?! Sind Sie das Kommentieren leid, Herr Heusinger?

* Sie haben als Einleitung für die „Zeit“;-Beilage „Geld Spezial“; einen Brief an Vater Staat geschrieben, der auf die Tücken der Altersvorsorge aufmerksam macht. Sind Sie das Kommentieren leid?

Robert von Heusinger: Nein, das war eine plötzliche Eingebung, als ich am Abend vor dem Andruck am Computer saß. Bis dahin hatte ich in allen „Geld Spezial“;-Ausgaben auf der ersten Seite einen Kommentar geschrieben – schon weil ich nicht viel Zeit hatte, eine weitere, eigene Geschichte zu recherchieren.

Die Form eines Textes interessiert mich gar nicht so sehr, mich interessiert die Idee: Dichtung und Wahrheit, das ist mein Lieblingsthema. Ich möchte mit meinen Texten aufklären, auch wenn das etwas altmodisch und hochtrabend klingen mag.

* Hatten Sie diesmal mehr Zeit für die Recherche und das Schreiben?

* Ich wusste bereits acht Wochen vorher, worüber ich schreiben wollte, nur noch nicht wie. Ich wollte schreiben, dass die Altersversorgung vor allem die Banken und Versicherungen reich macht – nicht aber die Menschen, weil die sich viel zu wenig mit Finanzprodukten auskennen und immer wieder in dieselben Fallen tappen.

Als ich mich an das Schreiben machte, war es halb acht Uhr abends und die „Zeit“;-Redaktion war schon leer, bis auf mich und zwei Kolleginnen, die mit mir am „Geld Spezial“; arbeiteten. Ich schenkte ihnen und mir einen Rioja ein, dachte eine Weile nach, da schoss mir die Idee mit dem Brief in den Kopf. Als die Kollegin sagte „Kann man machen“;, hatte ich das Stück in zwei Stunden geschrieben.

* Wer oder was waren Ihre Quellen?

* In der Planungsphase für das „Geld Spezial“; hatte ich mit Martin Weber, einem Professor von der Uni Mannheim, telefoniert. Er erzählte mir von dem Experiment in Schweden, über das ein Artikel in der „American Economic Revue“; erschienen war. Dabei machten solche Anleger einen schlechten Schnitt, die sich nicht einfach für das Musterportfolio des Staates entschieden, sondern sich selbst ein Portfolio zusammenstellten. Sie setzten zu stark auf Aktien, zu stark auf heimische Titel und wählten zu einem viel zu geringen Teil kostengünstige Indexfonds.

Auf die andere Studie aus den USA und die Umfragen war ich im Internet gestoßen, als ich noch an den von Autoren zugelieferten Artikeln für das „Geld Spezial“; feilte. All das hätte ich natürlich auch in einem Leitartikel verwenden können.

* Sie haben das „Geld Spezial“;auch konzipiert und betreut?

* Ja, das „Geld Spezial“; war eine der wenigen blattmacherischen Aufgaben, die ich als Korrespondent in Frankfurt hatte: Konzept entwerfen, Autoren suchen, Texte redigieren. Für die Produktion habe ich jeweils im Mai und Oktober eine Woche in Hamburg verbracht.

Als ich 2001 bei der „Zeit“; anfing, erschien die Beilage ein Mal im Jahr und hatte einen bescheidenen Umfang, sechs bis acht Seiten. Inzwischen erscheint sie sechs Mal im Jahr mit je acht bis zwölf Seiten.

* Wenn Sie als Experte Unsicherheit bei der Entscheidung für die richtige Altersvorsorge zugeben, nehmen Sie den Lesern die Furcht vor diesem komplizierten Thema. Wollten Sie sie so ins „Geld Spezial“; locken?

* Intendiert war das nicht. Ich wollte einfach klarstellen, dass der Staat seine Bürger nicht in die Hände von Banken und Versicherungen fallen lassen darf. Aber wenn die Leser so das Gefühl bekommen, sich nicht schämen zu müssen, wenn sie nicht alles verstehen, und wenn sie sich dann auf das „Geld Spezial“; einlassen – umso besser!

Richtig ist, dass Verbraucherjournalismus oft eine trockene Angelegenheit ist und ich mir bei jedem „Geld Spezial“; etwas Besonderes überlegt habe. Briefe gab es übrigens schon mal: Ich hatte sechs Autoren gebeten, einen Liebesbrief an ihr Lieblingsfinanzanlageprodukt – Sparbuch, Aktie, Lebensversicherung, Eigenheim, Bundesanleihe, Rentenversicherung – zu schreiben. Das war sehr lustig: Man hat sehr gut gesehen, wer das letzte Mal mit 12 Jahren einen Liebesbrief geschrieben hat und wer das heute noch tut.

* Und Sie – haben Sie noch Übung im Briefeschreiben, so leicht wie Ihnen der Text in der „Zeit“; von der Hand ging?

* Früher habe ich sehr viele Briefe geschrieben, heute zwei, drei Mal im Jahr. Aber ich habe ein Weblog, in dem ich auch in der Ich-Form schreibe. Die gesprochene Sprache fließt einfach besser, bei einem Leitartikel nimmt man sich so künstlich zurück.

* Warum haben Sie den Brief eigentlich nicht an „die Politik“; oder an einen bestimmten Politiker gerichtet?

* Mir ging es um den Gegensatz von Freiheit und Staat. Eine häufige Argumentation lautet: „Die Menschen in diesem Land sind mündige Bürger. Sie suchen sich ihr Auto selbst aus, dann können sie auch ihre Altersvorsorge selbst regeln.“; Das halte ich für falsch, denn anders als bei einem Auto werden die Mängel eines Produktes zur Altersvorsorge erst sichtbar, wenn ich in Rente bin. Also muss Vater Staat, unabhängig von einer Regierung oder einem Minister, sich um seine Bürger kümmern. Er kann selbst ein Portfolio auflegen oder zumindest eine kostengünstige Anlage empfehlen.

* Sie sind jetzt sehr bestimmt, bitten in dem Brief aber um Hilfe, statt jemanden anzugreifen oder Vorwürfe zu erheben. Warum?

* Manchmal hat man mehr Erfolg, wenn man nicht mit dem Vorschlaghammer kommt. So wie ich meine Kritik formuliere, können die Menschen gut ihre eigenen Schlussfolgerungen ziehen.

* Ein Brief ist eine persönliche Angelegenheit – durften die Kollegen trotzdem gegenlesen?

* Klar. Bei der „Zeit“; wird jeder Artikel mindestens von zwei Kollegen gegengelesen. Ich habe ihn noch am selben Abend der Kollegin gezeigt, schließlich war ich neugierig, ob diese Form funktioniert. Am nächsten Morgen habe ich dann noch an Details gefeilt.

Interview: Eva Keller

Erschienen in Ausgabe 12/2007 in der Rubrik „Best of Helmut-Schmidt-Preis“ auf Seite 8 bis 8. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.