?Das Berliner Independent-Magazin „032c“ ist Leadmagazin 2008. Ein würdiger Nachfolger für das „SZ-Magazin“?
Dominik Wichmann: Ja, absolut. Man kann beide Titel natürlich schlecht vergleichen, denn es ist ein Unterschied, ob ich jede Woche eine Zielgruppe von 1,1 Millionen Lesern ansprechen muss oder ob ich ein Magazin mache, das zwei Mal im Jahr erscheint und dann noch auf Englisch. Es müssen also völlig andere Bewertungsmaßstäbe gelten. Aber angesichts der Bedeutung, die „032c“ im Bereich der Nischenmagazine hat, finde ich, dass es der richtige Gewinner ist.
Was sind denn überhaupt die Bewertungskriterien? Was macht ein Lead-Magazin aus?
Für mich ist ein Lead-Magazin eines, das in seinem Genre das Maximum dessen realisiert, was machbar ist.
Das heißt, Platz eins – „032c“ – und Platz drei – der „Stern“ – sind eigentlich nicht vergleichbar?
Man muss den Bewertungsmaßstab individuell je nach Genre anlegen: Nachrichtenmagazine werden unter anderen Bedingungen und mit anderen Voraussetzungen gemacht als Lifestyle- oder Nischenhefte. Für „032c“ gelten also andere Erfolgskriterien als für den „Stern“. Ein Leadmagazin ist deshalb ein Heft, das aus seinen Möglichkeiten am meisten macht – und zwar in dem Genre, das gerade am meisten bewegt. Und dieses Genre sind derzeit tatsächlich die Nischenmagazine.
Sind für Sie als Magazinmacher solche Nischenmagazine wirklich maßgeblich? Oder zumindest Inspirationsquelle?
In meiner täglichen blattmacherischen Arbeit spielt „032c“ keine überragende Rolle. Da schaue ich sehr viel stärker auf die „Süddeutsche Zeitung“ und die anderen Wochenmagazine in Deutschland sowie sehr stark auch auf amerikanische oder britische Magazine. Aber für die Frage, wohin sich eine Bildsprache entwickelt, wie sich grafische Trends entwickeln, dafür sind Nischenmagazine wie „032c“ sicher wichtig.
Auch, wenn so ein Heft nur von einer winzigen Leserschaft wahrgenommen wird?
Jeder Stil beginnt doch klein und setzt sich fort durch Menschen, die sich inspirieren lassen und ihn nachmachen. Nur, weil die Auflage eines Heftes klein ist, heißt das nicht, dass es keinen Einfluss hat. Ob und wie es tatsächlich stilprägend ist, muss man eher die Art-Direktoren fragen. Ich habe schon den Eindruck, dass es manche Leute beeinflusst.
Woran bleiben Sie hängen, wenn Sie in Magazinen blättern?
Magazinjournalismus ist dann gut und auffällig, wenn ich etwas sehe, was ich so weder im Internet noch im Fernsehen oder in der Zeitung sehen könnte. Ein gut gemachtes Magazin ist die Synthese von Bild und Text, die Verschränkung von Visualität und Grauwert zu einer neuen Form. Wenn Headline, Text und grafische Umsetzung eine Symbiose eingehen, dann wird es spannend, dann entsteht etwas, was in keiner anderen Medienform denkbar ist. Das ist gar nicht so leicht – die Magazine, die so etwas regelmäßig abliefern, kann man an einer Hand abzählen. Aber wenn es tatsächlich gelingt, dann schaut man automatisch hin.
Sie sagten, im Bereich der Nischenmagazine sei 2007 besonders viel passiert. Beobachten Sie einen Trend zur Nische?
Der Markt spaltet sich auf in Massen- und Nischenprodukte. Es ist ähnlich wie bei den großen Samstag-Abend-Shows im Fernsehen: Angebote für die ganze Familie, für ein breites Publikum, werden auch im Magazin-Journalismus immer seltener. Wichtiger als eine riesige Auflage wird also sein, dass man innerhalb einer definierten Zielgruppe eine möglichst große Reichweite erzielt. Diese Segmentierung des Print-Marktes in sehr heterogene Zielgruppen war schon länger zu beobachten, aber jetzt kann man nicht mehr daran zweifeln. Es gibt deshalb immer mehr Nischenmagazine, die gut funktionieren – und die sich auch wirtschaftlich einigermaßen tragen.
Was bedeutet die Segmentierung des Marktes für Magazine wie das „SZ-Magazin“, die immer noch eine sehr große und auch relativ heterogene Leserschaft ansprechen wollen?
Wir stehen vor der Schwierigkeit, die Zielgruppe der „Süddeutschen Zeitung“ mitzubedienen. Wir versuchen das Problem mit unseren vielen Rubriken zu lösen, denn im Idealfall steht jede Rubrik für eine bestimmte Zielgruppe. Unser Gedanke war, dass jede Gruppe unserer Leser eine Rubrik haben sollte, mit der sie sich Woche für Woche identifizieren kann und sich wohlfühlt. Das funktioniert so gut, dass wir unsere relativ disparate Zielgruppe nicht nur halten, sondern sogar ausweiten können, im vergangenen Jahr um elf Prozent.
