Der Bundestag hat beschlossen, künftig das elektronische Kommunikationsverhalten aller Bürger und damit aller Journalisten und Informanten für 6 Monate zu speichern. Erfasst werden Telefon-, Mobilfunk-, E-Mail- und Internetverbindungsdaten sowie die Standorte von Mobiltelefonen bei Gesprächsbeginn. Diese Vorratsdatenspeicherung wird die Pressefreiheit beeinträchtigen. Der Schaden wird dadurch unabsehbar, dass die Koalition trotz intensiver Bemühungen seitens der Medien- und Journalistenverbände einen spürbaren Quellenschutz verweigert hat.
Medien sind darauf angewiesen, dass sich Informanten auf die ihnen zugesicherte Vertraulichkeit verlassen können. Ohne die Möglichkeit eines solchen Vertrauens läuft die Pressefreiheit vielfach leer. Denn potenzielle Informanten aus Staat und Wirtschaft schweigen aus Angst vor Enttarnung. Das Geschehen bleibt unbekannt. Und Journalisten können nur noch verlautbaren, was Regierungssprecher verkünden.
Hohles Argument. Die Vorratsdatenspeicherung verleiht der Abschreckung von Informanten eine neue Qualität. Denn erstmals erhält der Staat Zugriff auf die elektronischen Kontakte aller Journalisten für das jeweils vergangene halbe Jahr. Damit droht dem Informanten die Enttarnung, wenn der Journalist innerhalb eines halben Jahres nach der Kontaktaufnahme in das Visier der Staatsanwaltschaft gerät. Also wenn der Journalist die Information in einer Veröffentlichung oder auch nur bei der weiteren Recherche verwendet. Oder wenn er wegen irgendeiner anderen Recherche oder Veröffentlichung für die Staatsanwaltschaft interessant wird.
All das wird dadurch unerträglich, dass das Gesetz keinen effektiven Quellenschutz vorsieht. Der Zugriff auf die Daten ist auch ohne Verdacht strafbarer Beteiligung des Journalisten zulässig. Letztlich bleibt es bei einer bloßen Verhältnismäßigkeitsprüfung. Die zuletzt erreichte Verbesserung, nach der bei Straftaten von nicht erheblicher Bedeutung regelmäßig der Zugriff auf Journalistenkontakte unzulässig sein sollte, ist eine positive Randbereinigung, aber nicht mehr. Die ebenfalls zu begrüßende Begrenzung der Verwertbarkeit von Zufallsfunden bei der Beschlagnahme hilft bei der Offenlegung der elektronischen Kommunikation nicht. Und mit der Postkutsche vorzufahren ist keine praktikable Alternative.
Versiegen die Quellen, ist die Presse blind und wird mit ihr die Demokratie beschädigt. Das Argument, in Zeiten des Terrorismus müssten auch die Medien zurückstecken, erscheint hohl. Gerade in Zeiten, in denen der Staat Bürgerrechte vermehrt beschränkt und geheim agiert, ist die Demokratie auf eine robuste Pressefreiheit angewiesen.
Letzte Chance. Verfassungsbeschwerden von Journalisten sind bereits anhängig. Kann aber das Bundesverfassungsgericht überhaupt einen verbesserten Quellenschutz verlangen? Eindeutig ja. Denn die Frage, wann auf die gespeicherten Daten zugegriffen werden darf, ist dem nationalen Gesetzgeber überlassen und unterliegt der Grundrechtsbindung des Grundgesetzes.
Was würden um den Erhalt der Pressefreiheit besorgte Richter anordnen? Der Zugriff auf die Vorratsdaten muss wenigstens den Schranken unterliegen, die für die Durchsuchung von Redaktionen seit dem Cicero-Urteil gelten. Voraussetzung ist dann, dass der Journalist selbst einer strafbaren Beteiligung hinreichend verdächtig ist und dass kumulativ die Verhältnismäßigkeit des Zugriffs gewahrt bleibt. Außerdem darf ein Zugriff nie schon allein wegen der Tatsache der Veröffentlichung eines Dienstgeheimnisses zulässig sein. Zudem ist die Verwendung von Zufallsfunden zu untersagen. Prozessual muss schließlich sichergestellt sein, dass jeder Zugriff dem Journalisten mitgeteilt wird.
Werden die Verfassungsrichter für die Presse in die Bresche springen? Es erscheint möglich. Denn die Gefährdung der Pressefreiheit erreicht durch die Verfügbarkeit der Kommunikationshistorie aller Journalisten völlig neue Dimensionen. Die Ausdehnung der Datenverarbeitung in alle Bereiche des täglichen Lebens kann vielleicht Menschheitsträume verwirklichen. Wenn aber der Freiheitsschutz und insbesondere derjenige der Pressefreiheit sich nicht ebenfalls entsprechend ausdehnt und verstärkt, kann der Traum zum Albtraum werden.
Erschienen in Ausgabe 12/2007 in der Rubrik „Standpunkt“ auf Seite 14 bis 14 Autor/en: Christoph Fiedler. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.