder hauptsächlich für Tageszeitungen zu arbeiten. Von den Honoraren, die dort gezahlt werden – 40, 50 oder, wenn es hoch kommt, 70 Cent pro Zeile – kann ein Profi nicht leben.

Gerade Zeitungen reden aber gerne von „Qualitätsjournalismus“; – und haben in den letzten Jahren am meisten Redakteure entlassen. Die müssten doch Bedarf an guten Freien haben.

Es ist eine Lachnummer, wenn Chefredakteure von „Autorenzeitungen“; reden und 70 Cent pro Zeile für ein Spitzenhonorar halten. Leider gibt es in Deutschland kaum noch Verleger mit publizistischem Auftrag. Stattdessen sitzen dort Leute, die irgendwann in ihrer Karriere auch mal die Geschäftsführung eines Verlages übernommen haben – und auf Controller hören, die morgen Teppiche und übermorgen Autos verkaufen, aber keine Ahnung davon haben, was Journalismus bedeutet. Diese Controller haben dafür gesorgt, dass Journalismus in Deutschland inzwischen zu einer betriebswirtschaftlichen Größe minimiert wurde – und das trifft nicht nur Festangestellte, sondern auch Freie, deren Honorare in den letzten Jahren nirgendwo gestiegen sind, sondern meist sogar sanken. Das ist übrigens nicht nur ein Problem bei Tageszeitungen, sondern auch in öffentlich rechtlichen Sendern: Wenn Sie als Freier dort nicht mehr als 15000 Euro im Jahr verdienen dürfen, dann sind Sie auf Hartz IV-Niveau gebucht. Eigentlich müssten sich Berufsverbände, Presseakademien und Gewerkschaften Controller vornehmen und ihnen die Bedeutung von Medien – auch gedruckten Medien – klarmachen. Das wäre vielleicht die Lösung des Problems.

Und was tun Freie bis dahin?

Wer heute als Profi freiberuflich arbeiten will, muss sich anders aufstellen, sein Selbstverständnis ändern. Der erste Schritt ist es, den Beruf „Journalist“; anders zu definieren. Für mich ist ein Journalist einer, der Kommunikationsprozesse organisiert. Das schließt durchaus die journalistischen Anteile von Öffentlichkeitsarbeit mit ein: Wirtschaftsverbände, gemeinnützige Organisationen – alle brauchen Kommunikation, und die findet ganz überwiegend außerhalb von Tageszeitungen statt. Und auch Corporate Publishing ist dem Journalismus sehr nahe, es gibt in Deutschland mehrere Tausend solcher Redaktionen, dort ist viel Bedarf für Freie. Aber selbst wenn man nicht in die Öffentlichkeitsarbeit gehen will: Auch in Special-Interest-Magazinen oder Fachzeitschriften wird deutlich besser gezahlt als in Tageszeitungen.

Also heißt das, den Traum zu begraben, irgendwann Seite-3-Geschichte in der „Süddeutschen“; oder die große Magazin-Reportage zu schreiben?

Wer sich am Ende seiner Ausbildung überlegt, ob er nun lieber für den „Spiegel“; oder die „Zeit“; schreibt – oder doch nur für den „Focus“;, der wird schnell eines feststellen: Entweder gehört er zu dem Fünfteln, die das schaffen. Oder zu den vier Fünftel, die es nicht schaffen. Jedes Jahr kommen in Deutschland 2.500 bis 3.000 Journalisten neu auf den Markt, viele von ihnen arbeiten frei. Aber nach zwei, drei Jahren ist nur noch ein Drittel von ihnen im Beruf. Das ist schade, denn das waren oft die besseren Journalisten.

Aber realistisch sein, das Selbstverständnis ändern, das allein reicht doch noch nicht, um erfolgreich zu sein?

