Abenteuer Peking

Peking 2008 ist ein mühsames Geschäft. Für Diplomaten sowieso, aber auch für Journalisten. Mehrere zehntausend von ihnen werden zu den Olympischen Spielen nach China fliegen – mit den unterschiedlichsten Ausstattungen und Interessen. Wie bereiten sich die Redaktionen darauf vor? Und vor allem: Was erwartet die Kollegen dort, die doch eigentlich über Sport berichten sollen, aber die Politik kaum ignorieren können?

Während Vollagenturen wie dpa dieser Zwangslage entkommen können, indem sie Politik- und Sportredakteure aktivieren können, hat es der Sport Informations Dienst (sid) nicht leicht. Zumal der Sport in der Heimat keine Pause macht. In diesem Jahr startet die Fußball-Bundesliga am 15. August. Mitten in den Olympischen Spielen.

Für den Fachdienst mit insgesamt 45 Festangestellten werden die Spiele da zu einer echten Belastungsprobe. Redaktionsdirektor Berthold Mertes spricht gar von einer „Herausforderung“. Er will gut 30 Mitarbeiter nach Peking schicken. Für den Fachdienst ist eine umfangreiche Präsenz vor Ort „selbstverständlich, wenn auch sehr kostspielig“, wie Mertes sagt, zumal den Agenturen durch die Präsenz von Onlinejournalisten eine erhebliche Konkurrenz erwachsen ist. An einer politischen Berichterstattung komme auch der sid „natürlich nicht vorbei“. Schwerpunkt sei jedoch die Sportpolitik, also etwa das Funktionärs-Gebaren des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). Weil zwei Redakteure auf diesen Komplex angesetzt seien, sieht Mertes seinen Dienst gut gewappnet, aber zugleich auch seine Grenzen. „Wir werden bei der Politik sicher nicht federführend und schon gar nicht investigativ sein“, sagt Mertes von vornherein zur Linie seiner Redaktion. Der sid als Fachdienst sei zuerst „dem Sport verpflichtet“. Politische Diskussionen, vor allem auf diplomatischer Ebene, werde der sid deshalb „vorsichtiger angehen als die Politik-Experten der anderen Agenturen“.

Verbundmodell. Für Regionalzeitungen ist ein Event wie die Olympiade in Peking noch schwieriger. Einige müssen gänzlich auf eigene, exklusive Mitarbeiter in China verzichten, weil das Geld fehlt. Die Not zur Tugend machen da die „14“, wie sich ein etablierter Verbund von Sportredaktionen regionaler Tageszeitungen nennt (siehe Kasten). Von den 14 Blättern werden sechs Redakteure in Peking sein. Der Vorteil der Kooperation: Die Mitglieds-Redaktionen können die Texte der anderen ins eigene Blatt heben, wenn sie sich an den Reisekosten beteiligen. Das kostet gut 1.000 Euro.

Vor Ort stimmen sich die Reporter im Auftrag der „14“ ab. Einige teilen sich in dieser Zeit sogar eine Wohnung. Themen sollen nicht doppelt besetzt werden, um aus dem Ereignis alles rauszuholen. „Aber wirklich alle Themen werden wir auch nicht bearbeiten können“, sagt Gerhard Müller. Der Sportchef der „Kieler Nachrichten“ wird selbst dabei sein. Bei einer Zeitverschiebung von sechs Stunden geht es ihm um Schwerpunkte und Geschichten statt um Berichte. „Das Aktuelle wird kaum einer noch der Zeitung entnehmen“, sagt Müller, der den Verbund derzeit koordiniert.

Auch die „Neue Osnabrücker Zeitung“ wird einen Mitarbeiter vor Ort haben. Den Journalisten erwartet aber weit mehr als die klassische Sportberichterstattung: „Unser Mann muss mehr als 50 Prozent für andere Seiten machen“, sagt Sportchef Harald Pistorius. Wenn die politische Brisanz den Rahmen der Sportseiten sprenge, wandern die Texte nach vorne, „im Zweifel auf den Titel“.

