Wohl und Wehe

Toll & toller

„Der, Spiegel‘ ist toll zu lesen, kommt besser daher als die ganze Konkurrenz, vielleicht ist er wirklich sogar das beste Periodikum Deutschlands, alle Tageszeitungen eingeschlossen“: So jubilierte Ende November Rainald Goetz in der „Spiegel“-Rubrik „Rückspiegel“, die traditionell besonders großes „Spiegel“-Lob anderer zusammenträgt. Bloß den Kontext im „vanityfair.de“-Blog des Schriftstellers enthielt das Magazin seinen Lesern vor: Eigentlich beantwortete sich Goetz die Frage „Warum wurde Stefan Aust gestürzt? Die Mitarbeiter-KG der Spiegel-Angestellten, der traurigste Verein im Journalismus, hat ihn weggemobbt“. Die Top-Personalie des Jahres kam im „Spiegel“ selbst mit „keinem Zeilchen“ („Tagesspiegel“) vor. Das meistbespiegelte Medium war „Der Spiegel“ dennoch. Er wurde 60 und bekam Anfang des Jahres einen neuen Geschäftsführer. Beim „Spiegel“ könne man „ganz gelassen Evolution betreiben“, sagte Mario Frank der „FAZ“ und behielt nicht recht. Nach „einem Wahlkampf, der länger und härter denn je geführt wurde“ („Welt Online“), bekam der Mehrheitseigentümer, die Mitarbeiter- KG, neue Chefs. Eine Tageszeitung in Gestalt der „FTD“ legte er sich nach langem Überlegen doch nicht zu. Im November entledigte er sich des langjährigen Chefredakteurs („Die Dramaturgie hätte ihm als, Spiegel‘-Geschichte vermutlich gefallen: Im Urlaub auf Bali erfährt Stefan Aust von seiner vorzeitigen Kündigung“, notierte die „SZ“ mit Gespür für „Spiegel“-Dramatik, „mit einem Privatjet soll er die sofortige Rückreise angetreten haben“), dann des noch ungeliebteren Kulturchefs Matussek. Das Casting des Aust-Nachfolgers mit dem Umweg über „heute-journal“-Moderator Claus Kleber, der so plötzlich zum „Spitzenmann des deutschen TV-Journalismus“ (ZDF-Intendant Markus Schächter) wurde, setzte neue Aufmerksamkeits-Maßstäbe und war bei Redaktionsschluss noch nicht abgeschlossen. Was immerhin zeigt, „dass zumindest die gefühlte Bedeutung des Spiegels in der Bundesrepublik nach wie vor hoch ist“ („taz“).

Hausmitteilung am Rande: Im Sommer, als er bei „Spiegel TV“ schon teil-abserviert und mit dem für die TV-Branche ominösen Titel des Fernseh-„Herausgebers“ abgefunden war, schaffte Aust es mit einem Teaser für seinen ARD-Zweiteiler „Die RAF“ bis in die „Tagesthemen“ und befeuerte die Diskussionen über den „Spiegel“ weiter.