Nein. Dazu muss das richtige Selbstmarketing kommen. Man muss für Redaktionen erkennbar sein, ein Profil haben: Das kann entweder ein Themenbereich sein, eine bestimmten Region oder ein Genre. Für den Tausendsassa gibt es heute keine Honorartöpfe mehr. Eine Website gehört zum Selbstmarketing ebenso dazu wie Einträge in Datenbanken oder Adress-Verzeichnissen. Professionelle Freie bekommen zudem ihre Aufträge von Redaktionen und schreiben dann erst die Texte, sie liefern pünktlich und halten sich an die abgesprochenen Themen und Längen. Und sie schreiben auf hohem journalistischen Niveau und fabrizieren nicht langweilige und gesichtslose PR-Texte. Wer so arbeitet, verdient in der Regel genug, um sich hin und wieder einen Artikel für Tageszeitungen oder Magazine leisten zu können – und sich damit ein Stück journalistische Befriedigung zu holen. Ohne diese Mischkalkulation geht es nicht. Es ärgert mich, dass es oft die besten Journalisten sind, die schon das Nachdenken über Selbstmarketing als verwerflich empfinden.

Die Verlage versuchen, immer mehr Rechte von den Freien an sich zu ziehen: Für Mehrfach-, Onlineverwertungen, etc. wird nicht mehr separat gezahlt. Wie geht man damit um?

Man kann sich Allgemeine Geschäftsbedingungen zulegen, in denen man Mehrfachverwertungen untersagt und so die Geschäftsbedingungen der Verlage aushebelt, Informationen darüber gibt es z.B. bei den Berufsverbänden. Und man muss den Mut und das Selbstbewusstsein haben, zu sagen: Unter diesen Bedingungen kann ich als Profi für euch nicht arbeiten. Das gilt ebenso für Angebote, die schlecht bezahlt sind und außerhalb der verantwortbaren Mischkalkulation liegen. Auch als Freier kann man Verluste machen – und das darf man sich nicht leisten.

Die Hoffnung ist, dass irgendwann die festangestellten Kollegen in den Konferenzen deutlich machen, dass die redaktionelle Qualität immer schlechter wird, wenn die Honorare und Verträge für die Freien nicht fundamental verbessert werden – weil gute Freie unter solchen Bedingungen nicht arbeiten.

Selbstbewusstsein klingt gut. Aber viele Journalisten sind heute gezwungen, frei zu arbeiten, weil es kaum noch feste Stellen gibt. Werden die überhaupt alle gebraucht?

Es gibt Dutzende von Chefredakteuren, die händeringend nach zuverlässigen Autoren suchen. Es besteht auf jeden Fall Bedarf nach guten Freien. Zwar wird es nie freien Journalismus ohne Existenzängste geben, aber wenn man ein Profil hat, für die Redaktionen erkennbar ist und dadurch auch gefragt wird, dann kann man diese Existenzängste in Schach halten und gut vom Journalismus leben.

Bei all den Schwierigkeiten – gibt es irgendwelche Gründe, aus freien Stücken in die Freiberuflichkeit zu gehen?

Es gibt durchaus Kolleginnen und Kollegen, die freiwillig und gerne in die Freiberuflichkeit wechseln, auch heute noch. Der Schritt wird erleichtert, wenn man bereits in einer Redaktion Berufserfahrung gesammelt hat, sich vielleicht schon spezialisiert hat und einigermaßen gesicherte Perspektiven sieht.

Die Gründe, die Entscheidung dann tatsächlich zu treffen, sind vielschichtig und nicht alle unbedingt nachvollziehbar. Doch im Vordergrund steht nicht selten ein Wort, das bei Journalisten beinahe aus dem Wortschatz verschwunden ist: Lebensqualität.

Lesetipp:

Der Ratgeber „Von Beruf frei“; erschien 2003 in dritter, überarbeiteter Auflage (476 Seiten). Herausgeber war bislang der Deutsche Journalistenverband (DJV), bei dem das Buch für 15 Euro plus Versand auch weiterhin bestellt werden kann ( www.djv.de). Für die vierte Auflage wird derzeit mit einem neuen Kooperationspartner verhandelt.

Erschienen in Ausgabe 12/2007 in der Rubrik „Beruf“ auf Seite 70 bis 71 Autor/en: Interview: Eva-Maria Schnurr. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.