Aus heiterem Himmel

Eigentlich könnte das Leben ja ganz schön sein. Ich war als Freier gut beschäftigt. Die Honorare sprudelten, wenn auch nicht so üppig wie früher. Gut, in diesen Zeiten muss man eben Kompromisse machen, und auch mal einer Zweit- oder Drittverwertung zu eher unbefriedigenden Bedingungen zustimmen. Aber ich konnte von meiner Arbeit relativ gut leben. Eines Tages ereilte mich der Hammer aus einer ganz anderen Richtung: Ich erlitt einen Schlaganfall. Er kommt, wie der Name schon sagt, urplötzlich und aus heiterem Himmel. Manche Betroffene sind anschließend gelähmt, sitzen im Rollstuhl, können nicht mehr oder nur unzureichend sprechen, und sind in der allgemeinen beruflichen Leistungsfähigkeit erheblich eingeschränkt. Mit knapp 58 Jahren bin ich eigentlich noch viel zu jung für so ein Gesundheitsdesaster, dachte ich damals.

Nach dem ersten Schock und der akuten Notversorgung im Krankenhaus dämmerte es mir langsam: Mein Leben hatte sich urplötzlich verändert. Ich kann nicht mehr schreiben. Nicht, dass mir nicht die geeigneten Worte einfallen würden, aber die rechte Hand macht nicht mehr mit. Die Linke kann zwar noch die Tastatur des PCs bedienen, was unsäglich lange dauert, aber das ganze Leben ist auf den Kopf gestellt. Ich kann mir keine Telefonnotizen mehr machen. Du hast zwar noch immer plötzliche Gedankenblitze für neue Artikel, die-se Ideen kannst du aber nicht mehr handschriftlich als Gedächtnisstütze zu Papier bringen. Aber wenn es „nur“ das wäre. Selbst so profane Aufgaben wie die Beschriftung eines Rückenschildes für einen neuen Aktenordner bergen ungeahnte Probleme. Auch das Ausfüllen von Formularen, zum Beispiel einer Banküberweisung, ist per Hand ohne fremde Hilfe nicht möglich. Du kommst dir hilflos vor, fühlst dich wie ein kleines Kind. Und dann die Stimme: Du sprichst undeutlich und verwaschen. Die Worte geraten ins Stocken. An die sprechende Arbeit für den Hörfunk ist nicht mehr zu denken. Die geplante Realisierung eines Hörbuchs – ein wesentlicher Bestandteil meiner Einkünfte – rückte in unerreichbare Ferne. Ganz zu schweigen von eher privaten Vergnügungen: Meine geliebte Hausmusik mit Begleitung auf dem Klavier wird wohl der Vergangenheit angehören. Die Welt drohte zusammenzubrechen. Dunkle Wolken der blanken Existenznot zogen am Himmel auf.

Was sollte nun aus mir werden? Von irgendetwas muss man ja schließlich leben. Die Hypothek der Eigentumswohnung ist auch noch nicht abgezahlt. Glücklicherweise ist meine Ehefrau berufstätig. Aber diese Einkünfte reichen allenfalls, um nicht zu verhungern. Doch die Ärzte machten mir Hoffnung. Nach dem sechswöchigen Aufenthalt in der Reha-Klinik könne mein Gesundheitszustand schon wieder ganz anders aussehen. Doch diese Hoffnung erwies sich als trügerisch. Nach meinem Reha-Aufenthalt hat sich mein Zustand in den beruflich wesentlichen Belangen kaum gebessert. Ich kann nicht schreiben und meine Stimme ist für den Hörfunk unbrauchbar. Doch die Hoffnung stirbt zuletzt. Sechs Wochen Reha-Klinik sind vielleicht nicht die Welt. Die Ärzte berichteten, dass sich bei Schlaganfallpatienten der frühere Gesundheitszustand teilweise noch nach sechs bis zwölf Monaten wiederherstellt. Was sollen Ärzte auch anderes sagen?

