Gemischte Gefühle

1.Wie beurteilen Sie die Strategie der Gründung einer neuen Internet-Dachmarke als Tor für Mediennutzer, die mit der etablierten Printmarke nicht (mehr) zu erreichen sind?

2. Welche Rolle spielt für Ihre crossmediale Strategie das Bewegtbild, welche soll sie womöglich spielen?

3.Was halten Sie von der angekündigten Kooperation von WAZ und WDR: Ist die Übernahme von öffentlich-rechtlichem Filmmaterial für den Internetauftritt der Zeitung ein guter Weg? Käme er auch für Sie infrage?

„Grenzen nicht verwischen“

Andreas Baumann, Redaktionsleiter

„Solinger Tagblatt“

1.Die eingeführten Zeitungsmarken in die zweite Online-Reihe zu verbannen, ist riskant. Die geballte personelle Kraft des Portals bietet trotzdem eine Chance, neue Nutzer zu gewinnen. „Der Westen“ muss meiner Meinung nach aber mehr Themen und Nutzwert für junge Leute entwickeln  vielleicht mit einem eigenen Segment im Portal. Denn für die Printprodukte scheint ein Großteil der Zielgruppe unter 29 Jahren verloren zu sein.

2. Der Großbrand, der eine Stunde später online läuft; der Prozessbericht über einen Tankstellenräuber, der mit einem Film aus der Überwachungskamera richtig spannend wird  Videos sind gerade im Lokalen eine reizvolle Ergänzung. Wir machen das seit 2007, mit gutem Erfolg.

3.Ich halte viel davon, die Grenzen zwischen Sendern, die von Zwangsgebühren leben, und Medienhäusern, die ihr Brot selbst verdienen müssen, nicht zu verwischen.

„Gute Gründe“

Christoph Dernbach, Chefredakteur dpa-infocom

1.Für die WAZ-Gruppe lag es aus guten Gründen nahe, eine Dachmarke wie „DerWesten“ zu wählen. Andere Zeitungen, die ein übersichtlicheres Verbreitungsgebiet haben, sind sicherlich gut beraten, auch ihre Online- und Mobilfunkaktivitäten unter der etablierten Printmarke zu bündeln.

2. Videoangebote werden im breitbandigen Internet eine immer wichtigere Rolle einnehmen. Die „User“ erwarten dabei aber nicht unbedingt eine Kopie der etablierten TV-Formate. Die dpa-Gruppe hat deshalb einen Videoservice für Verlage und andere Kunden aufgesetzt, der sich nahtlos in die erfolgreichen Online-Produkte der dpa einfügt.

3.Wir bei dpa äußern uns grundsätzlich nicht zu geschäftlichen Aktivitäten unserer Kunden.

„… sehe das kritisch“

Michael Garthe, Chefredakteur

„Die Rheinpfalz“

1.Ich halte das für falsch. Es schadet der Printmarke.

2. Bisher spielt es für uns eine untergeordnete Rolle. Das wird sich aus heutiger Sicht erst mittelfristig verändern.

3. Ich sehe das kritisch. Es kommt ja einer vorbehaltlosen Billigung der Internet-Aktivitäten öffentlich-rechtlicher Medien sehr nahe. Für uns kommt dieser Weg absehbar nicht infrage.

„Risiko zu Lasten Dritter“

Thomas Hauser, Chefredakteur „Badische Zeitung“

1. Skeptisch und gespannt zugleich. Die neue Internet-Dachmarke versucht ja sowohl die alten Marken zu pflegen als auch eine neue zu etablieren.Reine Lehre in Sachen Markenführung ist das nicht. Wenn es aber funktioniert, wird dies die Konzentration in der Branche weiter vorantreiben.

2. Derzeit keine zentrale. Wir setzen zunächst einmal auch im Internet auf unsere Stärken. Video wird daneben eine wachsende Rolle spielen müssen, aber wir werden damit nur punkten können, wenn dieses Angebot dem gewohnten Qualitätsstandard der „Badischen Zeitung“ entspricht. Dafür aber müssen wir die Kompetenzen erst aufbauen und das wiederum dürfte nicht ganz billig sein.

