Einer für alles

Wenn es nach Radio Bremen-Intendant Heinz Glässgen geht, funktioniert die Sy- nergie ganz einfach: Künftig besucht nur noch ein Reporter eine Pressekonferenz – immerhin gemeinsam mit einem Kamerateam – und berichtet nicht nur fürs Fernsehen, sondern auch gleich fürs Radio und Internet. „Einmal generieren, unterschiedlich distribuieren“; – so nennt Glässgen das.

Nicht freiwillig, sondern eher aus der Not heraus ist das neue Konzept entstanden. 1999 hatten die Ministerpräsidenten der Länder beschlossen, den Finanzausgleich innerhalb der ARD zu halbieren, was für Radio Bremen (RB) harte Einschnitte bedeutete. Klar war: 2006 würde ein Drittel weniger Geld in die Kasse fließen als noch im Jahr 2000. Um die kleinste aller ARD-Anstalten dennoch zukunftssicher zu machen und einstweilen Fusionsbegehrlichkeiten zu entgehen, reduzierte Glässgen die Zahl der festen Stellen von 700 auf 400 – und plante einen Neubau: Halb so groß wie die bisher getrennten Standorte für Hörfunk und Fernsehen. Dafür optimiert auf trimediales Arbeiten. „Die Veränderungen sind mit die größten, die es in der ARD je gab“;, sagt Glässgen.

Dreifache Verwertung. Seit November arbeiten nun fast alle RB-Redaktionen im 80-Millionen-Neubau. Ein gemeinsames Redaktionssystem ermöglicht den Zugriff auf alle Inhalte des Funkhauses – ob Radio- oder Fernsehbeiträge oder Texte für die Website. In den vergangenen Wochen habe manches „noch nicht so funktioniert, wie wir es gehofft haben“;, sagt der Intendant, aber verbucht das unter Anlaufschwierigkeiten. Trotz intensiver Schulungen der Mitarbeiter brauche es halt Zeit und Praxis, bis die Redakteure, die bisher nur Radio oder Fernsehen gemacht hatten, auch für das jeweils andere Medium mitdenken und -arbeiten. Besonders für die Fernsehredakteure ist es eine große Umstellung. „Ich habe bisher gar nichts mit Computern am Hut gehabt“;, stöhnt ein Redakteur. Von ihm wird nun erwartet, dass er zumindest den Rohschnitt seines Films selbst vornimmt.

Neu ist aber vor allem die Struktur und Ausrichtung der fünf Fachredaktionen, die künftig trimedial arbeiten: jeweils eine für Nachrichten, Sport, Politik, Wirtschaft & Regionales, Kultur und eine für Bremerhaven. Die Hauptaufgabe der Redaktionen: Informationen so aufzubereiten, wie sie für die jeweils unterschiedlichen Programme und Radiowellen benötigt werden. Also beispielsweise kürzere Beiträge für das Jugendprogramm „Bremen Vier“;, ausführlichere für das Kulturprogramm „Nordwestradio“; . Verglichen mit der Printbranche wäre es so, als müsste ein Journalist das gleiche Thema für „Bravo“;, „Stern“; und „Zeit“; aufbereiten. Und deswegen ist auch Heinz Glässgen klar, dass das nicht in allen Fällen funktionieren wird (s.a. Interview Seite 28 f.)

Fließende Schalte. Dennoch, auch Redaktionsleiter Guido Schulenberg, zuständig für die Nachrichten, ist von dem Konzept einer zentralen Fachredaktion überzeugt. In der Nachrichtenredaktion gibt es im Großraumbüro jetzt vier Sprecherkabinen – um direkt von dort aus parallel für alle vier Hörfunkprogramme die Nachrichten senden zu können. Bisher sei es so gewesen, dass bei einem Ereignis, wie dem Rücktritt von Franz Müntefering, mehrere Redaktionen bei Bürgermeister Jens Börnsen versucht hätten, eine Stellungnahme einzuholen. „Es reicht jetzt, wenn das Fernsehen ein Team losschickt – der Ton steht ja dann auch für den Hörfunk zur Verfügung“;, sagt Schulenberg, der auch den Online-Kanal stärken will. „Irgendwann soll das Motto, Online first‘ gelten“;. Es sei nicht sinnvoll, Nachrichten so lange zurückzuhalten, bis sie im Radio oder Fernsehen verbreitet werden könnten.

