Amerikanische Verhältnisse?

Deutsche Printmedien müssen vor dem Untergang gerettet werden. Dieser Meinung ist offenbar die Bundesregierung zusammen mit den diversen Branchenverbänden und Institutionen, die nun die „Nationale Initiative Printmedien“ ins Leben gerufen haben (s. a. Spektrum Seite 8). Mission: Die Lesekultur unter der Jugend fördern und damit die Zukunft der Mediengattung Print sichern. Welche Projekte die Initiative neu anschieben möchte, wurde allerdings gar nicht erst gesagt. Nur so viel: Die Ergebnisse werden einmal pro Jahr in einer Jahrestagung im Rahmen einer „Vollversammlung“ durchgesprochen. Das nennt sich dann „Zentrale Aktivitäten der Initiative im Overhead-Bereich“. Sehr vielversprechend klingt das nun nicht.

Hoffnungsschimmer bei der Auftaktveranstaltung war hingegen die Keynote des frisch gebackenen „Welt“-Gesamtchefredakteurs Thomas Schmid, der eine erfrischend pragmatische Sicht der Dinge in die allzu Internetphobe Diskussion einbrachte und sich dazu bei Johann Friedrich Hebels „Unglück der Stadt Leiden“ bediente: Als im Jahre 1807 ein mit Pulver beladenes Schiff im Hafen von Leiden festmacht, stört sich niemand daran. Alle in der wohlhabenden Stadt gehen fröhlich ihre alltäglichen Verrichtungen nach. Doch fängt das Schiff Feuer, die Explosion des Pulvers zerstört fast die ganze schöne alte Stadt. Schmids Botschaft ist klar: Das mit Pulver beladene Schiff ist das Internet. Die Stadt Leiden, das sind die Print-Verlage.

Amerikanische Verhältnisse. In den USA hat es die eine oder andere Explosion schon gegeben. Die American Society of Newspaper Editors hat nach einer Befragung von 1.411 US-amerikanischen Tageszeitungen festgestellt, dass die Verlage im Jahr 2007 ganze 2.400 Stellen abgebaut haben. Den Zeitungen in den USA brechen rapide Auflagen und Anzeigen weg, 2007 erlebten sie den dramatischsten Umsatzeinbruch seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1950. Die Erlöse fielen insgesamt um über 9 Prozent auf 42,2 Milliarden US-Dollar. Gruselig? Es kommt noch schlimmer: In den ersten beiden Monaten 2008 verschärfte sich der Umsatzverfall. Von den wenigen US-Verlagen, die überhaupt noch monatlich ihre Zahlen veröffentlichen, hat Gannett (verlegt u. a. „USA Today“) mit einem Minus von 8,8 Prozent noch das beste Ergebnis hingelegt. Am schlechtesten lief es beim Zeitungsverlag McClatchy (u. a. „Miami Herald“, „Sacramento Bee“) mit einem Minus von 16,8 Prozent im Januar und im Februar! Die ehrwürdige New York Times Company hat im 1. Quartal 2008 einen Verlust von 335.000 Dollar erwirtschaftet, nach einem Gewinn von 23,9 Millionen Dollar im Vergleichsquartal des Vorjahres. Die Anzeigenumsätze der „New York Times“ sind um über 10 Prozent eingebrochen. Das stärkste Minus aller Zeiten.

„Welt“-Lage. Da geht es in deutschen Verlagsstuben noch vergleichsweise kuschelig zu. Selbst bei der lange defizitären „Welt“: Gerade erst hat Axel Springer Vorstandschef Mathias Döpfner freudestrahlend vor der Redaktion verkündet, dass die „Welt“-Gruppe erstmals in ihrer Geschichte schwarze Zahlen geschrieben hat. Zusammen mit der „Welt Kompakt“ hat die „Welt“ im 1. Quartal die Rekordauflage von über 278.000 Exemplaren erreicht. Das Plus von mehr als 4 Prozent dürfte zu großen Teilen aufs Konto des günstigen und jünger aufgemachten Tabloids „Welt Kompakt“ gehen, das seit 2005 nur noch gemeinsam mit der „Welt“ ausgewiesen wird. Und dass, obwohl die „Welt“-Gruppe am radikalsten unter den deutschen Zeitungshäusern nach dem Prinzip „Online First“ verfährt, das der britische „Guardian“ begründet hat. Alle Zeitungsartikel werden sofort nach Fertigstellung kostenlos online veröffentlicht. Das von Schmids Vorgänger bei der „WamS“, Christoph Keese, eingeführte Prinzip soll erhalten bleiben. „Online ist ein schnelles Medium, das jede Minute auf der Höhe des Geschehens sein muss. Der gedruckten Zeitung schadet das im Übrigen nicht. Ein neues Medium verzehrt nicht die alten, sondern zieht neue Leser an“, so Schmid. Gleichwohl sagt Schmid im Gespräch mit „medium magazin“: „Die gedruckte Tageszeitung befindet sich in einer Krise.“ Die Warnung sollte man ernst nehmen. swi

Erschienen in Ausgabe 5/2008 in der Rubrik „“ auf Seite 30 bis 63. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.