Zu fast allem bereit

Als sich der Aufwand noch lohnte, berichtete die Bonner Internet-Journalistin Christiane Schulzki-Haddouti gerne von Fachkongressen. Oft gleich für drei oder vier Auftraggeber. Doch die Spielregeln haben sich geändert – zum Nachteil für freie Journalisten, wie Schulzki-Haddouti findet. Die Honorare sind seit Jahren nicht erhöht worden, oft sogar gesunken, und viele Zeitungen und Magazine stellen die Texte von Freien online, was eine Mehrfachverwertung erschwert. Immer mehr Verlage schließen zudem mit freien Mitarbeitern Autorenverträge ab, in denen die Weiterverbreitung von Beiträgen oder die Arbeit für Konkurrenzmedien ausdrücklich ausgeschlossen wird. Bei Onlinemedien wiederum zähle häufig nur, Erster zu sein. „Da bleibt nur Zeit für das, Mitbloggen‘ von Veranstaltungen“;, weiß Schulzki-Haddouti. Sie schreibt gut recherchierte Hintergrundartikel nur noch, wenn sie „das Schreiben mit verschiedenen Projektaufträgen kombinieren kann.“;

Mit ihrer Einschätzung steht Schulzki-Haddouti nicht allein. Viele selbstständige Journalisten haben erfahren müssen, dass die Marktlage für Freie in den letzten vier, fünf Jahren schwieriger geworden ist. Dass das Thema freiberufliche Autoren und auch Redakteure bewegt, zeigte sich jüngst, als die freie Journalistin Gabriele Bärtels mit ihrem sehr persönlichen Erfahrungsbericht „Schreiben macht arm“; in der „Zeit“; (s. a. Interview Seite 60 f.) für heftige Diskussionen in Journalistenforen sorgte. Bei einer Umfrage von „mediummagazin“; zeigt sich aber ein durchaus gemischtes Bild: Nicht alle freien Journalisten fügen sich fatalistisch in ein Leben auf Hartz IV-Niveau, genausowenig wie alle Ressortleiter und Chefredakteure ihre freien Mitarbeiter auf Druck der Verleger ausquetschen wie Zitronen. Und es nicht wenige finden, dass manche Autoren selbst daran schuld sind, wenn sie vom Schreiben nicht leben können.

Frage der Perspektive? Vor der Gefahr, in eine wirtschaftlich prekäre Situation zu geraten, schützt sich Dirk Bongardt als ursprünglich gelernter Industriekaufmann durch nüchternes betriebswirtschaftliches Kalkül. „Dazu gehört für mich auch, nicht jeden Auftrag anzunehmen, und das Honorar-Angebot eines potenziellen Auftraggebers erst einmal nur als Vorschlag zu betrachten“;, sagt der Wülfrather Internet-Journalist und Autor eines Handbuchs für allein erziehende Väter. Bongardt hat seine Kunden in A-, B- und C-Kategorien eingeteilt. Was nicht bedeute, dass er „auf eine diese Kategorien ganz verzichten kann“; und er liefere bei C-Kunden auch ganz bestimmt keine schlechtere Arbeit ab als bei A-Kunden. Unterschiede macht er hingegen beim Service: „Wenn mich ein A-Kunde abends anruft und bis zum nächsten Tag noch einen Artikel benötigt, dann arbeite ich auch schon einmal die Nacht durch.“; Ein C-Kunde muss warten, bis ein Platz in Bongardts Terminkalender frei ist. Die Einteilung habe sich bewährt, sagt er: „Der Anteil an A-Kunden hat sich bei mir deutlich vergrößert.“; Daneben ist für Bongardt auch die menschliche Komponente wichtig. Mit manchen Redakteuren würde er auch für viel Geld nicht mehr zusammenarbeiten.

Einen unangemessenen Umgang mit (potenziellen) freien Mitarbeitern gibt natürlich keine Redaktion gerne offen zu – außerdem ist das subjektive Empfinden auf beiden Seiten sehr oft sehr unterschiedlich. Die allgemeine Kritik an zu niedrigen Honoraren lässt bespielsweise Matthias Arning, Lokalchef der „Frankfurter Rundschau“;, für sein Blatt und Ressort nicht gelten: „Die Honorare der „FR“; liegen im lokalen Bereich seit langer Zeit über dem durchschnittlichen Niveau des Rhein-Main-Gebiets.“; Auch Christoph Keese, Chefredakteur der „Welt am Sonntag“;, legt Wert auf die Feststellung, die „Welt“;-Zeitungsgruppe inklusive „Berliner Morgenpost“; honoriere gut. Allerdings achte man inzwischen darauf, für Print und Online ein „integriertes Nutzungsrecht“; zu bekommen. Doch gerade die neuen Honorar- und Nutzungsverträge, die die Axel Springer AG in diesem Jahr ihren freien Mitarbeitern vorgelegt hat, haben für erheblichen Unmut gesorgt. Die Kontroversen zwischen Verlag und den Berufsverbänden sind immer noch nicht beigelegt – wie auch in anderen Häusern die Frage der Mehrfachverwertung der Beiträge von Freien und der Rechtsabtretung ein immer noch weitgehend unbefriedigend gelöstes Problem darstellt.

