Missbräuchliche Beschwerden?

Zwölf Mal haben sich die Macher der Internetseite „Bildblog“ in den vergangenen dreieinhalb Jahren beim Deutschen Presserat über „Bild“ und „Bild am Sonntag“ beschwert. Doch die Springer-Blätter blasen zum Gegenangriff: Die „Bildblog“-Betreiber missbrauchten das allgemeine Beschwerderecht beim Presserat, so die Kritik. Die Internetseite generiere mit den Presseratsbeschwerden Nachrichten, um ihr journalistisches Angebot aufzupeppen und für Anzeigenkunden attraktiver zu werden. Sie nutze somit die Arbeit des Presserats zu gewerblichen Zwecken. Mit dieser Kritik beschäftigt sich das Plenum des Presserats am 12. März.

Die Beschwerdeordnung des Presse- rats sieht Beschwerderecht für jeden vor – mit einer Einschränkung: „Offensichtlich missbräuchliche Beschwerden“ werden nicht behandelt. Diese Klausel wurde im September 2006 aufgenommen. Der eigentliche Grund waren Massenbeschwerden: Neben Sammelbeschwerden des Zentralrats der Deutschen Sinti und Roma gingen 2006 85 textidentische Eingaben zu den Mohammed-Karrikaturen und 117 diverse Beschwerden des Journalistischen Seminars der Universität Mainz unter Leitung von Professor Volker Wolff ein. Dennoch wurde die Klausel bisher nicht angewandt. Wann Missbrauch vorliegt, ist nicht festgelegt. Darüber entscheidet das Presserats-Plenum im Einzelfall.

„Bild“ und „Bild am Sonntag“ haben indessen in den letzten zwei Jahren bereits wiederholt darauf gepocht, dass die Eingaben von „Bildblog“ und der Uni Mainz missbräuchlich seien – bisher ohne Erfolg. Die Beschwerden der Uni – 2007 gingen noch 40 ein – wurden ebenso bearbeitet wie bisher neun der zwölf von „Bildblog“ eingereichten Eingaben. Drei sind noch anhängig. Sie nimmt der Presserat zum Anlass, den Missbrauchs-Vorwurf gegen „Bildblog“ zu klären. „Bild“ habe seine Einwände jetzt „intensiver vorgetragen“, sagt Presserats-Geschäftsführer Lutz Tillmanns und meint: Es gebe „erste Anhaltspunkte“ für einen Missbrauch.

Die Springer-Blätter haben dem Presserat zahlreiche Argumente vorgelegt. Der Presserat werde benutzt, um einen „kommerziellen Blog attraktiver zu machen“, kritisiert „Bild“-Sprecher Tobias Fröhlich, der Wert auf Folgendes legt: „Es geht uns grundsätzlich um, berufsmäßige Beschwerdeführer‘, also nicht allein um Bildblog, sondern auch um einen Mainzer Professor, der seinen Seminaren mit Sammelbeschwerden in dreistelliger Größenordnung praktischen Charakter verleiht.“ Die Blog-Betreiber fielen darunter, da Gegenstand des Geschäftsmodells von „Bildblog“ die „Bild“-Zeitung sei. Bei zwölf Eingaben in dreieinhalb Jahren handele es sich nicht um normales Beschwerdeverhalten. Gegenüber dem Presserat ist da auch von „Flut an Beschwerden“ die Rede. „Berufsmäßige Beschwerdeführer“, so Springer weiter, verursachten sowohl beim Presserat als auch bei „Bild“ erheblichen Aufwand „zum professionellen Nutzen Dritter“. Zum Vergleich: Seit Anfang 2005 sind insgesamt mehr als 2.400 Beschwerden beim Presserat eingegangen. Fröhlich misst „Bildblog“ und die Eingaben aus Mainz allerdings am Durchschnitts-Beschwerdeführer, der in dreieinhalb Jahren nur ein oder zwei Eingaben einreiche. Bei zwölf Beschwerden mit Absender „Bildblog“ oder den über 100 Beschwerden gegen diverse Medien durch Professor Wolff im Jahr 2006 liege „kontinuierliche Beschwerdeführung“ vor, die einem „Abmahnverein“ ähnele: „Dies zu bearbeiten ist nicht Aufgabe des Presserats. „

Mit der Kritik an den studentischen Masseneingaben kommt Springer allerdings derzeit nicht weiter. Der Presserat hat diesen Aspekt am 12. März nicht auf der Tagesordnung. Die „Bildblog“- Beschwerden dagegen schon.