Auf die Frage, ob ein Sportredakteur überhaupt fundiert über Themen wie Folter, Menschenrechte und ein Regime wie das in Peking schreiben könne, reagiert der Ressortleiter äußerst allergisch. Dann schießt er zurück und fragt: „Trauen Sie das einem Sportjournalisten nicht zu?“ Diese Frage solle man „mal einem vom Sportnetzwerk“ stellen. „Da werden Sie etwas erleben!“, sagt Pistorius.

Die NOZ hat allerdings auch ihren Reporter zur Vorbereitung auf Seminare geschickt, darunter China-Einführungen für Journalisten, die von den politischen Stiftungen angeboten werden. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Andere Redaktionen verzichten: sid-Chef Mertes etwa kann sich nicht daran erinnern, dass sich seine Mitarbeiter so für Peking 2008 fit gemacht hätten.

Ungewöhnliche Arbeitsbedingungen. Korrespondenten vor Ort wie ZDF-Reporter Johannes Hano (s. Standpunkt S.19) warnen allerdings auch vor journalistischem Übereifer. Zwar hat die chinesische Regierung vor Kurzem ein neues, freieres Pressegesetz erlassen, aber nun geht das Regime gezielt gegen die Interviewten vor statt gegen die Journalisten.

Berichte von Vorbereitungsreisen lassen ahnen, dass die Arbeitsbedingungen gelinde gesagt ungewöhnlich für eine sportliches Großereignis sein werden: Kollegen, die für erste Recherchen vor Ort waren, erzählen von durchsuchten Hotelzimmern, Internet-Attacken auf ihre Computer und diversen Tricks der Behörden, Interviews zu verhindern. Mal würden Offizielle einsilbige Antworten ohne Wert geben, mal Häuserblöcke sperren und Ermittlungen vorgaukeln.

Zwar ist sich die Weltgemeinschaft einig, dass ein Boykott der Spiele nicht opportun ist. Noch nicht einhellig geklärt ist hingegen, wie mit der Eröffnungsfeier umgegangen werden soll, die nicht Teil der sportlichen Wettkämpfe ist. Die Intendanten von ARD und ZDF haben mehrfach erklärt, dass auch die Feier übertragen werden soll, ein Abbruch der Übertragungen aber durchaus möglich sei, sollten die Sender bei ihrer Berichterstattung behindert oder das Sendesignal gestört werden.

Die Fernseh-Sender haben schon vor Monaten eine Maschinerie in Gang gesetzt, die kaum noch aufzuhalten ist. ARD und ZDF bringen etwa allein auf dem Seeweg gut 50 Container Material nach Peking und werden rund 700 Mitarbeiter in China aufbieten – Journalisten, Techniker, Producer und 50 einheimische Hilfskräfte. Die sollen nicht nur beim Übersetzen helfen, sondern den Deutschen auch bei den mühsamen Recherchen unter die Arme greifen (s.a. Seite 20). Bei so viel Aufwand und den zu befürchtenden Einnahmeverlusten wäre ein kurzfristiger Abbruch oder gar ein gänzlicher Boykott der Spiele für die Sender der GAU.

Wahlkampfthema in den USA. In den USA erreichte die Idee, die Spiele zu boykottieren, für einen kurzen Augenblick sogar den Wahlkampf. Die demokratische Präsidentschaftsanwärterin Hillary Clinton forderte Amtsinhaber George W. Bush auf, der Eröffnungsfeier fern zu bleiben – die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Horst Köhler haben sich längst dazu entschlossen und das diplomatisch verpackt. Doch die Clinton-Idee fand wenig Anklang, vor allem nicht bei den einflussreichen TV-Sendern: Fernsehgigant NBC zahlte für seine Sendelizenz immerhin knapp 900 Millionen Dollar – und stellte sich blind und taub, sobald der Konflikt in Tibet hochkochte. Denn ein Boykott hätte für den Privatsender desaströse Folgen: Zwei Drittel der Werbeplätze sind bereits verkauft. Gemeinsam mit seinem spanischen Ableger Telemundo sowie einem halben Dutzend Kabelkanäle plant NBC eine Berichterstattung von 3.600 Stunden. Das ist so viel wie nie. Würde die Show abgeblasen, wären Einnahmeausfälle in Milliardenhöhe die Folge.

