„Wir brauchen Sachverstand“;

* Als erste ARD-Anstalt probt Radio Bremen eine neue Produktionsstruktur: Fachredaktionen, die nicht mehr nur für Radio, TV oder Internet produzieren, sondern trimedial. Ist das die Zukunft: „Eine für alle“;?

heinz glässgen: Wir brauchen kompetente Kollegen, die diese Welt verstehen, die auch komplizierte Dinge einordnen können. Wir brauchen Sachverstand. Diesen können wir aber schon aus Kostengründen nicht an vielen verschiedenen Stellen vorhalten. Wir mussten die inhaltliche Kompetenz konzent- rieren. Da haben wir uns für das Motto entschieden: „Einmal generieren, unterschiedlich distribuieren“;. Das heißt nicht, dass beispielsweise ein Reporter einen Bericht für jedes Programm selber und gleichzeitig machen muss. Aber es bedeutet, dass wir die im Haus vorhandene Fachkompetenz und das Urteilsvermögen so weit irgend möglich mehrfach nutzen. Die Technik in der digitalen Welt gibt heute die Möglichkeit, ganz anders als früher vorzugehen. Man redet immer von der Konvergenz der Technik. Bei uns folgt als Antwort darauf die Konvergenz der Redaktionen. Noch einmal: Das Konzept ist inhaltlich begründet und hängt auch mit ökonomischen Zwängen zusammen.

Aber wie soll das in der Praxis funktionieren?

Die skizzierte Struktur haben wir ja nicht erst für den Neubau geplant. Das Konzept mit den Fachredaktionen wurde bereits vorher beschlossen. Wir konnten es nur nicht voll umsetzen, weil wir bislang an zwei Standorten produzieren mussten. Es gibt aus meiner Sicht keine Gründe, warum das neue Produktionskonzept nicht funktionieren sollte. Beim Sport funktioniert das bereits wunderbar. Die Kollegen, die bisher nur im Fernsehen Sport gemacht haben, sind froh, dass nun die Hörfunk-Kollegen dazu kommen, die ihre Kompetenz mit einbringen. Unsere Fachredaktionen sind auch dank ihres Sachverstandes insgesamt eine wichtige Größe, indem sie unsere Programmredaktionen frühzeitig hinweisen: „Passt auf, da ist ein wichtiges Thema, das müsst ihr machen“;.

Wer bildet denn eigentlich die neuen Fachredaktionen?

Die Fachredaktionen wurden bei der grundlegenden Veränderung des Programmbereichs wie die Programmredaktionen aus den Kolleginnen und Kollegen gebildet, die damals im Sender arbeiteten. Ein wesentliches Kriterium war das Interesse der Kolleginnen und Kollegen, die sich für die Arbeit in diesem oder jenem Bereich melden konnten. Wir haben mit allen Einzelgespräche geführt, das neue Konzept vorgestellt und um Interessenbekundungen gebeten, wer wo arbeiten möchte. Bei den Programmredaktionen haben wir zudem die vorgesehenen Leiter in die Personalauswahl einbezogen.

Wie wollen Sie denn den Spagat beispielsweise zwischen dem Jugendradio Bremen Vier und dem informationsorientierten Nordwestradio hinbekommen?

Selbstverständlich hat Bremen Vier eine andere Sprache als Bremen Eins oder das Nordwestradio und das wird auch so bleiben. Wir wollen die Profile der Programme nicht durch Einheitsware beschädigen.

Es wird Kollegen geben, die die jeweiligen Informationen auf die jeweilige Zielgruppe zuschneiden können. Und es gibt ja qualifizierte Programmredaktionen, die die jeweiligen Inhalte für ihre Zwecke übersetzen. Grundsätzlich ist es mir lieber, wir haben einen Inhalt, den die Redaktionen übersetzen können, als wenn sie einen solchen Inhalt erst gar nicht zur Verfügung hätten.

Wenn es also einen Kollegen gibt, der in Diktion und Tonlage nicht ganz für das Jugendprogramm taugt, dann würde man einfach nur seine O-Töne nehmen …

Genau. Den O-Ton ins Haus zu bringen von einer Veranstaltung – das kann jeder. Der stellt ihn ins Redaktionssystem – und dort wird er weiterverarbeitet. Für welches Programm auch immer. Aber wir müssen nicht mehr drei, vier, fünf Reporter irgendwo hinschicken.

Haben Sie selbst denn früher – u. a. beim SDR und beim NDR – oft erlebt, dass Arbeit doppelt, dreifach oder vierfach erledigt wird?

Na klar. Das war teilweise auch gar nicht anders möglich. Wenn wir das heute immer noch machten, würden uns dies die Gebührenzahler zu Recht vorwerfen können. Heute können Bilder und Töne mehrfach genutzt werden, multimedial. Das war früher schon aus technischen Gründen so nicht möglich. Wir bemühen uns, uns innerhalb des Hauses verstärkt auszutauschen und Synergien zu bilden. Das betrifft nicht nur die Postproduktion mit O-Tönen – die unterschiedlichen Planungen der Redaktionen werden in gemeinsamen Konferenzen vorher abgestimmt und die entsprechenden Ergebnisse ins Netz gestellt, sodass jeder weiß, was der andere plant .