Bei den Leadawards haben Nischenmagazine wie „Kid’s Wear“, „Qvest“, „Vorn“ oder „Feld Hommes“ allein sieben der 19 Zeitschriften-Medaillen und zehn der 17 Fotografie-Awards abgeräumt. Ist das nicht unfair – schließlich kann man sich viel mehr erlauben, wenn man nur winzige Zielgruppen ansprechen will?
Natürlich hat die Tatsache, dass einige Nischenmagazine ausgezeichnet wurden, auch damit zu tun, dass diese Hefte mehr Freiheiten haben als Massentitel. Kreativität darf aber nicht zum Selbstzweck werden, zu einer Art Mantra, das Blattmacher vor sich hertragen. Das Entscheidende ist doch, dass Kreativität auch eine ökonomische Relevanz entwickelt: Jene Produkte, die mit Themen kreativer umgehen als die Konkurrenz, verkaufen sich besser – und das belohnen auch die Auszeichnungen. Ein Magazin wie „In Touch“ ist auf seine Weise sehr kreativ, ebenso „Dogs“ oder auch der „Stern“. Wenn der „Stern“ ein wirklich kreatives und anspruchsvolles Titelbild macht, dann ist diese Leistung ungleich höher zu bewerten, als wenn wir beim „SZ-Magazin“ das gleiche Titelbild benutzt hätten – und noch einmal unendlich viel höher, als wenn ein kleines Magazin aus Berlin Mitte mit einer Auflage von 5000 Stück den Titel gemacht hätte.
Dennoch: Beim Cover des Jahres gewann ebenfalls ein Magazin, das nicht am Kiosk verkaufen muss – das „Zeitmagazin Leben“. Was ist an so einem Titelbild „führend“, wenn es sich gar nicht mit Covern von Kiosk-Magazinen vergleichen lässt?
Es stimmt schon, die Doppelcover des „Zeitmagazins“ würden am Kiosk nicht funktionieren. Schon einfach deshalb, weil ich am Kiosk den Clou eines Covers sofort und nicht erst beim Umblättern verstehen muss. Aber die Kiosk-Titel könnten sich in der grundsätzlichen Bereitschaft zur Kreativität von Supplements und Nischen-Titeln durchaus stärker inspirieren lassen. Das Günter Wallraff-Cover war ohne Frage das Titelbild mit der meisten Kraft in diesem Jahr. Und da das „Zeitmagazin“ bei den Newcomer-Magazinen ja leider nicht nominiert war, hat es in der Kategorie „Cover des Jahres“ zu Recht gewonnen.
Sie haben sich mit der Jury durch Stapel von Magazinen gewühlt und einen guten Überblick bekommen. Gibt es etwas, das Sie vermisst haben – und sich fürs nächste Jahr wünschen?
Es gibt noch immer kein einziges Print-Heft in Deutschland, das sich tatsächlich mit dem Internet vernetzt. Das ist ein Bereich, in dem unglaublich viel entstehen könnte – eine Synthese zwischen Online und Print, eine Neuerfindung des Genres, eine Form, in der beides wirklich zusammenkommt. Bisher nutzt kein Magazin wirklich die Möglichkeiten, die das Netz bietet – zum Beispiel systematisch von den Lesern Informationen zu generieren und mit den Lesern zusammenzuarbeiten. Was ich mir ebenfalls wünsche: dass die thematische Bandbreite der Nischenmagazine größer wird. Es sollten sich endlich mal Nischenhefte entwickeln, die nicht nur Kunst oder Mode zum Thema haben.