Henry Vogt war bisher nur Radioreporter. Jetzt arbeitet er in der trimedialen Fachredaktion Sport. Feste Arbeitsplätze haben die Reporter im Großraumbüro nicht mehr. Stattdessen hat jeder einen Caddy mit seinen persönlichen Dingen – und den schiebt er dorthin, wo Platz ist. Die Pressekonferenz des Bundesligisten Werder Bremen nur noch mit einem Fernsehteam zu besetzen, ist für Henry Vogt nur denkbar, wenn nichts Spektakuläres zu erwarten ist. „Ein Radio-Reporter wird aber auch immer wieder selbst hingehen“;, sagt Vogt. Zur Vorbereitung auf ein Bundesliga-Spiel sei das nötig, weil eben auch die Gespräche abseits der offiziellen Pressekonferenz wichtig seien. Der Reporter ist also auch im neuen Radio Bremen immer noch mehr als ein reiner O-Ton-Beschaffer. Ansonsten sollen die Grenzen zwischen Radio, Fernsehen und Online in der Sportredaktion künftig fließend sein. Gegenseitiges Interesse ist da, ist sich Sportchef Ludwig Evertz sicher: „Fernseh-Kollegen haben schon gesagt, sie würden gern in der Bundesliga-Schaltkonferenz im Radio reportieren“;.

Jetzt muss die Praxis zeigen, wie gut das trimediale Arbeiten bei Radio Bremen tatsächlich funktioniert. Heinz Glässgen weiss sehr wohl um die Schwierigkeiten eines solchen Konzepts, das eben nicht nur aus inhaltlich-redaktioneller, sondern auch finanzieller Notwendigkeit entstanden ist. Auch deshalb will er zwar seine Vorreiterrolle nicht als Modellfall für die gesamte ARD verstanden wissen, auch wenn er sagt. „Wenn andere meinen, dass das auch ein Maßstab wäre für sie, dann kann das jeder für sich entscheiden.“;

Trend in der ARD. Denn dort wird ebenfalls längst an neuen Strukturen gebastelt. Bisher sind es vor allem die kleineren ARD-Anstalten, die völlig neue Wege gehen. Radio Bremen und auch der Saarländische Rundfunk (s.a. Kasten) aus dem einfachen Grund: Sie mussten neue Strukturen schaffen, um Kosten zu senken und so ihre Existenz zu sichern. Aber auch in den großen Häusern wird über neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Hörfunk, Fernsehen und Online nachgedacht.

Im RBB will Intendantin Dagmar Reim im Mai 2009 die Hörfunk- und Fernsehdirektionen zusammenlegen. Und auch wenn bis Januar 2009 insgesamt 320 Stellen abgebaut werden und angesichts der zu erwartenden KEF-Empfehlung weiter Einsparungen drohen, betont sie: „Die Fusion der beiden Programmdirektionen ist kein Sparmodell. Sie soll dazu dienen, den Journalismus im RBB besser zu machen. Wenn wir bei der Arbeit Synergien schaffen, wollen wir sie nutzen, um Kollegen freizubekommen für das, wofür sie ihren Beruf gelernt haben. Recherche, am Ball bleiben, nachfragen – kurzum: nachhaltigen Journalismus. Der kommt oft zu kurz in der Hektik und Aktualität des Tages.“; Doch wie das konkret in den Redaktionen aussehen soll, das verrät sie noch nicht. Auf jeden Fall sollen beide Bereiche auch nach außen sichtbar verbunden werden. Einige Nachrichtensendungen im RBB-Fernsehen sollen bereits ab Mai 2008 aus dem Neubau des Nachrichten-Flaggschiffs „Inforadio“; kommen. An Reporter, die alles machen, glaubt Reim jedoch nicht. „Wir werden immer Fachleute für jeden einzelnen Verbreitungsweg brauchen“;, glaubt sie.

Und Trimedalität im Sinne der RBB-Intendatin bedeutet klare Prioritäten: „Unser Kerngeschäft sind Radio und Fernsehen. Danach kommt Online.“; Sie hält Online-Angebote des RBB für unersetzlich, aber die Parole „Online first“; für einen „Fehler“;, da es den Blick auf das Kerngeschäft verstelle.

