?! Können Sie eigentlich noch unbeschwert einkaufen gehen, Herr Schneider?

* Sie haben einen Text über Shopping- verhalten geschrieben. Gehen Sie gerne einkaufen?

Reto U. Schneider: Ich bin ein klassischer Mann: Ich liebe Geräte mit je mehr Schaltern, desto besser. Richtig shoppen gehe ich eigentlich kaum. Ich bin eher der Typ, der im Internet recherchiert, was ich genau brauche, und dann gehe ich hin und kaufe es. Aber sagen wir so: Zum Media Markt oder so gehe ich gerne.

* Wenn Sie nicht so gerne einkaufen, warum haben Sie dann dieses Thema ausgewählt?

* NZZ-„Folio“; ist ein Themenheft. Und wir hatten da das Thema Shopping. Ich hatte immer mal wieder was drüber gelesen, was alles so gemacht wird, um die Leute zum Kaufen zu bewegen. Und da war ziemlich schnell klar, dass wir so einen Beitrag machen wollen.

* In Ihrem Beitrag nehmen Sie die Leser mit auf Einkaufstour. Es wird ein Einkaufszettel vorgegeben, an dem entlang sich der Text hangelt. Gab es diesen Einkauf wirklich oder haben Sie sich das ausgedacht?

* Nein, diesen Einkauf gab es nicht. Den habe ich mir ausgedacht. Ursprünglich hatte ich eine andere Idee. Ich wollte die Geschichte anhand eines Einkaufs in existierenden Einkaufszentren erzählen. Ich habe dann auch mehrere moderne Einkaufszentren in der Schweiz besucht. Das Problem war aber, dass natürlich in jedem wieder eine andere Erkenntnis umgesetzt wurde, aber die Fülle der Dinge, die es gibt, nirgends komplett zu finden war. Das ist es aber, was ich dem Leser habe erzählen wollen: Wie viel Forschung betrieben wird, welch sonderbare Experimente um den Kunden gemacht werden. Ein anderes Problem war, dass die Marketingexperten der Supermärkte, jedenfalls in der Schweiz, viele Forschungsergebnisse zum Teil selbst nicht so im Detail gekannt haben. Und deshalb war dann am Schluss die Lösung, einen Einkaufszettel und einen Supermarkt zu erfinden, der zwar in seiner Anlage einem typischen Einkaufszentrum entspricht, woran aber alle möglichen Forschungsresultate gezeigt werden. Eine Fülle, die es in dieser Kombination nirgends gibt.

* Welche Quellen haben Sie für Ihren Beitrag benutzt? Waren es mehr wissenschaftliche Abhandlungen oder haben Sie auch mit Kollegen über deren Einkaufsverhalten gesprochen?

* Vor allem wissenschaftliche Abhandlungen. Ich arbeite relativ oft so, dass ich versuche, wissenschaftliche Erkenntnisse in einer möglichst unterhaltenden Form zu präsentieren. Nicht ganz einfach an dieser Sache war, dass es zwar akademische Forschung gibt, die an Universitäten gemacht wird und frei zugänglich ist, aber ziemlich viele Studien von Beraterbüros gemacht werden und man schlecht an die Daten rankommt. Und ich habe auch festgestellt, dass in einigen Büchern, die ich dazu dann zur Hand genommen habe und in denen sehr interessante Details standen, keine Quellen zu finden waren. Als ich nachgefragt habe, ob ich die Quelle haben kann, hieß es, wir können die Quelle nicht rausgeben. Zum Teil mit sehr fadenscheinigen Begründungen. Ich vermute, ein paar Dinge wurden da auch erfunden …

* … erfunden von den Beratern?

* Ja, in einem Fall, ich will jetzt keine Namen nennen, es ist ein ziemlich gut verkauftes Buch zum Thema Shoppingverhalten und was die Gehirnforschung dazu sagt, in diesem Fall hatte ich das Gefühl, vieles davon war geschrieben worden, um die Leser zu beeindrucken. Aber ich konnte da viele Fakten nicht hart machen. Ich komme ja vom Wissenschaftsjournalismus her. Und mein Prinzip ist: Ich muss die Arbeit sehen, sonst schreibe ich nicht darüber.

* Wie lange haben Sie für den Beitrag recherchiert und dann geschrieben?

* Das ist eine schwierige Frage, weil wir immer parallel an allen möglichen Themen arbeiten. Das heißt, ich habe parallel an diesem Text recherchiert und an anderen Heften als Redakteur gearbeitet. Aber das war schon eine aufwendige Sache, vor allem, weil ich zum Teil Bewilligungen der Geschäftsleitung haben musste, um mir Dinge zeigen zu lassen. Ich schätze mal: Am Stück hätte ich bestimmt drei volle Wochen dran gehabt.

* Wie oft schreiben Sie solche langen Stücke?

* Immer häufiger. Der Grund ist einfach: Weil wir es können. NZZ-„Folio“; ist eine besondere Publikation, weil sie themenorientiert ist, und nicht der Tagesaktualität unterliegt. Das heißt, wir publizieren normalerweise jeden Monat zu einem Thema acht bis zehn Artikel, aber es steht uns niemand davor, auch nur einen einzigen langen Artikel zu machen, was wir in der vorletzten Ausgabe zum Beispiel getan haben. Da haben wir fünf 13jährige über ein halbes Jahr lang begleitet und dann drüber geschrieben. Zwar ist das eine Geschichte in Kapiteln, aber die läuft durch auf 25 Seiten.

* Hatten Sie keine Sorge, dass so ein langer Text überhaupt gelesen wird?

* Nein, ganz im Gegenteil. Wir sind ein Themenheft, und die Leute wissen das natürlich. Aber ich habe sowohl auf diese Geschichte hier als auch auf die Geschichte mit den 13-Jährigen unglaublich viele Reaktionen gehabt, und ausschließlich positive, zum Teil enthusiastische, dass wir so was machen, weil das niemand anders in der Form macht.

* Glauben Sie, dass die Händler begeistert sind, dass deren Methoden so ausgeplaudert werden?

* Ich hatte jetzt von den Händlern direkt keine Reaktionen, außer dass es viele Nachbestellungen des Hefts gab. Aber man muss sich auch klar sein: Die Leute, die in den Supermärkten arbeiten, stehen vor dem ganz praktischen Problem, 100.000 Artikel auf drei Laufkilometern Regale zu verteilen, und da geht man natürlich anders vor, als ich, der jetzt kommt und über einzelne Studien erzählt. Ich habe den Eindruck, die haben gar nicht dieses theoretische Wissen. Das heißt, ich habe nicht wahnsinnig viel ausgeplaudert, das sie irgendwie geheim halten wollen, weil sie vieles gar nicht unbedingt wussten, gar nicht unbedingt wissen müssen. Am Schluss des Artikels relativiere ich die ganze Sache ja auch ein bisschen.

* Können Sie eigentlich noch unbeschwert einkaufen gehen, ohne die ganze Zeit in Kategorien wie Bückzone oder Reckzone zu denken?

* Ja, eigentlich schon. Ich finde es sogar viel interessanter, seit ich diese Geschichte gemacht habe. Ich schaue viel bewusster hin, sehe Dinge sofort, sehe auch viele Fehler. Das ist für mich ganz lustig.

Interview: Katy Walther

Erschienen in Ausgabe 12/2007 in der Rubrik „Best of Helmut-Schmidt-Preis“ auf Seite 6 bis 6. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.