Und damit auch die weiteren Argumente von Springer: Die Beschwerden verfälschten die Statistik. Es entstehe „häufig der falsche Eindruck, dass sich überdurchschnittlich viele Leser über, Bild‘ beschweren.“ Dass der Presserat eine Statistik über die gegen „Bild“ eingehenden Beschwerden gar nicht veröffentlicht, lässt Fröhlich nicht gelten: Die „berufsmäßigen Beschwerdeführer“ führten zu einer „künstlichen Häufung“ von Beschwerden beim Presserat, worauf dieser auch selbst hingewiesen habe.

Die Bilanz der bisher entschiedenen neun Beschwerden von „Bildblog“ gegen „Bild“ sieht übrigens wie folgt aus: Vier Missbilligungen, ein Hinweis, vier als unbegründet abgewiesen – keine Rüge.

Fröhlich kritisiert zudem, dass „Bildblog“ vertrauliche Informationen aus Presseratsverfahren veröffentliche. Presserats-Geschäftsführer Tillmanns bestätigt, dass es als „gute Praxis“ gelte, Schriftwechsel aus Beschwerdeverfahren vertraulich zu behandeln. Gleichwohl komme es vor, dass Beschwerdeführer oder -gegner sich nicht danach richteten: „Das bewerten wir aber nicht.“

Einem Schreiben des Presserats zufolge, das „medium magazin“ vorliegt, sprechen die Springer-Blätter im Zusammenhang mit „Bildblog“-Beschwerden von „ungerechtfertigtem Imageverlust“ und einem „unangemessenen und schwerwiegenden wirtschaftlichen Nachteil“. Auf „Bildblog“, der aus dem Schreiben zitiert, wurde aus diesem „Nachteil“ ein „Schaden“. Und den greift „Bild“-Sprecher Fröhlich gerne auf: Wenn die „Bildblog“-Macher schon bei „Bild“ so genau hinschauten, sollten sie doch bitte auch selbst genau arbeiten.

Wer wann und wo wen ungenau zitiert hat, wird das Presserats-Plenum am 12. März eher weniger interessieren. Die Beratung des Gremiums könnte auf eine Grundsatzentscheidung hinauslaufen. Denn: „Bildblog“ sei mit seiner thematischen Spezialisierung auf ein einzelnes Medium ein Novum, sagte Presserats-Geschäftsführer Tillmanns. Das jedoch in der Blogosphäre Schule machen könnte. Die zwölf Eingaben von „Bildblog“ ordnete er „vergleichsweise im unteren Bereich“ ein: Es gebe Beschwerdeführer mit mehr Eingaben. „Bislang wurde aber bei keinem eine Strategie oder Kampagne unterstellt.“

„Bildblog“-Betreiber Christoph Schultheis hält die Vorwürfe der Springer-Blätter für „absurd“. „Alle paar Tage findet man in, Bild‘ etwas, das nicht dem Pressekodex entspricht – wir greifen nur augenscheinliche Fälle für Beschwerden auf.“ Die Berichte über die neun Presseratsentscheidungen machten einen Bruchteil der rund 2500 Einträge der Internetseite aus und seien nicht werberelevant. Dass „Bildblog“ bisher keine Rüge gegen die Springer-Blätter erwirkt hat und vier Beschwerden als unbegründet zurückgewiesen wurden, sieht Schultheis nicht als Image-Problem. „Im Gegenteil.“ Den Image-Schaden habe der Presserat – auch bei einer möglichen Entscheidung gegen „Bildblog“-Beschwerden. Auf „Bildblog“ heißt es dazu: „Dass sich die, Bild‘-Zeitung nicht aussuchen kann, wer sich über ihre zahlreichen Verstöße gegen journalistische Mindeststandards beim Presserat beschwert, liegt vor allem im Interesse des Presserats selbst.“

Image hin oder her – das Problem des Presserats, der steigenden Anzahl eingehender Beschwerden Herr werden zu müssen, wird die anstehende Entscheidung nicht lösen. Bei gut 2.400 Beschwerden seit 2005 fallen die zwölf von „Bildblog“ nicht ins Gewicht. Von Interesse mag aber folgender Hinweis auf „Bildblog“ sein: „Wir suchen übrigens noch Leute, die sich bei Bedarf beim Presserat über „Bild“ beschweren.“ Sucht „Bildblog“ damit „Ehrenamtliche“ für Beschwerden? Schultheis: „Das steht da jedenfalls nicht.“

Erschienen in Ausgabe 3/2008 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 14 bis 15 Autor/en: Susan Abbe. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.