Eine späte Karriere

Man stelle sich das mal vor: 1968, im von Studenten aufgewühlten Frankfurt am Main, prognostiziert ein Anzugträger des Axel Springer Verlags Thomas Schmid, dass er 40 Jahre später einmal Chef der damals als reaktionäre Kampfpresse leidenschaftlich bekämpften „Welt“, „Welt am Sonntag“ und von einem neuen Dings namens „Welt Kompakt“ werden würde. Schmid, das Gründungsmitglied der Gruppe Revolutionärer Kampf, hätte ihm womöglich eins mit dem Ziegelstein über die Rübe gebraten. Zum Glück gibt’s keine Zeitmaschinen. Aber: Dass der Ex-68er Thomas Schmid, heute 62 Jahre alt, Chefredakteur der „Welt“ wurde, das war schon eine Überraschung. Dass er nun auch noch den smarten Manager- Journalisten Christoph Keese als Chef der „Welt am Sonntag“ ablöst und somit erster Multi-Chefredakteur von „Welt“, „WamS“ und „Welt Kompakt“ im Hause Springer ist, darauf hätte kaum jemand noch vor kurzem auch nur einen Pfifferling gewettet. Er ist es doch geworden. Wenn man sich anschaut, wie Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner Karrieren macht, ist Schmids Aufstieg in späten Jahren aber gar nicht mal so unerklärlich: Er gehört seit langem zu Döpfners Karriere-Netzwerk.

Karrierepfade. Schmid lernte den damaligen Journalisten Mathias Döpfner Anfang der 90er-Jahre bei der früheren DDR-Wochenzeitung „Wochenpost“ kennen. Schmid war dort Feuilletonchef, als Döpfner bei der „Wochenpost“ seine erste Chefredaktion übernahm. Die beiden haben sich offenbar gut verstanden. Als Döpfner den Chefsessel der „Wochenpost“ mit dem der „Hamburger Morgenpost“ tauschte, folgte ihm Schmid als sein Stellvertreter. Und als er „Welt“-Chefredakteur wurde, holte Döpfner ihn als Chef der „Forum“-Seiten. Im Jahr 2000 trennen sich ihre Wege. Schmid ging als Ressortleiter Politik zur damals neuen „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und erwarb sich dort einige Reputation. Im November 2006 schließlich holte Döpfner ihn zurück. Diesmal, um den glücklosen, manche sagen den unverstandenen, Schweizer Roger Köppel als Chefredakteur der „Welt“ abzulösen. Döpfner schätzt Gewährsleute in Führungspositionen, denen er vertrauen kann, die er gut kennt. Das war bei „Welt“-Chefredakteur Wolfram Weimer bis zum Zerwürfnis so, das ist bis heute so beim ehemaligen „WamS“-Chef und aktuellen „Hörzu“-Chefredakteur Thomas Garms. Den kennt Döpfner bereits seit Studientagen. Thomas Schmid passt als geläuterter Revoluzzer gut in das auf modern gebürstete, seine Ideologie-Freiheit zelebrierende Haus Springer. Seine Zeit in der Frankfurter Häuserkampfszene bezeichnet Schmid heute als „töricht und realitätsblind“. Dem „kressreport“ sagte er: „Kann es falsch sein, in seinem Leben zu lernen und Positionen zu verändern?“

So was hört Mathias Döpfner sicher gerne, es passt zum selbst verordneten Verlagsbild als liberales, offenes Haus, das sich allein journalistischer Qualität, Freiheit und Marktwirtschaft verpflichtet fühlt. Schmid ist ein Verfechter des von Döpfner stets apostrophierten Freiheitgedankens, er kennt den großen Vorsitzenden seit Jahren, er hat journalistisch was auf dem Kasten (wie er auch mit seiner behutsamen und fundierten Umgestaltung der „Welt“ zeigte) und, nicht ganz unwichtig, er ist mit seinen 62 Jahren frei von Ambitionen nach noch höheren Weihen. Zumindest Letzteres kann man seinem Vorgänger Christoph Keese nicht ohne Weiteres unterstellen.

Egal, wie man es dreht und wendet: Wenn man Keeses neue Position, Konzerngeschäftsführer Public Affairs, liest und denkt und denkt und denkt, will einem das böse Wort vom Frühstücksdirektor einfach nicht aus dem Kopf gehen. Keese hat für Döpfner die verstaubte „WamS“ in Rekordzeit entrümpelt, die Fusion der Redaktionen von „Welt“ und „WamS“ vorangetrieben, den gemeinsamen Newsroom eingeführt und den Online-Auftritt der „Welt“ nach einigen Holprigkeiten zum Start stark verbessert. Kaum zu glauben, dass ein nimmermüder Macher wie Keese mit Lobby-Gedöns gegen Werbeverbote auf EU-Ebene glücklich wird. Schau’n wir mal, was sich und er in den nächsten drei Monaten tut.

Der neue Kurs. Schmid hat nach eigenem Bekunden nicht vor, die von Keese angestoßenen Veränderungen zu revidieren. Revolution – das war gestern. Schmid, den Mathias Döpfer einen „Verstetiger und Bewahrer“ nannte, hat sich das Schlagwort „Online first“ auch zu eigen gemacht: Gegenüber „medium magazin“ betont er: „Online ist ein schnelles Medium, das jede Minute auf der Höhe des Geschehens sein muss. Die Artikel, die am nächsten Tag in der Zeitung erscheinen, werden davor online veröffentlicht. Der gedruckten Zeitung schadet das im Übrigen nicht. Auch hier gilt: Ein neues Medium verzehrt nicht die alten, sondern zieht neue Leser an.“ Dass er vielleicht einen eigenen Zugang zu „Online first“ suchen und finden wird, bleibt ihm schließlich unbenommen. Auch der nicht bei allen Redakteuren beliebte Newsroom habe sich bewährt, sagt Schmid. Nicht ohne hinzuzufügen, dass er nicht ausschließe, „dass er – wie alles im Leben – immer einmal wieder verbessert wird“.

Und wie geht es bei der „Welt“ weiter nach der Ära Schmid? Die Frage jetzt schon zu stellen ist legitim – schon auf Grund des fortgeschrittenen Alters von Schmid. Ulf Poschardt als neuer „WamS“-Vize würde zumindest sich selbst wohl jede größere Aufgabe im „Welt“-Reich zutrauen. Dass sein Auftritt als Chefredakteur bei der deutschen „Vanity Fair“ nur ein kurzes, eher unrühmliches Intermezzo war, kann das Ego eines Poschardt nicht groß kratzen. Er hat schon einmal als Berater und Creative Director bei der „WamS“ gewirkt und das Blatt übergangsweise auch alleine geführt. Sollte er sich bewähren, darf er sich sicher Chancen auf die Nachfolge Schmids ausrechnen. Dem Vernehmen nach hält Döpfner einiges von Poschardt. Dass er den manchmal allzu forschen „Posch“ erst mal ein paar Runden in der zweiten Reihe drehen lässt, ist aber wahrscheinlich auch keine dumme Idee.

Erschienen in Ausgabe 4/2008 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 20 bis 21 Autor/en: Stefan Winterbauer. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.