Monate später. Mittlerweile sind neun Monate seit dem Schlaganfall ins Land gegangen. Ich habe mich diversen weiteren ambulanten Reha-Therapien unterzogen und kann mich fast wieder normal, und nicht nur mit der als erniedrigend empfunden Gehhilfe, bewegen. Aber Sprache und Schreibvermögen sind immer noch meilenweit von der Normalität und den Anforderungen an einen Journalisten entfernt. Die Prognosen der Mediziner sind spürbar pessimistischer geworden. Ich bin über die KSK kranken- und rentenversichert und habe einen Antrag auf teilweise Erwerbsminderung bei der Deutschen Rentenversicherung gestellt. Dieses nur schweren Herzens, denn ich will in meinem Alter noch nicht in die Hände in den Schoß legen. Ich will etwas bewegen und weiterhin in meinem Beruf tätig sein; zumindest teilweise beziehungsweise so gut es geht. Ich bin mit Leib und Seele Journalist. Die (sprechende) Arbeit für den Hörfunk habe ich allerdings abgehakt. Kollegen haben mir berichtet, dass es mittlerweile ganz brauchbare Spracherkennungs-Software gibt. Damit soll man Texte am PC diktieren können. Wenigstens etwas. Die Deutsche Rentenversicherung übernimmt zwar theoretisch die Kosten für solche Hilfen, aber wir wissen seit Goethe, dass alle Theorie grau ist. Ein diesbezüglicher Antrag auf Kostenübernahme liegt seit Wochen unbeantwortet beim zuständigen Sachbearbeiter. Vergiss die Möglichkeit der Kostenübernahme und entwickele Eigeninitiative!

Ich habe mir zwei der in Frage kommenden Programme inzwischen selbst zugelegt bzw. bekam von den Herstellern – nachdem ich ihnen die Situation erläutert hatte – sogar eine kostenlose Vollversion. Seit ein paar Wochen versuche ich die Programme zu bändigen beziehungsweise für meine Zwecke zu adaptieren und zu trainieren (Testberichte siehe Kasten). Das funktionierte überraschend gut, jedenfalls besser als mit der linken Hand einen Text mühselig und langwierig in die Tastatur einzugeben. Dieses Diktieren ist allerdings eine gewaltige Umstellung und etwas völlig anderes als bei Anblick des blinkenden Cursors tippend über Formulierungsverbesserungen zu sinnieren. Man muss lernen, druckreif zu diktieren. Aber es ist ein Anfang, und ich brauche mich als Journalist nicht mehr völlig hilf- bzw. nutzlos zu fühlen. Ich kann endlich wieder „schreiben“!

Glück im Unglück. Ich bin dem Tod noch einmal von der Schippe gesprungen. 40 Prozent der Schlaganfallpatienten überleben einen solchen Vorfall nicht beziehungsweise sterben innerhalb der ersten sechs Monate danach. Mir ist ein neues Leben geschenkt worden, wenngleich auch eines mit erheblichen Einschränkungen. Ich habe gelernt, nicht zu verzweifeln und optimistisch in die Zukunft zu schauen, auch wenn dies anfangs nicht einfach war. Das Leben geht weiter. Trotz aller damit verbundenen Probleme. Über meinen Antrag auf Erwerbsminderungsrente ist zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Textes, der übrigens mit der Spracherkennungs-Software Dragon „Naturally Speaking“ entstand, noch nicht entschieden worden. Man bekommt bei der Deutschen Rentenversicherung den Eindruck, dass die dort beschäftigten Mitarbeiter meinen, sie verwalten ihre persönlichen Finanzmittel, und nicht den Etat der Solidargemeinschaft aller Versicherten. Das ist allerdings mein ganz persönlicher von den Ereignissen geprägter Eindruck. Eine andere Erkenntnis, die ich gewonnen habe, ist zwar schon 700 Jahre alt, hat aber immer noch Gültigkeit. Sie stammt von Thomas von Aquin und heißt: “ Für Wunder muss man beten, für Veränderungen muss man arbeiten.“

Axel Voss ist freier Journalist in Pinneberg. eMail: autor@mediummagazin.de

Lesetipp:

Praxistest Spracherkennungssoftware

Axel Voss hat die beiden Spracherkennungsprogramme „Voice Pro 11“ von Linguatec und „Dragon Naturally Speaking“ von Nuance auf ihre Tauglichkeit im journalistischen Alltag hin getestet. Den ausführlichen Bericht lesen Sie auf den beiden folgenden Seiten 70 und 71.

Erschienen in Ausgabe 4/2008 in der Rubrik „Leben“ auf Seite 68 bis 69. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.