?Sie behandeln in „Weltkrieg um Wohlstand“; das große Thema Globalisierung. Mit welcher These haben Sie sich an die Arbeit gemacht?
Gabor Steingart: Mein Ausgangspunkt war die Beobachtung, zunächst eher ein Gefühl, dass die neuzeitliche Globalisierung nicht so verläuft, wie es an den Universitäten gelehrt wird. Das Entstehen von globalen Märkten für ausnahmslos alle Produktionsfaktoren, also für Arbeit, Kapital, Rohstoffe und Wissen, führt nicht zu der versprochenen Win-win-Situation für alle Beteiligten. Es gibt negative Effekte für einen großen Teil der Bevölkerung. Die sind mir aufgefallen. Denen bin ich nachgegangen.
* Sie erläutern diese Mechanismen anhand zahlreicher Daten und Fakten. Haben Sie sich selbst in chinesischen Fabriken, indischen Call Centers, in Häfen und auf Flughäfen ein Bild von Arbeitsbedingungen und Warenströmen gemacht?
* Ich habe mir viele Fabriken angeschaut, zumeist auf Politikerreisen. Ich war bei VW in Schanghai und habe Chemiefabriken im Landesinneren Chinas gesehen. Ich war in Indien, Indonesien, Hongkong und mehrfach in Peking. Ich habe überall das vorgefunden, was Helmut Schmidt einen nie da gewesenen „Ausbruch an Vitalität“; nennt. Die Vor-Ort-Beobachtung ersetzt allerdings nicht das Gespräch mit jenen Menschen, die das Phänomen Globalisierung seit Jahrzehnten durchdenken. Ich erinnere mich zum Beispiel an meine kontroverse Unterhaltung mit Hank Paulson, damals Goldmann Sachs-Chef, heute US-Finanzminister, oder an das Interview, das ich mit dem heute über 90-jährigen Nobelpreisträger Paul A. Samuelson geführt habe.
* Auf Protagonisten und Anekdoten verzichten Sie in Ihrem 20-seitigen Artikel fast komplett. Hatten Sie keine Sorge, dass die Leser aussteigen?
* Die Titelgeschichte des „Spiegel“; und das bei Piper erschienene Buch haben sich hervorragend verkauft, und das liegt meiner Meinung nach an Folgendem: Die Menschen wollen die Globalisierung verstehen. Sie haben ein echtes, bisher ungestilltes Informationsbedürfnis und nicht in erster Linie ein Unterhaltungsbedürfnis. Ich habe mich daher – im Buch und im „Spiegel“; – gegen eine Erzählweise in Szenen entschieden. Meine Arbeitsweise lässt sich mit drei Worten beschreiben: verstehen, vereinfachen, zuspitzen. Allerdings haben die Leser in Deutschland und in den USA unterschiedliche Ansprüche: Die amerikanischen Leser bestehen auf Szenen, sagt mein New Yorker Verlag. In der englischen Fassung, an der ich gerade arbeite, tauchen deshalb mehr lebende Menschen auf: Arbeiter, Politiker und Big Bosse.
* Wie haben Sie bei so viel Stoff den Einstieg ins Schreiben gefunden?
* Am Anfang steht, wie immer beim Schreiben, eine Konzentrationsleistung: Was genau ist mein Thema? Was lasse ich weg? Was muss ausführlich behandelt werden? Ich habe beispielsweise die Themen Finanz- und Rohstoffmärkte weitgehend ausgespart und mich auf den weltweiten Arbeitsmarkt konzentriert, weil ich da die größten Verwerfungen sehe, die größten Enttäuschungen und die größten Unklarheiten, wie damit umzugehen ist.
* Wie wird aus einem 384 Seiten starken Buch eigentlich eine 20-seitige „Spiegel“;-Titelgeschichte?
* Das ist sehr mühsam und manchmal tut es auch weh. Der Artikel ist ja nicht einfach ein Vorabdruck – das machen wir bei Büchern, deren Autoren dem eigenen Haus angehören, grundsätzlich nicht – sondern ein eigenständiger Text, für den die Teile des Buches neu komponiert, das heißt vor allem verdichtet wurden. Einen Großteil dieser Arbeit habe ich erledigt, den Feinschliff hat der Wirtschaftschef des „Spiegel“;, Armin Mahler, übernommen, in dessen Verantwortungsbereich die Geschichte ressortierte. Er ist für sein gleichermaßen einfühlsames wie beherztes Kürzen bekannt, was ihm „Spiegel“;-intern den Spitznamen Kurz-Mahler eingebracht hat.
* Worauf kam es Ihnen stilistisch an?
* Für den „Spiegel“; musste die Schreibweise beschleunigt werden: Ein Buch hat einen langsamen Fluss, für eine Titelgeschichte reißt man Sätze auseinander, entfernt den zweiten Nebensatz, setzt gelegentlich Doppelpunkte. Das Wichtigste ist aber, dass bei aller Verdichtung und Beschleunigung die Sprachbilder wie „Weltkrieg um Wohlstand, „produktiver Kern“; oder“die Angreiferstaaten“; erhalten bleiben. Sie transportieren die zentralen Ideen des Artikels. Man darf sich als Schreiber keinen Illusionen hingeben: Von jeder Story bleiben am Ende, wenn alles gut geht, beim Leser ein Gesamteindruck und zwei Begriffe hängen.
* Apropos „Angreiferstaaten“;: Auf diese konzentriert sich Ihre Kritik, dagegen verurteilen Sie explizit weder Firmen noch Manager, die auf Kosten der Menschen Profite machen. Warum nicht?
* Es ist meines Erachtens weder fair noch sinnvoll, mit dem Finger auf Firmen wie Siemens & Co. zu zeigen. Die tun, was ihnen nützt, bevor andere ihnen schaden. Das ist unternehmerisches Denken. Wenn die Spitzen der Wirtschaft so denken und entscheiden würden wie der SPD-Parteitag, wäre etwas nicht in Ordnung. Das gilt umgekehrt übrigens auch für die SPD. Sie kann nicht so reden und entscheiden wie ein Konzernvorstand.
* Der „Spiegel“; ist berühmt für seine Teamarbeit. Wer gehörte zu Ihrem Team?
* Das Wirtschaftsressort und meine beiden Stellvertreter in Berlin haben meine Arbeit inhaltlich begleitet, durch Lob, Kritik und Widerspruch. Für das Buch habe ich mit drei unserer besten Dokumentationsjournalisten im Haus zusammengearbeitet, alle drei haben Research betrieben, zwei zusätzlich nach dem Schreiben die Fakten überprüft. Das alles war eine monatelange Herkulesarbeit. Eine wichtige Rolle spielte auch der Chef unserer Grafik, der alle zentralen Sachverhalte in eine Grafik- und damit Symbolsprache übersetzt hat. Wichtig für jede Titelgeschichte ist außerdem der Chef unserer Abteilung „Innere Heftgestaltung“;. Die optische Präsentation der Story ist sein Werk. Last, but not least trifft der Chefredakteur die Titelentscheidung und entwirft zusammen mit unserem verantwortlichen Ressortleiter Cover und Titelzeile. Das Cover ist die Visitenkarte jeder Titelgeschichte.
Interview: Eva Keller
Erschienen in Ausgabe 12/2007 in der Rubrik „Best of Helmut-Schmidt-Preis“ auf Seite 3 bis 3. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.