„Im Zweifel links“;

?Nach der Absetzung von Chefredakteur Stefan Aust herrscht beim „Spiegel“; ein großes Durcheinander. Unter Rudolf Augstein hätte es eine solche Verwirrung sicher nicht gegeben, oder?

Peter Merseburger: Ganz bestimmt nicht. Rudolf Augstein war bis zum Ende seines Lebens Herr im Hause „Spiegel“;. Er stützte sich auf seine Sperrminorität und natürlich auf seinen unerhörten Ruf. Er war eine Autorität, eine Legende. Die „Spiegel“;-Mitarbeiter haben, wenn auch manchmal murrend, immer pariert, wenn er damit drohte, sich ganz aus dem Verlag zurückzuziehen. Sie wussten: Ohne den Namen Augstein würde der „Spiegel“; nicht so gut in der Öffentlichkeit dastehen.

Ist das Nachrichtenmagazin seit dem Tod Augsteins orientierungslos?

Für die erste Zeit nach seinem Tod kann man das nicht sagen. Augstein hat ja selber dafür gesorgt, dass Stefan Aust und Geschäftsführer Karl Dietrich Seikel seine Führung quasi im Konsens verlängert haben. Die eigentliche Probe auf die Verfassung, die Augstein dem „Spiegel“; gegeben hat, das war abzusehen, kommt nun mit der Berufung eines Nachfolgers für Stefan Aust. Und Sie sehen, dass die Verfassung diesen Test eigentlich nicht besteht.

Inwiefern?

Was Augstein sich ausgedacht hatte, muss man sich genau anschauen. Im Sog des Zeitgeistes der 60er und 70er-Jahre hat er versucht, den Redakteuren, die ein Statut einführen wollten, eine andere Form der Mitbestimmung anzubieten. Die Redakteure wollten damals über ihren Chefredakteur bestimmen, und da hat Augstein gesagt: Das geht nicht. Ihr bestimmt unter Umständen einen Mann, der einen Kurs einschlägt, der dem Blatt materiell schaden könnte. In diesen Jahren lag es nahe, einen besonders linken Kurs zu steuern. Und man hatte ja während der „Spiegel“;-Affäre schon die Erfahrung gemacht, dass einige Unternehmen zögerten, ihre Anzeigen zu platzieren.

Stattdessen schenkte er seinen Mitarbeitern die Hälfte des Verlags.

Ja. Er wollte damit seine Mitarbeiter in das wirtschaftliche Risiko des Blattes einbinden. Das Ergebnis war die Mitarbeiter-KG.

Die nun faktisch doch fast im Alleingang über die Absetzung und Bestimmung des Chefredakteurs bestimmt.

Das Erstaunliche ist ja: Da haben die Mitarbeiter einen Chefredakteur, der das Blatt über der Millionengrenze hält, was nicht selbstverständlich ist. Stefan Aust ist ein unerhört erfolgreicher Blattmacher, der den Mitarbeitern und den anderen Gesellschaftern doch immer stattliche Renditen eingebracht hat. Und man fragt sich: Warum beruft man diesen Chef ab, ohne zu wissen, wen man an dessen Stelle setzen kann? Aust erfährt von seiner Abberufung im Urlaub. Dieser Umgang mit einem Mann, der den „Spiegel“; aus der „Focus“;-Krise geführt hat, ist würde- und stillos, ja skandalös.

Hat die KG versagt?

Nun, es stellt sich die Frage nach der Verfassung. Die Mitarbeiter-KG ist offensichtlich zu sehr basisdemokratischen Strömungen ausgesetzt. Augstein selbst hatte ja immer Vorbehalte gegenüber der Mitarbeiter-KG. Einmal hat er versucht, die ganze Konstruktion zurückzunehmen und die Anteile zurückzukaufen. Allerdings hätten sie in eine Stiftung gehen müssen, denn Hamburg hatte das zur Bedingung gemacht, als es auf große Teile der Schenkungssteuer verzichtete.

Der damalige Geschäftsführer Adolf Theobald prüfte diese Option.

Ja, gemeinsam mit dem damaligen Chefredakteur Werner Funk. Aber der Auftrag dazu kam von Rudolf Augstein. Er hat diesen Plan zum Schluss fallen lassen, weil er meinte, in einer Stiftung würde er selbst an Macht verlieren. Dennoch hat er mehrfach gesagt, die Schenkung sei der größte Fehler seines Lebens gewesen.

Sie sprechen von basisdemokratischen Strömungen. Demokratie ist schlecht für den „Spiegel“;?

Es gibt die Gefahr der Basisdemokratie dort, wo Mitarbeiter zu Sprechern der KG gewählt werden, die nicht in der Lage sind, einen unabhängigen Kurs zu steuern. Ursprünglich war die KG ja nicht basisdemokratisch gedacht. Die Frage ist nur: Sind die Sprecher der KG empfänglich für solche Strömungen oder setzen sie sich darüber hinweg?

Sie sehen eine Gefahr, dass man sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigt? Einen Chef, der es allen recht machen will?

