Was bleiben könnte

Mantel

Womöglich wird der Mantel, in dem Stefan Aust den „Spiegel“ verließ, ähnlich geläufig wie der „Mantel der Geschichte“ aus der Kohl-Ära. Als Aust am 5. Februar beurlaubt wurde, überraschte sogar „Spiegel Online“ seine Leser mit einer Meldung dazu. Die Kollegen in den anderen Medien protokollierten minutiös Details: Aust soll „nicht einmal in sein Büro zurückgekehrt sein, um die Dinge zu ordnen“ („FAZ“), was er in der „SZ“ dementierte („Meine Sachen waren schnell zusammengepackt, im Büro war sowieso nicht mehr viel drin“). Jedenfalls ist er im Flur seinen Nachfolgern Mathias Müller von Blumencron und Georg Mascolo begegnet, die „mit ihm noch eine Übergabe der Tagesgeschäfte besprechen“ wollten („bild.de“). „Jetzt nicht, wir können das später mal besprechen“, so die Antwort laut „Hamburger Abendblatt“. Im Telefonat mit „sueddeutsche.de“ erklärte Aust: „Ich hatte den Mantel schon an“, und Autor Christian Kortmann schlussfolgerte, dass Aust diesen Mantel „gewissermaßen schon etwas länger an hatte“. Was lehrt das? Im Medien-Business sollte man tunlichst immer den Mantel anhaben.

Messias

Aber auch „Spiegel“-Inhalte werden verfolgt. Der Titel des ersten Post-Aust-Heftes, „Der Messias-Faktor“ über Barack Obama, lasse sich „mit nur wenig Fantasie auch auf die Situation beim Spiegel übertragen“, interpretierte die „Berliner Zeitung“. Lob gab es für die erste „Hausmitteilung“ der neuen Chefs („In der Findungsphase und bei den Umständen der Beurlaubung“ von Aust habe man „nicht immer geschickt agiert“), die neben „ausgesprochen uneitler und diplomatischer“ Selbstkritik („FAZ“) auch explizit britisches Understatement enthielt („Selbst dem britischen, Economist‘ war die Hamburger Personalie einen Bericht wert“). Inhaltliche Akzente des neuen Gespanns werden gespannt erwartet: „Mehr exklusive Nachrichten, nicht mehr nur schön geschriebene Reportagen“ nannte der „Tagesspiegel“. Womöglich ein Pionierstück: die schön geschriebene Reportage über Bruce Darnell im „Spiegel“ („Sogar die öffer-rechti … öffelisch-rek … also the Gebühren-TV klingt mondäner, wenn Bruce es sprischt:, Äi Ar Di'“, vergnügte sich Thomas Tuma beim Imitieren des Entertainers), die das Magazin insofern exklusiv hatte, als dass alle übrigen Darnell-Storys erst eine Woche später erschienen. Der Scoop wurde durch die „Spiegel“-Vorabmeldung „Neuer ARD-Star erlebte Todesdrohung“ geadelt. Dass diese Drohung sich ungefähr in den frühen 80ern ereignet hatte, als Darnell beim Militär in North Carolina „mal nachts mit dem Fahrrad unterwegs war“ – egal. Ebenso, dass der „Spiegel“ Darnells Starqualitäten oder was die ARD daraus machte („faz.net“: „als hätte ein 80-Jähriger zu viel MTV gesehen“) überschätzt haben mag. Die Lesart, Darnell sei schon wegen seiner Biografie glaubwürdig, führten die ARD und er selbst (laut „Kölner Stadtanzeiger“: „Ick hoabe eine woaa-aahnsinnig außeroaarrdentliche Vergangenheit“) gern fort. Der Trend, Aussagen stark akzentbehafteter Entertainer im O-Ton wiederzugeben, bietet sich wohl schon deshalb an, weil Darnell-Interviews in schriftlichem Hochdeutsch („Es geht nicht einfach nur um Styling, sondern auch um Lebensberatung. Meine Show ist ehrlich und authentisch“) ebenso langweilig wie unauthentisch sind.

Medienbruch

Andersrum verhält sich das beim Feuilletonchef der „Zeit“. Jens Jessens Wohnzimmer ist die gesetzte geschriebene Sprache. Im Medium Videoblog, das die Verlagsgruppe Holtzbrinck den Mitarbeitern ihrer Blätter vielleicht zu sehr ans Herz gelegt hatte, trat er im Januar nicht ideal auf. Sein in die Kamera gesprochener Leitartikel über „besserwisserische deutsche Rentner“ wurde ihm von allen Seiten um die Ohren gehauen. Ganz besonders von Frank Schirrmacher und der „FAZ“. Im gleichen Zug schimpfte diese aber auch auf die „Pöbel-Nutzer mit ihren schmierigen Mitteln“ und ihre „widerlichen und totalitären“ Reaktionen auf Jessen und bekräftigte so, „wie recht jene haben, die warnend auf die völlige Unkontrolliertheit von Internet und Blogs hinweisen“ – also vor allem Schirrmacher. Der von ProSieben abgeworbene Darnell bot Jessen übrigens auch Gelegenheit, mal wieder auf ARD und ZDF zu schimpfen: „dazu übergegangen, die Privatsender zu kopieren, … wo sie am dümmsten und dämlichsten sind“. Das kritisierte Jessen allerdings in der traditionellen Schriftform – und löste damit keinerlei Dissens aus.

Erschienen in Ausgabe 3/2008 in der Rubrik „Chronik“ auf Seite 51 bis 51 Autor/en: Christian Bartels. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.