Ich habe noch Zeiten erlebt, wo die Konkurrenz zwischen einzelnen Wellen im Haus spürbar war. Diesen Programm-Egoismus haben wir deutlich abgebaut. Die Kollegen reden miteinander, sie feiern übrigens jetzt sogar zusammen. Und so entsteht das Gefühl: „Wir machen ein Radio-Bremen-Programm.“;

Würde das „Bremer Modell“; auch in den größeren Häusern funktionieren?

Das weiß ich nicht. Ich habe dieses Modell ja nicht als Modell schlechthin für den Rundfunk von heute überlegt. Die Aufgabe war in erster Linie, das Überleben von Radio Bremen zu sichern – mit den Sparzwängen, die dahinter stecken.

Sparzwängen haftete ja erst mal etwas Negatives an. Wie motivieren Sie denn die Mitarbeiter zu einer positiven Einstellung zum neuen trimedialen Konzept?

Die Mitarbeiter sehen ja auch, wohin technisch die Reise geht. Die wissen schon, dass Hörfunk und Fernsehen morgen nicht mehr so aussehen wie heute. Viele fragen sich natürlich: Muss ich nun umlernen?

… Und was antworten Sie denen?

Manche hatten zu Hause doch schon modernere Technik als im alten Radio Bremen. Auf der anderen Seite müssen wir auch die Kollegen mitnehmen, die erst mal nicht zum Wechsel der Produktionsweise bereit sind, die nun mehr mit Technik zu tun haben als vorher. Vor dem Hintergrund der Alternativlosigkeit ist das vielleicht etwas leichter zu vermitteln. Wenn sie sich nämlich vor Augen führen, dass wir ohne den Wechsel gar nicht mehr senden würden, werden die Veränderungen zumindest auch unter diesem Blickwinkel betrachtet und beurteilt.

Wer hat Sie denn für diese technischen Dinge begeistert? Sie haben ja noch die Arbeit an der Schreibmaschine erlebt …

Na klar – Schreibmaschine mit Tipp-Ex und so weiter. Aber auf die neuen Entwicklungen kommt man ja auch, indem man über Dinge nachdenkt und indem man sich dafür interessiert, was sich verändert. Ich habe ja nun lange auch als Abteilungsleiter und Hauptabteilungsleiter beim NDR gearbeitet – und mit diesen Kenntnissen und Erfahrungen hat man es dann deutlich leichter, auf technische Herausforderungen zu reagieren. Vor dem Hintergrund der extremen Herausforderungen, vor die Radio Bremen gestellt war, war es dann eher möglich, Abläufe im Programm oder die Zusammenarbeit zwischen Programm und Produktion zu optimieren.

Betrifft die „Optimierung“; auch die journalistischen Inhalte?

Zunächst versuchen wir die Inhalte, die wir haben, zu pflegen und zu profilieren. Und wenn sich dann alles eingespielt hat, was die Digitaltechnik und die neuen Formen der Zusammenarbeit angeht, haben wir hoffentlich den Kopf wieder frei, um über Neues nachzudenken. Das ist eine Herausforderung für die Zukunft, dass wir über neue Formate im digitalen Zeitalter nachdenken. Für mich war es wichtig, den Sender erst mal in die Gegenwart zu führen. Denn nur wer in der Gegenwart ist, kann den Blick in die Zukunft richten.

Was könnte ein solches Format im digitalen Zeitalter sein?

Dieser Frage werden wir zum gegebenen Zeitpunkt mit den Kolleginnen und Kollegen unserer Programme nachgehen. Da gibt es dann eine Reihe von Anregungen, wie die bestehenden Programme ergänzt und weiterentwickelt werden können. Wir werden Hörfunk oder Fernsehen nicht neu erfinden, aber intelligente Ansätze einer Unterhaltung oder einer Vermittlung von Informationen, vielleicht auch unter stärkerer Einbeziehung von Kreativen außerhal
b unseres Hauses oder der Hörerinnen und Hörer, der Zuschauerinnen und Zuschauer werden wir sicher finden und zulassen.

Könnten das auch Inhalte nur fürs Internet sein?

Das sprechen Sie eine große medienpolitische Diskussion an, die weit über Radio Bremen hinausgeht. Ich sehe bei uns nicht, dass wir primär Programme fürs Internet machen.

Linktipp

Das komplette Interview mit RB-Intendant Heinz Glässgen, in dem er sich u. a. auch zu Kooperationen mit Verlagen äußert, ist abrufbar unter www.mediummagazin.de, Rubrik download.

Erschienen in Ausgabe 12/2007 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 28 bis 29 Autor/en: Interview: Matthias Morr. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.