Erfolgsmodell Tagesmagazin

Gratuliere, Sie haben „Europas Tageszeitung des Jahres“ das Gesicht gegeben. Ein spanischer Zeitungsdesigner in Griechenland – wie schnell spricht man da eine gemeinsame Sprache?

Javier Errea: Ich habe immer gesagt, dass es sich lohnen würde, die gesamte Welt Englisch zu lehren und die Übersetzer zu vergessen.

„Eleftheros Tipos“ ist ein tägliches Magazin – und keine klassische Tageszeitung mehr. Funktioniert die Idee?

Ja! Die Auflage von „Eleftheros Tipos“ hat sich am Sonntag verdoppelt, Tendenz weiter steigend. An den Wochentagen werden inzwischen um 30 Prozent mehr verkauft. Ehrlich gesagt, „ET“ war eine dahinsiechende Tageszeitung, die in der griechischen Medienlandschaft keine besondere Rolle spielte. Heute zählt sie zu den wichtigsten Zeitungen bei Jugendlichen, Frauen und Intellektuellen.

Viele Untersuchungen zeigen, dass die Leser für ihre Tageszeitung nur ein kleines Zeitfenster haben. Überfordert sie da nicht ein tägliches Magazin?

Niemand kann behaupten, dass eine Tageszeitung ein herausforderndes, elitäres Produkt wäre. Darüber hinaus hat sich die Art und Weise, wie wir Informationen annehmen, verändert. Wir haben viel weniger Geduld und wollen alles sofort. Wir sind in irgendeiner Weise wie Kinder geworden.

Wenn sich die Tageszeitung in Richtung Magazin entwickelt, wohin entwickelt sich dann das Magazin? Wer bleibt auf der Strecke?

Ich bin kein Prophet, aber eine Tageszeitung muss immer eine Tageszeitung sein, daran habe ich nicht den geringsten Zweifel. Sie hat zu informieren, zu erzählen, was passiert. Eine Tageszeitung ohne Nachrichten kann keine Tageszeitung sein. Ein anderes Thema ist, dass wir bei der Auswahl von Nachrichten künftig noch stärker abwägen müssen.

„Eleftheros Tipos“ arbeitet mit 156 Journalisten, sechs Fotografen und 25 Layoutern. Wird dieser enorme Aufwand für die Optik künftig Standard für die Zeitung der Zukunft?

„Eleftheros Tipos“ hat tatsächlich viele Mitarbeiter und ich meine – auch wenn es sich hart anhört –, die Zeitung könnte schlanker werden. Trotzdem, ja, ich bin überzeugt, dass eine starke Präsenz von Designern und Fotografen für eine Tageszeitung fundamental ist. Die perfekte optische Aufbereitung von Informationen ist heute genauso wichtig wie die Jagd nach Neuigkeiten. Es ist wie in einem Restaurant: Die Zutaten müssen erste Qualität haben, aber das Experiment ist Pflicht. Traditionelle Rezepte alleine reichen nicht mehr.

Deutschsprachige Zeitungen legen deutlich weniger Wert auf die Optik. Wird da ein Trend verschlafen oder ist Emotion in unserem Kulturkreis weniger wichtig als in Ihrem?

Trotz der Globalisierung ist jedes Land eine eigene Welt. Und glücklicherweise sind die Tageszeitungen in jedem Land unterschiedlich. Das ist sehr wichtig: Nichts funktioniert überall gleich. Die Rezepte müssen unterschiedlich sein. Wenn nicht, würden wir alle das Gleiche machen und das wäre sehr langweilig. Außerdem kenne ich eine Hand voll deutschsprachige Tageszeitungen, deren Kreativität und visuelle Schlagkraft sehr beeindruckend ist.

Die Produktion eines täglichen Magazins ist deutlich aufwendiger als die einer normalen Tageszeitung. Rechnet sich das?

Die Verlage sagen, dass die Zukunft der Zeitung nur durch Qualität gesichert werden kann, aber in der Stunde der Wahrheit kürzen sie Kosten und verkleinern sowohl die Redaktion als auch das Produkt. Das funktioniert nicht. Eine moderne Qualitätszeitung kostet Geld. Wer das nicht zur Kenntnis nimmt, wird gezwungenermaßen ein schwaches Produkt haben und letztlich sein eigenes Grab schaufeln.

Wird eine magazinige Tageszeitung bei aktuellen Themen nicht unflexibler?

Wer zwingt uns denn, täglich 100 Geschichten zu machen? Ich finde, dass wir uns auf 25 Geschichten beschränken sollten und diese aber perfekt entwickeln. Diese Leistung wird in Zukunft eine erfolgreiche Redaktion auszeichnen. Alleine auf die Aktualität fixiert zu sein, bringt uns nicht weiter. Wir müssen mutiger bei der Auswahl der Themen sein.