1. Leadmagazin (Gold): 032c
Chefredakteur und Verleger Jörg Koch
Verlag: 032c Workshop
Dominik Wichmann: „Die Zeitschrift ist seit ihrer Gründung vor sieben Jahren kontinuierlich gewachsen und hat sich auf dem Markt der Nischenmagazine sehr gut behauptet. Die Macher verfolgen einen sehr eigenen, einen sehr konsequenten Weg. Das Interessante an dem Heft ist, dass es einen ganz merkwürdigen Spagat schafft: Einerseits ist es ortlos, erscheint überall auf der ganzen Welt, dazu noch auf Englisch, andererseits hat es B
erlin zum Dauerthema, macht die Stadt zum Brennglas für kulturelle Entwicklungen – und profitiert davon gleichzeitig wieder selbst. Das ist sehr geschickt und scheint aufzugehen, das Heft verkauft international ja mehr Exemplare als in Deutschland.“ (Die Aufschlagseiten stammen aus der Ausgabe Nr.14/2007/2008)
2. Leadmagazin (Silber): „AD Architectural Digest“
Chefredakteurin: Margit C.Mayer
Verlag: Condé Nast
Dominik Wichmann: „Im Bereich der Lifestyle-Magazine macht AD weiterhin einen sehr guten Job, es ist sehr solide – da hat sich in den vergangenen Jahren nicht viel verändert, es war immer schon sehr hochwertig.“
3. Leadmagazin (Bronze): „Stern“
Chefredakteure: Andreas Petzold, Thomas Osterkorn
Verlag: Gruner + Jahr
Dominik Wichmann: „Der, Stern‘ vermittelt den Eindruck einer Zeitschrift, in der sich redaktionell viel bewegt, und zwar zum Positiven. Man sieht eine blattmacherische Ambition, die in den allermeisten Fällen aufgeht. Ich finde, der, Stern‘ hat im vergangenen Jahr vor allem mit seinen Covern immer wieder überrascht. Mir ist zum Beispiel der Titel mit Ulrich Mühe stark im Gedächtnis geblieben, oder der zum Thema Sozialneid. Das war sehr viel mutiger als in den Jahren zuvor, da hat sich der, Stern‘ wirklich verbessert.“
1. Newcomer (Gold): „Dogs“
Chefredakteur: Thomas Niederste-Werbeck
Verlag: Gruner + Jahr
Dominik Wichmann: „Dieses Magazin hat eine ganz klare Zielgruppe: Hundebesitzer, die mit dem charmanten Motto „Wir wollen das Lebensgefühl Hund beschreiben“ angesprochen werden. Auf jeder Seite spüre ich die Faszination und die Leidenschaft der Kollegen für dieses Thema. Das Heft strahlt Wärme und einen gewissen Lifestyle aus – und es ist handwerklich hervorragend gemacht. In der Umsetzung ist es weit besser als 90 Prozent der Magazine, die sonst am Kiosk liegen. Hinzu kommt noch: Das Heft war der Sieger der Ideen-Olympiade von Gruner + Jahr und das finde ich toll: Eine Idee aufzugreifen, die Mitarbeiter hatten, etwas ganz Eigenes zu starten und nicht eine langweilige Kopie auf den Markt zu werfen.“
2. Newcomer (Silber): „Zeit Campus“
Chefredakteur: Manuel J. Hartung
Verlag: Zeit Verlag
Dominik Wichmann: „Als ich noch studierte, waren die Uni-Magazine oft borniert und inspirationslos. Ihre journalistische Ausstrahlung stand im krassen Gegenteil zum dominierenden Lebensgefühl ihrer Zielgruppe., ZEIT Campus‘ hat bewiesen, dass man es mit jungen Fotografen, kreativem Formenspiel und blattmacherischem Mut anders, besser machen kann. Das Heft nähert sich dem Kosmos Universität nicht wie eine Schülerzeitung für Studenten, sondern berichtet journalistisch präzise über die Welt des Wissens. Und das ist sehr spannend zu verfolgen.“
3. Newcomer (Bronze): „Vanity Fair“
Chefredakteur: bis 1/08: Ulf Poschardt, seit 3/08: Nikolaus Albrecht
Verlag: Condé Nast
Dominik Wichmann: „Das Heft hat den deutschen Zeitschriftenmarkt zwar nicht umgekrempelt, aber es hat ihn in vielerlei Hinsicht beschäftigt. Der Einfluss auf den Rest der Branche war sehr positiv: Aus Angst vor der neuen Konkurrenz haben sich alle ein bisschen mehr Mühe gegeben. Der Wettbewerb hat in diesem Fall tatsächlich für mehr Qualität gesorgt. Die Einlösung des Versprechens, Vanity Fair‘ war dann zwar in mancherlei Hinsicht enttäuschend, aber ich finde, dass das Heft in den letzten Wochen und Monaten eine gute Entwicklung genommen hat. Ich bin mir sicher, in drei vier Jahren wird, Vanity Fair‘ auch in Deutschland ein etablierter Titel sein.“
3. Newcomer (Bronze): „Anyway“
Verlag: Ahead Media,
Wien/Berlin/London
Dominik Wichmann: „Im Markt der Reisemagazine hat sich – ganz im Gegenteil zur Reisebranche selbst – in den vergangenen Jahren nicht allzu viel bewegt. Obwohl die Billigflugangebote, die Selbstverständlichkeit und Bezahlbarkeit des Reisens, den Markt gerade komplett umkrempeln, merkt man dies den meisten Heften dieser Gattung kaum an. Anyway bringt einem diese Veränderungen jedoch nahe. Und das auf ganz entspannte und unaufgeregte Art und Weise. Das Heft ist nie gelangweilt von seinem Sujet, nicht saturiert. Im Gegenteil: es strahlt das wichtigste Attribut des Reisens aus: Neugier.
Linktipp:
Eine Liste aller Preisträger findet sich unter www.leadacademy.de
Erschienen in Ausgabe 4/2008 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 32 bis 37 Autor/en: Interview: Eva-Maria Schnurr. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.