3.Ich bin da mit mir noch nicht ganz einig. Denn solche Kooperationen sind zumindest so lange interessant, bis man selbst genügend Video-Kompetenzen besitzt. Auf der anderen Seite wirft gerade diese unter massivem Druck von Ministerpräsident Rüttgers zustande gekommene Kooperation jede Menge medienpolitische und rechtliche Fragen auf. Und vielen ist noch ein wenig nebulös. Wenn WAZ und WDR aber auch Kooperationen im Werbebereich anstreben und die WAZ zudem marktübliche Preise für die vom WDR übernommenen Inhalte bezahlt, dann besteht in der Tat das Risiko, dass zwei Elefanten ihre überragende Marktposition zulasten Dritter absichern. Selbst dann, wenn der WDR auch anderen Zeitungshäusern dasselbe Angebot unterbreitet. Denn die kleinen Verlage werden das voraussichtlich kaum finanzieren können.

„Großes Interesse“

Uwe Heer, Chefredakteur „Heilbronner Stimme“

1.Der Online-Auftritt muss so aktuell und ansprechend sein, dass er Zeitungsverweigerer anlockt. Allerdings geht es um Markenpflege und Profil: Nur wer beim Onlineauftritt den eigenen Titel in den Vordergrund stellt, der wird langfristig die User wieder zum Printprodukt locken können. Denn diese erhalten via Internet damit den Eindruck, dass die „gute alte“ Zeitung doch nicht gar so verstaubt, sondern modern und innovativ ist. Das ist als Marketinginstrument besser, als ein Portal mit einem anderen Namen als den der Zeitung aufzubauen.

2.Web-TV ist eine ideale Ergänzung bei den crossmedialen Angeboten. Die Zahl der Zugriffe wird deutlich steigen, hier kann ein Mehrwert geboten werden, den die Zeitung so nicht bietet. Es ist eine ideale Ergänzung, wenn man sich auf die eigenen Stärken konzentriert: Bei Regionalzeitungen in erster Linie auf das Regionale und nicht auf welt- oder deutschlandweite Nachrichten. Diese lokale Exklusivität macht das Web-TV auf der Homepage des regionalen Medienunternehmens äußerst interessant, wie wir seit der Einführung von Stimme TV bei uns mit stetig wachsenden Zugriffszahlen feststellen.

3. Wir verfolgen diese Zusammenarbeit mit großem Interesse, weil dies im Südwesten mit dem SWR ebenfalls diskutiert wird. Letztlich ist es eine Kosten- und Lizenzfrage. Eine Kooperation sollte aber keinesfalls die eigenen Video-Bemühungen infrage stellen, denn auf diesem Feld haben die Verlage noch große Entwicklungsmöglichkeiten.

„… kann das Klima normalisieren“

Peter Stefan Herbst, Chefredakteur

„Saarbrücker Zeitung“

1.Wir haben gerade erst das Internet-Angebot der „Saarbrücker Zeitung“ mit saarbruecker-zeitung.de aus unserer bisherigen Dachmarke Saarland Online mit sol.de herausgelöst und damit sehr gute Erfahrungen gemacht. Insofern gehen wir einen völlig anderen Weg als derwesten.de. Den Großteil unserer PIs erzielen wir über Communitys von jungen Mediennutzern, die nicht zu den Stammlesern der „Saarbrücker Zeitung“ gehören.

2.Die Bedeutung und Nutzung von Bewegtbild im Internet wird weiter zunehmen. Wir setzen auf eine Vier-Säulen-Strategie: 1.) Bewegtbild, Kommentare und Nachrichtensendung aus der Printredaktion, 2.) Zusammenarbeit bei Talk-Sendung und künftig auch Nachrichten mit einem privaten regionalen TV-Sender (SAAR-TV), 3.) Übernahme von Beiträgen von Agenturen und anderen Anbietern (z. B. zoom.in) und 4.) User Generated Content.

3.Das WDR/WAZ-Modell kann das Klima zwischen öffentlich-rechtlichen Sendern und Zeitungsverlagen wieder entspannen und normalisieren. An Gesprächen und guten Angeboten zu attraktiven Rahmenbedingungen sind auch wir immer interessiert. Ob das WDR/WAZ-Modell allerdings ein Erfolg wird und auf andere Bundesländer und Regionen übertragen werden kann, ist noch völlig unklar.