Ein Chefredakteur, der lieb ist, ist kein Chefredakteur. Er muss unabhängig und er darf nicht parteiisch sein. Das Blatt muss kritisch nach allen Seiten sein. Der „Spiegel“; braucht einen Blattmacher mit Riecher für Titelgeschichten und Nase für Themen. Ich befürchte aber, dass die Gesellschafter durch die vorzeitige Veröffentlichung ihrer unbedachten und unüberlegten Aktion unter Zugzwang geraten. Einen solchen Chefredakteur kann man ja nicht herbeizaubern. Zeitdruck ist kein guter Ratgeber.

Sollte Austs Nachfolger von innen oder außen kommen?

Der wahrscheinlich begabteste Chefredakteur von innen wäre wahrscheinlich kein Wunschkandidat für die Mehrheit der KG.

Sie meinen den langjährigen Hauptstadtbürochef Gabor Steingart.

Das sagen Sie. Ich will keine Namen nennen und meine das eher prinzipiell. Der „Spiegel“; ist ein von Fraktionskämpfen gebeuteltes Blatt. Darum wäre es am vernünftigsten, man nähme eine starke Person von außen.

Sind die Mitarbeiter dabei, ihr Geschenk zu verschenken?

Nein. Aber es gäbe ein besseres Modell als das bestehende. Die Mitarbeiter sollten einen Geschäftsführer wählen und gleichzeitig einen Redaktionsbeirat. In dem Beirat könnten sie ihre Meinung vertreten, beispielsweise was die Wahl eines Chefredakteurs angeht. Aber sie sollten nicht mitbestimmen dürfen. Der einmal gewählte Geschäftsführer sollte frei und souverän handeln dürfen. So, wie die Verfassung jetzt ist, sind die Sprecher der KG gleichzeitig Redakteure unter dem Chefredakteur, den sie selbst berufen oder abberufen können. Das ist ein Unding. Der „Spiegel“; braucht einen Geschäftsführer der KG, der nicht in der Redaktion tätig ist. In solch einer Konstellation würde man ein Debakel wie das jetzige wohl nicht erleben.

Aber wer kontrolliert dann diesen Geschäftsführer? Und: Der Verlag hat ja bereits einen Geschäftsführer. Der heißt im Augenblick Mario Frank.

Der „Spiegel“; hätte dann zwei Geschäftsführer, das gab es schon einmal. Zu den Zeiten von Hans Detlev Becker, der Verlagsgeschäftsführer war, gab es den Redaktionsgeschäftsführer Rudolf Augstein. Unabhängig davon stellt sich aktuell die Frage nach der Geschäftsführung insgesamt. Aust und Seikel haben im Konsens gehandelt. Diesen Konsens gibt es mit dem neuen Geschäftsführer nicht, vor allem, weil dieser mit seinen Plänen für Spiegel TV, das Aust ja aus der Taufe gehoben hatte, aneinandergeriet. Natürlich gibt es nun auch bei einigen Mitarbeitern des „Spiegel“; die Überlegung, nach Stefan Aust auch Mario Frank zu kippen. Denn eine glückliche Hand hat Frank bisher noch nicht gehabt.

Ist der „Spiegel“; heute so relevant wie früher?

Er hat sein früheres Monopol auf investigativen Journalismus verloren, weil den inzwischen auch andere betreiben. Und er hat die Meinungsführerschaft, die er früher allein besaß, jetzt mit großen Zeitungen zu teilen. Aber er ist immer noch enorm relevant. Früher hat die Bedeutung des „Spiegel“; die Autoren für ihre Anonymität entschädigt. Heute gibt es keine Anonymität mehr, dafür findet man oft einen Salat von Autoren unter einem einzigen Artikel. Ein Facelifting wäre nötig. Es fehlen Kommentare und Essays, damit der „Spiegel“; sich in den intellektuellen Diskurs der Republik einschalten und ihn mitbestimmen kann.

Stefan Aust sollte vor einiger Zeit vor die KG zitiert werden, um über die politische Linie des Blattes zu diskutieren.

Es gibt ja den Vorwurf, der „Spiegel“; habe Rot-Grün weggeschrieben. Da sollte man zwei Mal hinschauen. Die eigene Partei hat Schröder die Gefolgschaft versagt, darum drängte der Kanzler auf Neuwahlen. Der „Spiegel“; plädierte dafür, Schröders alte Linie, den Reformkurs, weiterz
uführen. Dass Schröder sich im Wahlkampf wieder nach links orientierte, brachte den Dissens. Aber war das ein Fehler des „Spiegel“;?

Rückt der „Spiegel“; unter einem neuen Chefredakteur wieder nach links?

Das wünschen sich sicher viele Mitarbeiter. Ich meine, es sollte bei Augsteins Devise bleiben: Im Zweifel links.

Müssen Sie Ihrem Buch nun ein weiteres Kapitel hinzufügen?

Nein, nein. Ich habe eine Augstein-Biografie geschrieben und nicht die Geschichte des „Spiegel“;, obwohl man ja beides schlecht trennen kann.

Und werden die aktuellen Vorfälle in der Geschichte des „Spiegel“; eine Fußnote bleiben oder bedeuten sie eine Zäsur?

Eher Letzteres. Zum ersten Mal in der deutschen Pressegeschichte bestimmt schließlich eine Redaktion darüber, wer ihr Herr werden soll. Ich bin gespannt, wie das Experiment ausgeht.

Erschienen in Ausgabe 12/2007 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 16 bis 19 Autor/en: Interview: Christian Meier. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.