Zitronen & Ikonen

Sonnenkönig

Das 90er-Konzept, die „Berliner Zeitung“ zur deutschen „Washington Post“ zu machen, ist bekanntlich nicht geglückt. Seit einigen Wochen immerhin steigt die Aufmerksamkeit für das Blatt. Der Gulaschsuppengeruch im 14. Stock des Verlagshauses, immer wenn wieder jemand Abschied feiert, ist inzwischen über den meisten Medienseiten gewabert. Ansonsten wird derzeit im und über das Blatt in der Nähe des Alexanderplatzes viel im landwirtschaftlichen Jargon geredet („ausgequetscht wie eine Zitrone“, „es ist dem Tier relativ egal, ob es geschächtet oder mit dem Bolzenschussgerät erlegt wird“). Von Josef Depenbrock, dem „Geschäftschefredakteur“ („Kölnische Rundschau“), werden da Aussagen kolportiert wie „Dann gehen Sie doch mit dem Techniker zum Media Markt und kaufen neue Computer“ (zu Vorwürfen über die schlechte Ausstattung) bzw. dass er das Vertrauen der Redaktion nicht braucht (auf den offenen Brief „Herr Depenbrock, wir haben das Vertrauen in Sie verloren“). Klingt irgendwie nach einem Selbstverständnis à la Sonnenkönig Ludwig XIV. („L‘ etat, c‘ est moi“) und zugleich Marie Antoinette, der Frau von Ludwig XVI. („Wenn sie kein Brot haben, sollen sie Kuchen essen“).

Wenn die spannendste Aussage nach dem gespannt erwarteten Gespräch des Redaktionsausschusses mit Verlagschef Montgomery „Es gibt die Hoffnung auf einen Dialog“ lautet, ist der Fundus an wirklich Berichtbarem nicht groß. Einem Reporter der „Süddeutschen“ gelang es, in der Londoner Jermyn Street unter den Augen eines „bulligen Sicherheitsmanns“ den Mecom-Hauptsitz zu betreten, mit dem Fahrstuhl in den fünften Stock zu fahren und einen Blick auf die „schlichte, elegante Einrichtung, schwere Holzdielen und Trennwände aus Milchglas“ zu werfen. Dann wurde er unverrichteter Dinge weggeschickt.

Im Gegensatz zu Alexander Osang, „Spiegel“-Reporter und Ex-Starautor der „Berliner Zeitung“, der seinem alten Blatt eine sechsseitige Geschichte im „Spiegel“ widmete. Dafür durfte er sogar Josef Depenbrock und David Montgomery beim Frühstückim Hotel de Rome begleiten – was er mit bemerkenswerten Details schildert, aber zum Ergebnis kommt: „Eigentlich kann man das Diktiergerät nach dem Frühstück in die Spree werfen und abschreiben, was Montgomery in anderen Interviews in aller Welt erzählte … Es ist die Geschichte vom Journalisten, der nicht mehr auf Zeitungen und Fernsehsender angewiesen ist, sondern frei mit seinen Informationen handelt.“ Allerdings auch ziemlich befreit von Redakteuren, 19 Journalisten hat Osang gezählt, die die „Berliner Zeitung“ verlassen haben, andererseits wurden 15 junge Journalisten eingestellt.

Zum Schluss schildert Osang, wie Multifunktionär Depenbrock beginnt einen Leitartikel zum fünfjährigen Jubiläum der Agenda 2010 zu schreiben. Nachdem sich in der Konferenz kein Autor dafür gefunden habe. red

Old-Media-Ikone

Der Berliner „Tagesspiegel“ erfreute sich Ende Januar größerer Aufmerksamkeit, als „zoomer“ startete, das eng mit ihm verbundene Nachrichtenportal für die StudiVZ-Nutzerschaft, allesamt Angehörigen der mittllerweile sehr bunt gewordenen Holtzbrinck-Familie. „Das Ergebnis lässt sich sehen“, fand der „Tagesspiegel“. Vom Start an „kultverdächtig“ fand „zoomer“-Geschäftsführer Peter Neumann (in der „FR“) Ulrich Wickerts Videoclips ebendort. Unter der knallgrünen „zoomer“-Kopfzeile (die übrigens sehr ans Knallgrün der kurz zuvor relaunchten „Netzeitung“ erinnert) trägt Herausgeber Wickert rote oder braune Pullis und erklärt den Nutzern „Nachrichten, die euch wirklich interessieren“. Der „Old-Media-Ikone“ („FAZ“ in der „zoomer“-Besprechung) ist zumindest also ein erstaunlich multiples Comeback gelungen. Denn dazu ereilte ihn kurz darauf noch ein Medienjob: „Die ARD setzt bei ihrer Werbetochter auf Sauberkeit“ („Handelsblatt“) und berief ihn ins „Compliance-Team“ ihrer „Sales & Services“-Tochter ASS neben Juristin Renate Damm und Medienprofessor Norbert Bolz. Da kann er sicher den missglückten Einstieg als sogenannter Drittanbieter ins Privatfernsehen verschmerzen. Zumal bei solcher Wertschätzung durch den erfolgreichen Konkurrenten Alexander Kluge: „Ich achte Ulrich Wickert. Er hat sehr schöne Romane geschrieben“ („SZ“). cb

Erschienen in Ausgabe 4/2008 in der Rubrik „Chronik“ auf Seite 12 bis 13. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.