Eine Zeitung für die Jungen

Das Rezept scheint einfach: Man nehme eine überregionale Qualitätszeitung. Überarbeite sie, werfe den größten Teil der Nachrichten weg, füge tiefgründige Artikel für die jungen Leser hinzu, gebe dem neuen Paket eine neue Form, ein anderes Gesicht und lasse sie zu einem anderen Zeitpunkt erscheinen. Voilà: Eine neue, vielversprechende Zeitung ist geboren.

Tochterblatt. So ungefähr ist man vor zwei Jahren in Rotterdam beim „NRC Handelsblad“ vorgegangen. Die Auflage der niederländischen Qualitätszeitung (verkaufte Auflage: 240.000) stagnierte. Das Blatt versank im gleichen Treibsand wie alle anderen niederländischen Tageszeitungen. Damals warben zwei Gratis-Zeitungen um die (jungen) Leser. Heute sind es sogar vier. In den Redaktionsräumen des „NRC Handelsblad“ versuchte man es daher mit einer List: konnte man vielleicht aus einem Teil der „Mutterzeitung“ ein neues, jüngeres Blatt machen?

Die Analyse zeigte, dass vielen jungen Leuten die Zeitung eigentlich gefiel. Allerdings fehlte ihnen die Zeit für die Lektüre. Und die Nachrichten kannten sie ohnehin schon. Also ging es darum, die Qualität des „Mutterblattes“ beizubehalten, aber mit einem eigenen „tone of voice“. Das Ziel: „Eine Zeitung, die dem Leser Zeit spart, aber nicht oberflächlich ist“, sagt Hans Nijenhuis, Chef von „Nrc.next“ und stellvertretender Chefredakteur vom „NRC Handelsblad“.

Ein gewagtes Experiment in einer Zeit, in der die Tageszeitungen im Herbst ihres Lebens angelangt zu sein scheinen. Aber heute, zwei Jahre später, macht „Nrc.next“ (der Name bezieht sich auf die „next generation“) einen bescheidenen Gewinn von rund einer halben Million Euro im Jahre 2007 und verkauft 77.000 Exemplare. Immerhin 60.000 Abonnenten bezahlen für das Blatt 169 Euro im Jahr. Auffallend: die Zeitung spricht eine neue, vor allem weibliche Lesergruppe an.

Hans Nijenhuis räumt ein, dass der Gewinn eigentlich ein rein buchhalterischer ist, da 60 Prozent des Inhalts vom „Mutterblatt“ stammen und dafür kein Cent gezahlt wird. Ein selbstständiges Blatt würde in dieser Situation mit Verlusten arbeiten. Eigentlich ist es ein raffinierter Marketing-Trick: die Artikel der Redakteure des „NRC Handelsblad“ werden zwei Mal verkauft. In der „gro- ßen“ Zeitung und nochmals im jungen „Nrc.next“.

Dennoch sind die Unterschiede groß: Wo das „NRC Handelsblad“ ein seriöses, konservatives broadsheet bietet, kommt „Nrc.next“ mit dem flotteren Tabloid-Format und einer frechen Aufmachung. Dort, wo „NRC“ den Fokus auf Nachrichten legt, lässt „Nrc.next“ die Aktualität links liegen. Und wenn das „NRC Handelsblad“ als fast letzte niederländische Zeitung mittags erscheint, liegt „Nrc.next“ schon in der Auslage.

Die Zeitung wählt jeden Tag ein Thema und vertieft dieses. Vor allem auf der Seite eins, die einen plakativen Charakter hat. Zudem bringt die junge Redaktion eine Reihe von Themen, die mit erheblichem Tiefgang angegangen werden. Dabei schreckt „Nrc.next“ auch nicht vor längeren Artikeln zurück.

Erbgut. Auf vier Gebieten sind die Gene der „Mutterzeitung“ jedoch noch bei der Tochter erkennbar. Zuerst beim Namen. „NRC“ ist laut Nijenhuis eine starke Marke und wurde beibehalten. „Nrc.next“ übernimmt ausserdem rund 60 Prozent seiner Beiträge aus dem „NRC Handelsblad“. „Aber die Artikel werden für „Nrc.next“ erst bearbeitet“, betont Nijenhuis. Außerdem wird das Blatt mit dem gleichen Schrifttyp gedruckt. Und schließlich ist die Chefredakteurin des NRC, Birgit Donker, für beide Zeitungen verantwortlich. Im letzten Quartal 2007 war „Nrc.next“ die Zeitung mit den größten Zuwachsraten. Hierzu muss man allerdings bemerken, dass die Auflage mit der des Vorjahres verglichen wurde, als das Blatt sich noch in den Startlöchern befand. Hans Nijenhuis sieht, dass die Zuwachsraten kleiner werden, „Es wird immer schwieriger, neue Leser zu finden“. Allerdings zeigen neuere Untersuchungen, dass in der Zielgruppe (jung, gut ausgebildet, gute Stellung) nur die Hälfte der Befragten das Blatt kennt.

Allerdings ist die Gratiskonkurrenz groß. Täglich werden 1,7 Millionen Exemplare der vier niederländischen freesheets „Sp!ts“, „Metro“, „De Dag“ und „De Pers“ angeboten, die ebenfalls auf junge Leser zielen. In diesem Sinne ist es ein kleines Wunder, dass noch 77.000 Leser täglich ihre Eurocents für das Blatt berappen. Nur ein kleiner Teil der „Nrc.next“-Leser kommt von anderen überregionalen Zeitungen. Die meisten, ungefähr 80 Prozent, sind neu. „Nrc.next“ erreicht also Menschen, die früher keine bezahlte Zeitung lasen. Auch der Kannibalimus des Mutterblatts hält sich in Grenzen: Nur ungefähr 6.000 Leser wechselten zu „Nrc.next“.

Es scheint auf der Hand zu liegen, die Erfolgsformel einfach zu übernehmen. Aber dass der Erfolg nicht selbstverständlich ist, zeigt das Beispiel des flämischen Blattes „De Standaard“. Dieses versuchte es mit einer vergleichbaren Initiative, dem „Standaard Espresso“, musste aber nach sieben Monaten aufgeben. Die Information sei oberflächlich gewesen, die jungen, gut ausgebildeten Leser würden qualitativ hochwertige Information wünschen, erklärt Nijenhuis den Fehlschlag .

Kopierversuche. Er denkt ohnehin, dass das Konzept von „Nrc.next“ nicht ohne Weiteres zu kopieren ist. Beim „Guardian“ würde es zum Beispiel schlecht funktionieren, weil die Zeitung bereits eine jüngere Ausstrahlung hat. Seriöse Blätter wie „Le Monde“ oder die „Neue Zürcher Zeitung“, die schon in Rotterdam war, um sich zu informieren, haben dagegen laut Nijenhuis ein Profil, das einem jüngeren Ableger Chancen bietet. Er findet es zudem wichtig, dass die Tochter täglich zu einem anderen Zeitpunkt erscheint, um das Zehren am Leserstamm des „Mutterblattes“ zu verhindern. Und das Wichtigste: die Redaktion muß es auch wollen! „Zu oft vergessen die Herausgeber, dass dies alles Menschenwerk ist. Sie denken dann in Marketing-Formaten. Dabei wird die Arbeit der Journalisten völlig unterschätzt.“

Erschienen in Ausgabe 3/2008 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 52 bis 53 Autor/en: Theo Dersjant. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.