Attitüde & Avantgarde

Für wen werden Magazine gemacht? Für die Leser. Das Magazin „Liebling“ hat sich als Zielgruppe Werbeprofis und Anzeigenkunden ausgeguckt. Ab Frühjahr 2008 soll die großflächige Zeitschrift nun monatlich erscheinen. Zur Geburt, besser Wiedergeburt (2005/2006 erblickten schon einmal vier Ausgaben kurz das Licht der Medienwelt), bekam das schwergewichtige Baby schon mal reichlich mediale Aufmerksamkeit. Das hat mit dem Vater zu – oder ist er nur Geburtshelfer? Markus Peichl hat einst „Tempo“ erdacht, erfolgreich gemacht und konsequenterweise mit einem Schuss Größenwahn auch dafür gesorgt, dass es nach zehn guten Jahren wieder vom Markt verschwand. 2006 erschien ein „Tempo“-Revival. Das mausetote Kult-Magazin wurde für einen kurzen Augenblick in einer Einmal-Ausgabe wieder zum Leben erweckt. Elitär, selbstverliebt wie einst – aber durchaus kein Produkt der Langeweile. Mit dieser arroganten Attitüde – oder soll man es Haltung nennen? – kommt auch „Liebling“ daher. Die Zeitschrift im Zeitungsformat für „Mode, Film, Musik und Kunst“, gibt sich grafisch mondän und opulent, inhaltlich aber erwartet den Leser viel Banales. Nirgendwo wirklich Bewegendes, Aufregendes, Originelles. Dafür seitenweise wirre Modefotos, Selbstinszenierungen geschwätziger Szene-Lieblinge; immerhin zwei, drei lesbare Texte (beispielsweise von Adriano Sack über „Puritan International“ oder der kluge Text von Georg Diez über die Allmachtsphantasien der deutschen Justiz). Unübersehbar: die Format füllenden, doppelseitigen Anzeigen. Allein schon deshalb bestehen allerbeste Chancen, dass Liebling zu einem Darling der Werbeagenturen wird. Kreative lieben es, ihre Kopf- und Bauchgeburten großflächig gedruckt zu sehen. Fazit: Chefredakteurin Anne Urbauer und Artdirector Mario Lambardo setzen auf wohltemperierte Avantgarde, die übliche Mixtour flüchtiger Journale. Ob der Leser da mitmacht?

www.liebling-zeitung.com

„Spex“ war Avantgarde. In den frühen 80-er Jahren gegründet, erlangte das Musikmagazin rasch Kultstatus. Das Konzept: eine Mischung aus Essays, Artikeln, Reportagen – ebenso radikal wie subjektiv. In „Spex“ traf Kommerzkultur auf Subkultur. Autoren wie Rainald Goetz oder Diedrich Diedrichsen (zeitweise auch Chefredakteur) standen für die sogenannte „Poplinke“. Irgendwann aber verloren sich die Autoren in den Tiefen theoretischer Selbstreflexionen und die Auflage lief auf Grund. Damit endete auch die bis dahin gepflegte Selbst-Herausgeberschaft und das Blatt wechselte Anfang 2000 zu Piranha Media. Seither gilt es unter „Spex“-Nostalgikern als Renegaten-Blatt. Zu Unrecht. Chefredakteur Max Dax, der seit März 2007 für den Inhalt verantwortlich ist, macht ein spannendes, nirgendwo gefälliges Magazin. Es geht um popkulturelle Wirklichkeiten, Strategien und Aufbrüche: um Musik, Film, Kunst, Literatur und die digitale Interaktion. „Spex“ hat sich in den letzten Jahren gehäutet: grafisch, redaktionell, dramaturgisch – und ist sich dennoch treu geblieben. Es gibt wie immer viel zu lesen, beinahe zu viel. Durchgehend traditionelles 3-Spalten-Raster, Antiqua-Typo, zu lange Intros, zu wenige Zitate. Die Lektüre könnte leicht zur Tortur werden, aber AD Mario Koell setzt die notwendigen optischen Kontrapunkte: klare Bildsprache, selbstbewusste Headline-Typo, souveräner Einsatz von Illustrationen. Modifizierter Retro-Style – aber gekonnt.

www.spex.de

Zum Finale ein Blick in den „Kicker“. Schon der große deutsche Volksphilosoph Sepp Herberger wusste: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Und wer alles wissen will über die heiße Luft der Spiele, der liest den „Kicker“. Siege und Niederlagen, Tore, Tragödien und Tabellen – Lesespaß mit Nutzwert. Der Leser darf sich freuen: kompetente Berichte, kluge Analysen, spannende Interviews, dazu ein solides, unaufgeregtes Layout. Einen Innovationspreis wird es dafür nicht geben. Doch wer erinnert sich noch an die Konkurrenz-Magazine „Player“ und „Rund“? Kaum waren die nationalen Bockgesänge verhallt, die Deutschlandfahnen eingerollt, verloren auch die Zeitgeist-Zeitschriften ihre Leser. Der „Kicker“ aber ist und bleibt das Zentralorgan aller Fußballfans.

www.kicker.de

Erschienen in Ausgabe 1/2008 in der Rubrik „Ortners Blattkritik“ auf Seite 57 bis 57. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.