Sie haben auch das Konzept von „Eleftheros Tipos“ mitgestaltet. Was war dabei für Sie der wichtigste Ansatz?

Dem gesamten Kreativteam der Beratungsfirma, für die ich in diesem Projekt gearbeitet habe, war vom ersten Moment an klar, dass „Eleftheros Tipos“ alle Vorurteile, sowie die streng eingehaltenen Normen des griechischen Marktes brechen musste. Das geschah, indem die Zeitung weitgehend entpolitisiert wurde. Gleichzeitig wurde damit ein weites Feld an Inhalten geöffnet, eines das heranrückte an das normale Volk. Interessanterweise haben diese Inhalte – offen für alles, was passierte in der Welt, offen für Tendenzen, für Probleme, für Ideen – gleichermaßen die normalen Leute, die Jungen, die Frauen und die besser bezahlten Intellektuellen interessiert. Ich sage interessanterweise, obwohl ich nicht glaube, dass das ein Zufall ist.

Bei „Eleftheros Tipos“ hat man den Eindruck, dass Sie vieles selbst erfunden haben. Oder haben Sie nur geschickter Gutes von anderen kopiert?

Alle, die wir uns dem Zeitungsgeschäft widmen, sei es mit Worten oder Optik, müssen vernünftig und bescheiden sein. Wir machen keine Kunst, wir erfinden nichts, wir erschaffen nicht. Wir versuchen lediglich in bestmöglicher Form zu informieren. Ich habe, wie jeder andere auch, meine Lieblingszeitung, meine Einflüsse, Plätze und Namen, die ich aus der Nähe betrachte. Gut zu kopieren kann man auch als Kunst bezeichnen. Oder?

Welche Rolle spielt bei Ihrer Arbeit eigentlich das Gefühl und die Erkenntnisse aus der Leserforschung?

Also, halb und halb. Ich lasse mich sehr von meinem ersten, mich überfallenden Gefühl treiben. Ergebnisse aus der Leserforschung sind natürlich wichtig. Man sollte aber auch nicht besessen davon sein. Die Leser beurteilen ja nur, was sie kennen und in dieser Art Meinungsumfrage verhalten sie sich generell sehr typisch, sehr konservativ und auch sehr verlogen.

Was funktioniert bei „Eleftheros Tipos“ besonders gut, wo müssen Sie noch nachbessern?

Die Doppelseite als Arbeitseinheit funktioniert sehr gut. Wunderbar klappt auch das Hintergrundraster zum Gruppieren. Das gibt dem Produkt Qualität. Sehr gut ist auch die Mischung der Typografie und optimal ist auch das Basisraster. Sechs Monate nach dem Relaunch überarbeiten wir aktuell nochmals den Workflow, wie eine Story geplant wird, wie Fotos selektiert werden. Und Arbeit macht mir momentan auch die Titelseite: Ich hatte sie ursprünglich mit einer einzigen Mainstory geplant, elegant und klar. Im Augenblick macht die Redaktion jedoch zehn, zwölf Themen auf der Seite 1. Das passt natürlich nicht zu einer magazinigen Tageszeitung.

Wie lange haben Sie an diesem Projekt gearbeitet und wie viel hat es gekostet?

Das gesamte Kreativteam mit mehr als einem Dutzend Beratern befasste sich beinahe ein Jahr mit den verschiedenen Aspekten dieses Projektes. Immerhin, heute ist „Eleftheros Tipos“ in jedem Segment auf höchstem Niveau: Redaktion, Organisation, Design, Druck. In diesen Tagen wird der neue Sitz der Zeitung eröffnet, ein unglaubliches Gebäude, das alles integriert, ohne Zweifel die modernste und innovativste Redaktion, die ich kenne. Über die Kosten kann ich nichts sagen, weil die Veränderungen ja weit über den Relaunch hi- nausgehen. Hier hat sich praktisch eine Zeitung neu erfunden.

Sie arbeiten als Designer in vielen Ländern. Wo wird die Zukunft gemacht? Bei welcher Zeitung würden Sie am liebs- ten selbst täglich mitarbeiten?

Aktuell arbeite ich in Spanien, in der Dominikanischen Republik, in Kolumbien und in Dubai. Die Zukunft liegt in all diesen Ländern, aber es gibt keines von dem man sagen könnte, dass es alleine richtungsweisend wäre.

Erschienen in Ausgabe 1/2008 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 44 bis 45 Autor/en: Interview: Johann Oberauer, Maria Maller (Übersetz. © Alle Rechte vorbehalten.
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