Reden & Schweigen

Günther Jauch, der im Januar unter großem Medien-Hallo die Christiansen-Nachfolge abgesagt hatte (zum „Spiegel“: „Die ARD war der teuerste Flirt meines Lebens“), ist zum Jahresende wieder in der Diskussion bei der ARD. Sabine Christiansen, die im Sommer 2007 aufhörte, gibt 2008 ihr ARD-Comeback. Die Aufmerksamkeitsmaschine ARD dreht sich hochtourig in immer ähnlichen Kreisen. So schlimm wie befürchtet, kam es in der „Jauch-Grube“ („FTD“ im Januar) allerdings nicht. Die GEZ-Gebühren (darf man eigentlich nicht schreiben; zumindest wurde die Webseite „Akademie.de“ wegen des Begriffes abgemahnt) können routinemäßig weiter steigen. Andererseits wurde der neue ARD-Vorsitzende Fritz Raff als wohl meistinterviewter Medienmensch des Jahres zwar etwas belächelt, verstand seine Themen aber so gut zu setzen, dass z. B. Pleite und Liquidation der Telefilm Saar in Raffs Heimat kaum Aufsehen erregte. Zudem kam eine neue Generation smarter Macher nach. Volker Herres speiste in seiner Eigenschaft als Fernseh-Chefredakteur des NDR unermüdlich zitable Einschätzungen ins Mediensystem – ob es um Respekt für Uli Wickerts Entschluss ging, ob er Eva Herman freistellte, „ihren, Mutterkreuzzug‘ fortzusetzen“, aber außerhalb des NDR, ob Anne Wills sexuelle Orientierung keine Rolle spielt (Herres: „Mit wem Anne Will ihr Leben teilt, ist ganz und gar ihre Privatsache“). Herres wurde dann zum ARD-Programmdirektor gewählt, woraufhin das „Handelsblatt“ optimistisch den „Abschied vom Heile-Welt-Fernsehen“ erwartete; „Spiegel“-Chef-Kandidat war er zeitweise ebenfalls. Und Herres‘ Heimatsender breitete dank guter Selbstdarstellung den Mantel des Schweigens über Shows à la „Die lustigsten Fernsehpannen“, während er im ARD-Programm überraschende Publikumserfolge erzielte – mit Austs „Die RAF“ (für Herbst 2008 soll „Spiegel TV“ aus dem Stoff dann einen Zehnteiler machen) und „Das Schweigen der Quandts“. „Unter fast konspirativen Umständen“ („SZ“) programmiert und in keinem Feuilleton vorab besprochen, profitierte dieser Film quotenmäßig davon, dass zuvor am Abend Veronica Ferres schauspielerte und bei Anne Will talkte. Nun ist nachgewiesen, dass es Filmen keine besseren Quoten beschert, wenn sie vorab gelobt werden. Das könnte den Zeitungs-Medienseiten noch zu schaffen machen.

Begraben

„Die Eigentümer des Privatsenderkonzerns ProSiebenSat.1 haben in dieser Woche ein Kapitel der deutschen Rundfunkgeschichte beendet. Sie haben es begraben …“, schrieb Michael Hanfeld im Juli in der „FAZ“. Von „Heuschreckenlogik“, „Schuldengrab“, „Ausbluten-Lassen“ schrieb er auch. Vom „Idiotenkapitalismus“ schrieb er nicht, sondern sprach er bloß bei der Vorstellung des Buches, das der einstige Sat.1-Geschäftsführer Roger Schawinski punktgenau publizierte. Hintergrund: die ziemlich gleichzeitigen Meldungen, dass Sat.1 Informations- und Nachrichtenprogramme streiche, und dass die Eigentümer ihrer Sendergruppe rund vier Milliarden Euro Schulden aufgeladen haben. Eigentlich war der Informationsanteil innerhalb der betroffenen Sendungen marginal („stefan-niggemeier.de“: „Das Problem ist nicht, dass den neuen Besitzern von Sat.1 die Produktion von Nachrichtenmagazinen zu teuer geworden ist. Das Problem ist, dass ihnen selbst die Produktion dieser billigsten Magazinattrappen zu teuer geworden ist“). Der daraus erwirtschaftete Imageverlust aber ist sensationell.

Bewegt

Auch neu 2007: Inzwischen ist alles, was im Fernsehen Interesse erregt haben könnte, online abrufbar. Die „Tagesthemen“-Ausgabe mit Austs Beitrag ( www.tagesschau.de/multimedia/sendung/sendung422.html), Herman bei Kerner, alles. Seit ARD und ZDF ihr Programm ihren Gebührenzahlern (ungefragt) zum Abruf zur Verfügung stellten, bewegt der Trend zum Bewegtbild die Verleger von Gedrucktem stark. Das führte in eine erschöpfende Debatte über Online-Offensiven, in der schnell alle Argumente von jedem auch schon wiederholt wurden. Bis SWR-Intendant Peter Boudgoust die Idee ersann, öffentlich-rechtliches Programm einfach auch den Verlegern gratis zur Verfügung zu stellen. Dass das schon deswegen arg unpraktikabel ist, weil dann mit GEZ-Gebühren kommerzielle Internetangebote subventioniert würden (was sich in Brüssel, wo deutsche Lobbys regelmäßig Beschwerde führen, nie rechtfertigen ließe), schrieb für die Verlage noch niemand richtig deutlich auf. Die deutschen Verleger sind ja auch Deutsche und nehmen Schnäppchen eben gern mit.