Anfängerfehler. Erstaunlich übereinstimmend berichten Ressortleiter über eklatante Anfängerfehler, die freie Journalisten im Umgang mit Redaktionen machen. Eine „perfekte Methode, sich unbeliebt zu machen“; nennt Jutta Kramm, Ressortleiterin Politik und Tagesthema der „Berliner Zeitung“;, die offenbar weit verbreitete Unsitte, „mit Angeboten oder gar Beschwerden zur Hauptproduktionszeit anzurufen“;. Angesichts stagnierender Honorarsätze hat Kramm durchaus Verständnis für Freie, die Texte mehreren Blättern anbieten, „allerdings unter keinen Umständen unserer direkten Konkurrenz in Berlin!“;

„Wer einem Medium seine Mitarbeit oder eine schon fertige Geschichte anbietet, sollte es kennen. Banal? Mitnichten!“;, weiß auch „Geo“;-Chefredakteur Peter-Matthias Gaede. Darüber hinaus, so Gaede, sollten Freie nicht glauben, „sie hätten es mit warm und trocken sitzenden Redakteuren zu tun, deren einzige Arbeit es sei, binnen acht Stunden auf einen Themenvorschlag zu reagieren“;. Aus der Perspektive eines Autors sei seine Geschichte ganz sicher die dringlichste, „in einer Redaktion ist sie nun einmal eine von Dutzenden jeden Tag, über die es neben vielem anderen zu beraten gilt“;. Allerdings arbeitet die Zeitschriftengruppe „Geo“; ohnehin in enger Absprache mit einem festen Autorenstamm, was laut Gaede viele „klassische Erstkontakt-Probleme“; vermeidet. Für die Klagen vieler Freier, sie würden nach Abdruck ihre Texte nicht wieder erkennen, sei „Geo“; deshalb nicht die richtige Adresse.

Aus Kritik lernen. Auf Autoren, die sowohl ihr Themengebiet als auch den avisierten Printtitel gut kennen und die zudem prägnante Exposés schreiben können, legt die Redaktion von „brand eins“; großen Wert. Freie sollten sich an Vereinbarungen halten oder rechtzeitig Bescheid geben, wenn Probleme auftauchen. Und, so betont Redakteur Jens Bergmann: „Sie sollten professionell mit Kritik umgehen und dazulernen – zum Beispiel, indem sie ihr Manuskript mit dem gedruckten Text vergleichen.“; Christoph Amend, Leiter des Ressorts Leben bei der „Zeit“; wünscht sich von Freien: „Den Themenvorschlag bitte kurz und knapp in ein paar Sätzen skizzieren – und der Redaktion für eine Antwort ein paar Tage Zeit geben.“;

„Dummy“;-Gründer und Chefredakteur Oliver Gehrs beklagt, dass von Freien zu selten originelle Themen- ideen kämen. Und wenn doch, dann oft um den Preis „arg redigierbedürftiger Texte“;. Er hält aber dennoch die Kritik von Freien für teilweise berechtigt, „weil es so schlechte Texte gar nicht gibt, die nur 40 Cent die Zeile wert sind“;, und er wünscht sich mehr Rückgrat von Freien. „Do´s and Don’ts“; gebe es in seiner Redaktion nicht: „Wir arbeiten mit jedem zusammen, der uns ein schönes Thema nennt und schreiben kann.“; Das sei ja gerade „das Schlimme in vielen Redaktionen“;, sagt der Blattmacher, „wie arrogant sie dort mit Freien umgehen und wie sehr sie auf die Servilität reinfallen“;. Ähnlicher Meinung ist auch „brand eins“;-Redakteur Bergmann: „Viele Verlage und Sender sparen tatsächlich an freien Autoren – und dokumentieren damit, wie wenig ihnen journalistische Arbeit wert ist. Viele Freie, denen der unternehmerische Sinn fehlt, machen es ihnen aber auch leicht“;, weiß Bergmann, „weil sie zu fast allem bereit sind, um gedruckt oder gesendet zu werden“;.

Vertretung der Interessen. Ein solcher Trend wird auch von vielen etablierten Freien beklagt. „medium magazin“; fragte deshalb, ob freie Journalisten sich nach dem Vorbild des Fotografen-Verbandes Freelens in einem unabhängigen Interessenverband zur Durchsetzung von (Honorar-)Forderungen organisieren sollten. Für diese Idee gab es überwiegend Zustimmung, aber auch Zweifel an der Durchführbarkei
t. „Das wäre überfällig“;, findet Schulzki-Haddouti. Da auch die Wertschöpfungsketten in den Verlagen durch das kontinuierliche Abwandern von Lesern und Anzeigen ins Internet bedroht seien, sieht sie allerdings nur eine Chance, die Honorare zu stabilisieren und im Internet zu ergänzen: „etwa durch die erfolgsbezogene Beteiligung an Klickraten sowie an der Weiterverwertung in digitalen Archiven“;. Der Berliner Sportjournalist Martin Krauss hält es für nachrangig, ob der Verband unabhängig ist oder zu DJV oder ver.di gehört. Er hält einen Mindestlohn nach Art der Postzusteller für sinnvoll, weiß aber zugleich, dass die- se Forderung utopisch ist, weil unter schreibenden Kollegen noch nicht einmal eine Diskussion über angemessene Mindesthonorare geführt werde.