„… kaum übertragbar“

Michael Maurer, Chef vom Dienst

„Stuttgarter Zeitung“

1. Darüber, dass Zeitungsverlage heutzutage ein Internetportal brauchen, um neue Zielgruppen zu erschließen, muss man wohl nicht mehr diskutieren. Es geht dann allerdings um die Markentreue: Versucht man, die Print-Marke auch im World Wide Web zu etablieren oder wird dort eine neue Marke aufgebaut? Die Strategie der Mediengruppe WAZ, mit „Der Westen“ eine neue Marke zu schaffen, ist in ihrer Konsequenz beeindruckend. Aber sie ist offensichtlich in der besonderen Situation der Mediengruppe entstanden und deshalb kaum übertragbar. Generell erscheint es mir immer sinnvoller, dem Markengedanken zu folgen und klar unterscheidbare Portale zu schaffen, die sich unter demselben Namen
wie die Printprodukte im Internet ihre Userschichten erarbeiten.

2.Ohne Bewegtbilder auf der Site geht es nicht mehr. Videos sind einfach Standard.

3.Die Kooperation von WAZ und WDR ist eine interessante Sache, die rein juristisch gesehen jedoch auf wackligen Beinen steht. Spannend wird deshalb die Frage sein, wie die Kooperation denn jenseits des Austauschs von Beiträgen gegen Lizenzgebühren aussieht. Beispielsweise, wenn es um Änderungen im Medienrecht gehen sollte. Momentan kann ich mir eine solche Kooperation für unseren Online-Auftritt nicht vorstellen.

„… keine Denkverbote“

Frank Nipkau, Redaktionsleiter

„Zeitungsverlag Waiblingen“

1.Beim Thema Internet sollte es keine Denkverbote geben, deshalb wünsche ich den Kollegen der WAZ viel Erfolg. Ich halte es aber für schlüssiger, Zeitungsinhalte im Internet mit der Zeitungsmarke zu verknüpfen. Das gilt nicht für Communitys oder spezielle Zielgruppenangebote. Unser Jugendportal steht etwa unter www.nicht-jugendfrei-online.de im Netz. Allerdings sollten auch bei diesen Angeboten täglich Brücken zurück zur Zeitung geschlagen werden.

2.Wir zeigen in Zusammenarbeit mit „Die Ligen“ Bezirksligaspiele im Fußball in Ausschnitten und Heimspiele des TV Bittenfeld (Zweite Handballbundesliga Süd). Wichtig für uns: Die Zugriffszahlen sind sehr erfreulich, der Aufwand wird über Werbung gegenfinanziert und wir haben keinen Personalaufwand. Angedacht ist auch, mit dem gleichen Modell einige ausgewählte Großfeste aus der Region zu zeigen.

3.Junge Leute flüchten vor dem Angebot der öffentlich-rechtlichen Sender in das Internet. Sie dort mit öffentlich-rechtlichen Videos wieder einzufangen, halte ich für nicht erfolgversprechend. Zeitungsverlage zeigen Kompetenz im Internet mit eigenen regionalen Inhalten, nicht mit einem dpa-Ticker und Videos, die sie überall sehen können.

„… mit dem rbb im Gespräch“

Andreas Oppermann, Chefredakteur

„20 Cent“

1.Dachmarken sind immer nur eine Krücke. Wer zum Ergebnis kommt, dass er bestimmte Nutzergruppen nicht mehr erreicht, sollte genau für diese Gruppen neue Marken im Netz etablieren. Diese müssen die Chance bekommen, sich unabhängig vom jeweiligen Printhaus entwickeln zu können. Dachmarken, die wie „Der Westen“ sowohl ein eigenständiges Netz-Angebot sind als auch die Internetsites der unterschiedlichen Zeitungsmarken in sich tragen, verwirren auf Dauer nur. Es sei denn, die WAZ-Gruppe geht den Weg konsequent weiter und kappt die redaktionellen Angebote und Verlängerungen der Printtitel. Unter WAZ.de, nrz.de usw. dürften dann nur noch die jeweiligen Firmensites sein. Und die Chefredaktionen der Printtitel müssten die komplette Verantwortung für das Online-Geschehen an Frau Borchert abgeben. Nur dann wäre ein konsistentes Angebot für die Nutzer sinnvoll  und nicht mehr verwirrend.