Demontagen

Unbekannte zündeten das Auto des „Bild“-Zeitungschefs Kai Diekmann an (bei „Welt Online“ unter dem etwas übertriebenen Titel „Anschlag auf Bild-Chef“ als Filmchen erhältlich). Aus den Reifen eines Test-Alfa-Romeo, den Ulf Poschardt vor seinem Haus in Berlin geparkt hatte, wurde die Luft herausgelassen. „Autohasser“, „Ökoblockwarte“, schimpfte der Chefredakteur im Editorial eines der „Vanity Fair“-Hefte, die im Sommer nur einen Euro statt zwei kosteten, eine DVD enthielten und so der im Herbst erstmals gemessenen Auflage gut taten. Kaum glaublich, dass die deutsche „VF“ doch erst im Februar 2007 gestartet ist. Mit kleinen Aufregern um Prominenz, die in allen Mediengattungen Aufmerksamkeit generiert, wie Gabriele Pauli (wurde zwar in „Park Avenue“ heikel fotografiert, verkündete aber in „VF“ ihren CSU-Austritt), Michel Friedman (wurde von Horst Mahler mit „Heil Hitler, Herr Friedman“ begrüßt – Poschardt: „Dokument einer Demontage“; „Neue Zürcher“: „absurdes Skandal-Interview“) und Boris Becker, der sich für jede Ausgabe die Haare etwas anders zurückzugelen schien, hat sich das ambitioniert angekündigte Heft bereits so unverzichtbar gemacht wie … „Park Avenue“. „Poschardt ist für m
ich der Ronald Reagan des Journalismus: An ihm blättert alles ab“ giftete Ex-Kollege Tom Kummer zur „taz“. Fairerweise muss man sagen, dass Kummer inzwischen als Tennislehrer in L. A. arbeitet und, als er sein Buch promotete, erheblich weniger Beachtung fand als „Vanity Fair“.

Döpfnerkurven

Was sonst in Print geschah: Die „FR“ wurde kleiner, die „FAZ“ dank Titelseiten-Foto bunter. Die kühnsten Kapriolen aller Zeitungsleute schlug Mathias Döpfner. Im Sommer erkannte er eine „weitere starke Säule“ des Springer-Konzerns in Postdienstleistungen, im Dezember war die Säule schon wieder weggebrochen. Das kostete 510 Mio. Euro, der gleichzeitige Verkauf des ProSiebenSat.1-Anteils erbringt 509 Mio. Euro – „die Ähnlichkeit der Summen ist ein Zufall – aber einer, der wie eine Aufforderung anmutet, einen Zusammenhang zwischen den größten Niederlagen“ des Springer-Vorstandschefs herzustellen („taz“). Für den („FAZ“: „Der Wüterich“) wurde zum Jahresende die Luft dünner. Bzw. werden die Räume eng. Nicht nur, dass in Berlin die Rudi-Dutschke-Straße an der Kreuzung Koch- / Axel-Springer-Straße kommen dürfte. Auf einem „Filetgrundstück“ gegenüber soll sich, so berichtete der „Tagesspiegel“, ein älterer und direkterer Rivale ansiedeln: der neue Bundesliga-Vermarkter Leo Kirch. Falls das alles dem bekanntlich groß gewachsenen Döpfner über den Kopf wachsen sollte: Einen Ausweg bietet der NDR. Er lässt sich, wusste die „taz“ zu berichten, ein Porträt des britischen Verlegers Lord Weidenfeld liefern – von Döpfner als freiem Mitarbeiter.

Erschienen in Ausgabe 1/2008 in der Rubrik „Chronik“ auf Seite 10 bis 12 Autor/en: Christian Bartels. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.