In einem der wenigen Interviews zum Konflikt lehnte es der Chef der NBC-Sportsparte, Dick Ebersol, ab, die Regierung in Peking oder das IOC zu kritisieren. „Ich glaube daran, dass die Spiele in China ein Licht auf Teile der Welt scheinen lassen, die sonst im Dunkeln blieben“, sagte er der „New York Times“. Die Sportredaktion werde die Proteste ignorieren, sagte Ebersol weiter, solange sie nicht die Wettkämpfe direkt beträfen oder die Athleten daran hinderten, an ihnen teilzunehmen. Über das Politische und die Menschenrechte im Land zu berichten, bleibt der Nachrichtenredaktion NBC News vorbehalten.

Am Ende wird es von der NBC-Nachrichtenredaktion abhängen, ob der Sender als Sprachrohr des Regimes in Peking dasteht, oder trotz seiner massiven finanziellen Interessen wenigstens einen Rest von kritischer Distanz bewahrt. Tom Rosenstiel, Direktor
des Project for Excellence in Journalism, sagt: „In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass das Bollwerk gegen Manipulation die Reputation des Nachrichten-Anchors ist. Es geht um sein Gesicht, um seine Glaubwürdigkeit.“ Wie es aussieht, wird NBC „Nightly News“-Chef Brian Williams eine Aufgabe stemmen müssen, die Herkules zur Ehre gereichen würde.

Australien. Und auch bei den vom Sport förmlich besessenen Australiern sieht es derzeit nicht nach einem Boykott aus. Anders als in Deutschland sind dort Sportereignisse aller Art Quoten-Sieger. Die Sonntagnachmittage gehören auf zwei der fünf Fernseh-Stationen sogar komplett den Leibesübungen. Olympia ist da keine Ausnahme: Gut 800 Stunden will Channel 7 aus China senden – auch das ein kommerzieller, von Werbeeinnahmen abhängiger Sender.

400 Mitarbeiter schickt „Seven“ nach China. Bei der letzten Olympiade waren es 70. Die Diskrepanz hat aber mehr mit der für Australien äußerst günstigen Zeitzone als politischer Brisanz zu tun: Nur zwei Stunden Unterschied machen Peking 2008 zu einem absehbaren Massen-event. Man gibt sich euphorisch, arbeitet an Vorab-Shows wie „The road to Beijing”. Probleme oder Zensur-Sorgen hatte der Sender nicht: „Wir freuen uns alle riesig auf Peking”, so eine Seven-Sprecherin optimistisch. Proteste und Krawalle sollen diese Freude da nicht trüben: Selbst auf der offiziellen Olympia-Webseite tauchten Störungen des Fackellaufs in anderen Ländern nur unter „ferner liefen’ auf.

Russland. Und auch Russland wird Peking nicht boykottieren, wie Vizepremier Alexander Schukow klarstellte. Im Fernsehen wird das nicht hinterfragt – aber wen wundert das schon. Die ohnehin entweder gleich selbst vom Staat kontrollierten oder sonst zumindest von staatlicher Duldung abhängigen Sender stellten die Demonstranten beim Fackellauf in Paris sogar als gewalttätige Provokateure dar. Kommentatoren verspotteten die westliche Debatte um den Status Tibets gar als Heuchelei.

Während die TV-Propaganda seit Jahren grundsätzlich Front gegen Offensiven des Westen in Sachen Menschenrechte macht, fürchten sich patriotische Medienmacher aber vor allem vor einem: dass Russland bei der Austragung der Winter-Spiele 2014 ähnliche Aufstände drohen, wie in diesem Jahr den Chinesen. Eine Redakteurin des russischen Senders NTW sagt dann auch: „Islamisten und Separatisten im nordkaukasischen Untergrund wären doch blöde, wenn sie im Vorfeld unserer Winterolympiade nicht genauso eine Show abziehen würden, wie jetzt die Tibeter.“ n

Erschienen in Ausgabe 5/2008 in der Rubrik „“ auf Seite 16 bis 16 Autor/en: text DANIEL BOUHS MITARBEIT JULICA JUNGEHÜLSING (. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.