2.Videos werden ein integraler Bestandteil der Online-Angebote. Dabei sind zunächst Formate sinnvoll, die es nicht im Fernsehen gibt, etwa Video-Kolumnen mit Gesichtern, die für die (Blatt-) Marke stehen. Außerdem spricht viel für Video-Inhalte, die im Blatt nicht vernünftig dargestellt werden können. Zum Beispiel alles, was mit Unterhaltung zu tun hat. Generell werden wir uns als Redaktionen daran gewöhnen müssen, dass wir uns bei der Aufbereitung von Inhalten viel stärker überlegen müssen, welches Format das optimale für den jeweiligen Inhalt ist. Und das geht ohne Videos gar nicht.

3.Prinzipiell ja. Ich bin deshalb mit der Intendantin des rbb für das Haus „Lausitzer Rundschau“ und unsere Webauftritte lr-online.de, 20-cent.de, localido.de und eine weitere neue Marke im Gespräch.

„Versuch macht klug“

Horst Seidenfaden, Chefredakteur „Hessisch-Niedersächsische Allgemeine“ (HNA)

1.Gemischt. Möglicherweise erreicht man ein neues Publikum, möglicherweise findet ein vertrautes seine Marke im Netz nicht mehr und geht verloren. Man sollte Marken nicht einfach opfern.

2.An Videos führt in den nächsten Jahren kein Weg vorbei. Das sollten Bilder von Ereignissen sein, Nachrichtenshows haben im Netz keine Chance. Zu viel Aufwand, zu wenig Ertrag. Videos lassen sich in Print bestens promoten, Videos selbst können gute Werbetrailer für die Zeitung sein.

3.Versuch macht klug.

„Interessanter Ansatz, aber …“

Ilse Stein, Chefredakteurin

„Göttinger Tageblatt“

1.Ich hätte als Chefredakteur einer der beteiligten Zeitungen Bedenken, dass meine eigene Marke dabei zu sehr in den Hintergrund gedrückt wird. Aber vielleicht gibt die Zeit dem Projekt ja recht. Das sollten wir uns in einigen Jahren noch mal anschauen.

2.Bei crossmedialer Betrachtung gehört das Bewegtbild, also Video, unbedingt dazu. Was das letztlich via Internetnutzung der jeweiligen Homepage des dahintersteckenden Printproduktes nutzt  darüber können wir derzeit wohl nur Vermutungen anstellen.

3.Interessanter Ansatz, aber ich teile die juristischen Bedenken, dass hier mithilfe der Fernsehgebühren eines öffentlich-rechtlichen Senders ein Produkt aus privater Hand (Zeitung) subventioniert wird.

„Eine Chance, wenn …“

Martin Vogler, stellvertretender Chefredakteur

„Westdeutsche Zeitung“

1.Für mich ist es eine Fehleinschätzung, dass wir mit etablierten (Print-)Marken die User, die gedruckten Zeitungen eher skeptisch gegenüberstehen, nicht erreichen könnten. Für diese Gruppe ist nicht der Markenname entscheidend, sondern primär die Qualität des Angebots. Dazu zählen vor allem Aktualität, Mehrwert und Interaktivität. Dies kann eine motivierte Redaktion, die die eigene Marke bedient, hervorragend leisten.

2. Es ist sehr sinnvoll, wenn die Häuser mit Bewegtbildern Erfahrungen sammeln. Das tun wir auch. Allerdings kann dabei niemand auf zeitnahe Re-Finanzierung hoffen. Dazu ist, vor allem im lokalen Markt, der Produktionsaufwand für potenzielle Werbekunden zu hoch.

3.Eine solche Kooperation kann eine Chance für Zeitungsverlage sein. Sie muss allerdings wirklich allen Verlagen offen stehen.

Erschienen in Ausgabe 4/2008 in der Rubrik „Titel“ auf Seite 28 bis 31 Autor/en: Umfrage Annette Milz. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.