„AG Trip“;. Im NDR wiederum wurde im Sommer 2007 die AG Trip (trimediale Programmproduktion) gegründet. Auch wenn man es in Hamburg langsamer angehen lässt. „Von Auflösung unserer Direktionen kann – wenn überhaupt – noch lange keine Rede sein“;, sagt Arno Beyer, seit September stellvertretender Intendant des NDR. Und mit skeptischem Blick auf das Modell eines trimedial arbeitenden Reporter betont er: „Synergien dürfen nicht zu Qualitätsverlusten führen und auch nicht zu einer unzumutbaren Arbeitsbelastung.“;

Im Rahmen der AG Trip gibt es im NDR drei Pilotprojekte. Die Hauptabteilung Sport probiert eine engere Zusammenarbeit mit den Online-Kollegen aus. Im Landesfunkhaus Mecklenburg-Vorpommern wird getestet, wie durch die Zusammenarbeit von Hörfunk und Fernsehredaktionen und der Online-Redaktion die regionale Berichterstattung im Internet ausgebaut werden kann. Und der
Reporterpool des NDR Hörfunks bereitet exklusiv recherchierte Themen gemeinsam mit den Fernseh- und Online-Kollegen trimedial auf.

Wenn die Pilotprojekte ausgewertet sind, wird überlegt, was im NDR organisatorisch verändert werden muss, um in den Regelbetrieb zu gehen – und welche Technik dafür nötig ist. Vorrang sollen aber erst mal die klassischen Medien haben: „Online first wäre eine völlig falsche Prioritätensetzung. Hörfunk und Fernsehen werden gegenwärtig und auf absehbare Zukunft deutlich stärker genutzt“;, sagt Beyer wie auch RBB-Kollegin Reim. Er sieht die Hauptaufgabe in den nächsten Jahren darin, die Organisationsstrukturen zu verändern. Vor rund vor 20 Jahren wurden Fachredaktionen aufgelöst, die für alle Radioprogramme zuständig waren, und durch Wellen-Redaktionen ersetzt, die nur noch für ein Programm zuständig waren. Für viele Redakteure bedeutete das eine Umorientierung vom Spezialisten zum Generalisten. Nun, davon ist Arno Beyer überzeugt, geht der Weg wieder in die andere Richtung. „Die gute alte Fachredaktion als Tankstelle für Inhalte und Formen“; sei wieder im Kommen. Ein Beispiel: Der noch vergleichsweise neue NDR-Reporterpool, der zwar organisatorisch bei NDR Info angesiedelt ist, aber alle Programme mit Beiträgen versorgt. Dementsprechend fordert der stellvertretende Intendant ein erneutes Umdenken: „Die Redakteure müssen das Kästchendenken aufgeben und über ihre eigene Welle und Sendung hinaus denken“;.

Synergie für den Inhalt. Auch in der größten ARD-Anstalt, im WDR, soll es Veränderungen geben. Intendantin Monika Piel will in den Bereichen Sport, Wirtschaft und Wissenschaft Fernseh- und Radio-Redaktionen zusammenarbeiten lassen. Damit will sie „eine effizientere Arbeit und verbesserte Qualität etwa durch eine gemeinsame Themen- und Terminplanung erreichen“;. Aber so weit wie die Bremer Kollegen will sie nicht gehen: „Bei uns wird es nicht so sein, dass ein Redakteur parallel einen Radiobeitrag und einen Film fürs Fernsehen produziert“;, sagt die Intendantin. Vielmehr gehe es darum, vernetzt zu arbeiten und sich mit den Kollegen aus anderen Bereichen besser abzustimmen. Sinn des Ganzen ist es im WDR aber nicht, Stellen abzubauen – sollten dennoch durch Synergien welche frei werden, würden diese „dringend für neue, zusätzliche Aufgaben durch die Digitalisierung benötigt“;, erklärt Monika Piel. Welche das sind, lässt sie zunächst offen.

Synergien sind also gern gesehen, aber nicht zwingend nötig, weil die Existenz des WDR nicht gefährdet ist. Daher wird es wohl auch trimediales Arbeiten in den großen Häusern erst mal nicht geben. Doch die Zukunft hat bereits begonnen: Der journalistische Nachwuchs wird längst trimedial in Radio-, TV- und Online-Know-how ausgebildet. Die Konvergenz hat erst begonnen.

Der Wortlaut des Gesprächs mit RBB-Intendantin Dagmar Reim ist abrufbar unter www.mediummagazin.de, Rubrik download.

Erschienen in Ausgabe 12/2007 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 24 bis 27 Autor/en: Matthias Morr. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.