Ingrid Leifgen hat sich der Spirale nach unten entzogen. „Nach zwei Jahrzehnten Berufserfahrung lehne ich Billigaufträge ab“;, betont die Journalistin, die in Herzogenrath über die Themenschwerpunkte Familie, Erziehung und Alltag schreibt. Außerdem versucht sie, sich weiterzuentwickeln, indem sie sich auf neue Darstellungsformen und Themen einlässt: „Ein wesentlicher Freudfaktor an meinem Beruf“;, wie sie findet.

Bilanz der Balance. Martin Krauss hat für seine persönliche Work-Life-Balance einen Businessplan entwickelt, in dem auch Freizeit und Privatleben einen festen Platz haben. Sein Arbeitsalltag ähnelt dem eines Festangestellten, er denkt in „Mindestumsatzkategorien“; und versucht ein regelmäßiges Arbeits- und Umsatzsoll einzuhalten. Außerdem ist er, wenn auch eher ungeplant, bisher alle zwei bis drei Jahre zwischen Freiberuflichkeit und Festanstellung gewechselt. „Mir persönlich tut dieser Wechsel gut, und ich will weder die nächsten zwanzig Jahre frei arbeiten noch irgendwo angestellt sein“;, sagt Krauss.

Die Wiesbadener Wirtschaftsjournalistin Midia Nuri ist ebenfalls zufrieden mit ihrem Zeitmanagement und ihrer Selbstvermarktungsstrategie. „Ich konnte meinen Stundensatz im Schnitt dadurch deutlich erhöhen, dass ich seit Jahren sehr genau kontrolliere, wie sehr sich welche Aufträge für welche Kunden rechnen.“; Sie bemüht sich um feste Einkommensquellen wie die Erstellung von Newslettern und steckt, so sagt sie, „bewusst wieder deutlich mehr Zeit in die Akquise attraktiverer Aufträge, als noch vor einem Jahr“;. Obwohl sie nur in Teilzeit schreibt, schafft es die freie Autorin, den überwiegenden Teil des Familieneinkommens für sich, ihren Partner und die gemeinsame Tochter zu erwirtschaften. Dass sie mit ihrer Kalkulation, zumal unter Berücksichtigung von Ausfallrisiken, nicht an das Gehalt festangestellter Kollegen heranreicht, empfindet Nuri durchaus als Manko, das aber durch mehr Freiheiten ausgeglichen werde. Dirk Bongardt wiederum erhielt einen Denkanstoß von einem Verkaufsexperten. „Er fragte mich, Was kannst du besser als andere? Warum sollte jemand dir einen Auftrag geben und nicht deinem Kollegen?“; Seitdem er darüber nachgedacht habe, so der Journalist, könne er bei der Auftragsakquise seine Stärken selbstbewusster vertreten.

Nie ohne Auftrag. Auch Anke Pedersen, Reise-, Event- und Gastronomieautorin in Düsseldorf, sichert sich ein ausreichendes Einkommen, ohne sich zu verbiegen. Sie arbeitet niemals ohne Auftrag. Sie erstellt auch Pressetexte und Case Studies für Unternehmen. Sie kompensiert damit schlechter bezahlte journalistische Aufträge und erweitert zugleich ihr Fachwissen. „Meine journalistischen Grundsätze muss ich bei diesen Tätigkeiten nicht verraten“;, betont Pedersen. Am eigenen Qualitätsanspruch macht sie trotz gesunkener Honorare keine Abstriche, doch die Messlatte an ihre Kunden liegt ebenfalls hoch, denn Pedersen hat sich mit der Konzentration auf zukunftsträchtige Themengebiete ein gewisses Expertentum erarbeitet. Das Thema Wellness, auf dem sich schon ebenso viele Freie wie PR-Agenturen tummeln, überlässt sie anderen und bietet dafür beispielsweise Texte und Expertisen zum eher sperrigen Thema Travelmanagement an. Und so kann die Journalistin selbstbewusst sagen: „Wenn Aufwand und Ertrag in keinem Aufwand mehr stehen, stehe ich als Expertin nicht mehr zur Verfügung. Das tut einigen Redaktionen inzwischen mehr weh als mir.“;

Tipp Die ausführlichen Antworten auf unsere Umfrage sind im O-Ton nachzulesen unter www.mediummagazin.de, Rubrik download.

Zum Thema s.a. das Titelinterview (S.60f,) die Honorartabelle (S. 68), und das Interview Wolfgang Kiesel (S.70 f.).

Erschienen in Ausgabe 12/2007 in der Rubrik „Beruf“ auf Seite 64 bis 67 Autor/en: Ulrike Langer. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.