Klicks & Co.

Getalke

Etwas verblüffende Folge des Internetbooms: Ein Gewinner ist das alte Fernsehgenre Talkshow. Onliner hatten erkannt, dass es prächtig Aktualität vermittelt, wenn Nutzer die Show vom Abend gleich am nächsten Morgen besprochen finden. Inzwischen gibt es also kaum noch eine „Kerner“;- und sicher keine „Beckmann“;-Show, die nicht am Morgen danach rezensiert ist. Und auch die Papierzeitungen zollen der neuen Aufmerksamkeit für Talkshows Tribut. Manchmal sind gleich an drei Tagen frische Besprechungen zu haben: zwei Tage danach im Blatt, zuvor im Internet – und am Abend der Sendung selbst. Frank Plasbergs ARD-Debüt beispielsweise endete um 23.00 Uhr, Joachim Frank vom „Kölner Stadtanzeiger“; beispielsweise hatte die erste Fassung seiner Analyse um 23.48 Uhr online. Und die war durchaus profund: „Das Elend des gemeinen Polittalks ist ja, dass solch professionelle Selbstdarsteller kaum zu stoppen sind. Da aber eilt Plasberg offenbar ein so einschüchternder Ruf voraus, dass Steinbrück seine Sätze manchmal bis zur Unkenntlichkeit verdichtet – in der Sorge, der Moderator werde jeden Moment hi- neingrätschen“;.

Eklat

Immer noch eines der besten Beispiele dafür, wie das minutengenaue Internet den Journalismus beeinflusst: Der Fall Kerner/Herman aus dem Oktober, mit dem sich am 7.12. nun auch der ZDF-Fernsehrat befassen wird: Dank der ZDF-Mediathek entspann sich um Eva Hermans Auftritt bei Johannes B. Kerner eine vorbildlich ungleichgeschaltete Diskussion der Frage, für wen das alles beschämender war (s. a. Editorial, „medium magazin“; 11/07). Zuvor war auf „sueddeutsche.de“; am Mittwoch (12.57 Uhr) nach dem Dienstag der Sendung von einer „Sternstunde des Fernsehens“; die Rede. Mit der Ansicht stand man im Web allerdings zusehends allein, je mehr etwa Stefan Niggemeier in seinem Blog (Nacht zum Mittwoch, 1.41 Uhr) und Henryk M. Broder bei „Spiegel Online“; (Mi., 10.46 Uhr) gelesen wurden. „sueddeutsche.de“; reagierte und brachte um 17.40 Uhr auch eine kräftige Anti-Kerner-Meinung („Der Eklat … ist entgegen dem ersten Anschein kein Eklat, der ihr allein in die Schuhe zu schieben ist, es ist ein Debakel des Moderators …“;). Und 14 Minuten später noch eine. Da war gerade Hans Leyendeckers Beitrag für die nächste Papier-„SZ“; fertig geworden und ging first online. Einerseits toll, so eine Auseinandersetzung auf hohem Niveau. Andererseits schade, dass das Thema Kerner war.

Egal

Dass das Internet grundsätzlich als Subjekt und Objekt gelehrter Debatten taugt, hat Frank Schirrmacher belegt. Seine Dankesrede für den Jacob-Grimm-Preis, in der er allgemeines Dankesreden-Lob des Qualitätsjournalismus mit so nicht bekannten Warnungen vor dem Internet („… auch ein Medium, das in steigendem Maße Nicht- oder Fastnichtmehrlesen ermöglicht“;) verbunden hatte, publizierte der „FAZ“;-Mitherausgeber auf der Medienseite der „SZ“;. Bei „sueddeutsche.de“; gelangte sie unter der Überschrift „Wir brauchen eine Debatte“; ins Internet, woraufhin bei „Spiegel Online“; eine auch nicht übel formulierte „Replik“; erschien („Die Tatsache, dass jemand einen Text schreibt, der über Nacht auf Papier gedruckt und am nächsten Morgen zum Leser nach Hause gefahren wird, steigert dieser Argumentation zufolge die journalistischen Vorzüge des Geschriebenen“;). Als die gewünschte Debatte im Schwange war, stellte „faz.net“; eine noch ausführlichere Reden-Fassung online. Offenbar in Unkenntnis davon antwortete SWR-Intendant Peter Boudgoust wiederum in der „SZ“; auf einen Teilaspekt Schirrmachers (die überall geäußerte Kritik an den Internetplänen von ARD und ZDF) und machte sich das Fastnichtmehrlesen-Argument in einer Weise zu eigen („203 Zeilen umfasst die Dankesrede … Im Internet hätte der Text keine Chance. Dafür ist er zu lang“;), die wohl auch Schirrmacher selbst nicht unterschrieben hätte. Der hatte unterdessen für „SpOn“; eine Replik auf die „SpOn“;-Replik verfasst. Nicht überraschend, sah er sich bestätigt („Die Thesen dieser Rede über das Internet werden durch seine Rezeption im Internet in einer selbst für mich überraschenden Weise bestätigt“;), hatte aber auch wieder unstrittige Wahrheiten parat: „Dass aus alldem von, Spiegel Online‘ reaktionäres Bewusstsein konstruiert wird, ist letztlich egal“;.

Erschienen in Ausgabe 12/2007 in der Rubrik „Chronik“ auf Seite 20 bis 21 Autor/en: Christian Bartels. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.