„Ein absoluter Kraftakt“

? Macht Ihnen das Projekt Peking 2008 angesichts der aktuellen politischen Diskussionen eigentlich noch Spaß?

Walter Johannsen: Spaß machen uns solche Projekte immer, weil ein Ereignis dieser Größenordnung nur alle vier Jahre auf uns wartet und uns aus der ansonsten selbst beim Fernsehen gelegentlich drögen Routine he- rausreißt. Wir haben ein Großraumbüro, in dem 12 bis 15 Leute in verschiedenen Untergruppen arbeiten. Natürlich verfolgen wir auch die aktuellen Diskussionen. Aber die Entscheidung, ob und was wir letztlich vor Ort unter welchen Bedingungen machen und was nicht, liegt schlussendlich bei unseren Intendanten. Und mal ehrlich: Die grauen Wolken, die da inzwischen am Horizont zu sehen sind, kommen doch nicht ganz unerwartet.

Was erzählen denn die Kollegen, die in diesen Wochen für Vorberichte im Land sind, über die Praxis dort?

WJ: Dass die Dreharbeiten schwierig sind, speziell wenn es um Themen wie Doping geht. Reinhold Beckmann war vor Kurzem zum ersten Mal in seinem Leben für ein paar Tage in Peking. Er sagt, dass die Chinesen mit relativem Unverständnis auf die aus dem Ausland kommende Kritik reagieren. Die fühlen sich offenbar regelrecht bevormundet.

Was kommt denn abseits der Politik auf Sie zu?

WJ: Ein absoluter Kraftakt. Die Chinesen haben eine eigene Sichtweise auf die Dinge. Das weicht sehr von dem ab, was wir bisher gewohnt waren.

Dieter Thießen: Nehmen wir allein die Zollabwicklung: Die dauert in China länger, als es sonst üblich ist. Das fängt schon damit an, dass wir unser Archivmaterial, das wir mitnehmen, um vor Ort auch in die aktuellen Stücke Hintergründe einbauen zu können, schon im Juni gesondert einführen müssen.

Damit sich die Chinesen das Material vorher ansehen können?

DT: Da können wir nur mutmaßen. Uns wurde lediglich gesagt, dass wir das Material schon Mitte Juni einführen sollen, wenn wir es rechtzeitig Anfang August im IBC haben wollen.

WJ: Keine Ahnung, ob sich da wirklich ein Chinese davor setzt, um sich etwa einen Tag von der Leichtathletik-WM in Osaka „reinzuziehen“. Das wäre aber auch im Schnelldurchgang vorstellbar. Und selbst wenn: Wir haben für die Zeit der Spiele Dauerleitungen von und nach Deutschland und können darüber jederzeit Archivmaterial überspielen.

Aber Sie werden doch nicht nur Sportaufzeichnungen mitnehmen, sondern auch politisches Material.

WJ: Das müssen wir nicht. Material zu Themen wie der Lage der Menschenrechte lagert bei unseren ständigen Korrespondenten in Peking. Alles, was in China politisch passiert ist, haben wir also sowieso schon im Land.

Wie viel Material nehmen Sie eigentlich mit?

WJ: Insgesamt werden wir etliche See-Container nach Peking schicken. Dazu kommen noch gut 35 Tonnen Luftfracht.

DT: Die Dokumentationsanforderungen der Chinesen sind enorm, so etwas haben wir noch nicht gehabt. Da muss jedes einzelne Teil eines Gerätes inklusive Seriennummer aufgelistet sein.

Und anders als bei vielen anderen Gastgebern der Olympischen Spiele werden wir von den Chinesen und anderen Behörden nicht einfach durchgewunken. Das geht sogar so weit, dass wir es bisher nicht geschafft haben, eine Sondergenehmigung zu bekommen, damit unsere Lastwagen auch zwischen 6 und 23 Uhr in die Innenstadt Pekings fahren dürfen. Unser Personal ist aber darauf ausgelegt, tagsüber zu arbeiten.

Da hilft auch das IOC nicht? Diese Probleme dürften doch alle Sender haben.

DT: Wir haben uns für die Firma Schenker als Logistiker entschieden, der auch offizieller Zulieferer der Spiele in Peking ist. Und Schenker hat schon einen guten Draht bis hin zu den Chefetagen in China. Trotzdem dauert alles länger als sonst, eine Entscheidung üblicherweise zwei bis drei Wochen. Dort werden Probleme eben nicht einfach mal mit einem Anruf gelöst.

Von den logistischen Problemen abgesehen – wie werden Sie redaktionell vor Ort arbeiten können?

WJ: Da geht es um die Frage, wie frei wir uns bewegen können, was für die Chinesen eigentlich „frei“ bedeutet und wie lange frei auch frei bleibt. Unabhängig von unseren insgesamt neun sogenannten EB-Teams, die für uns zusätzlich zu den ständigen Korrespondenten unterwegs sind, kann es ja auch sein, dass ein englischer, japanischer oder französischer Reporter sich etwas leistet, was auf chinesischer Seite auf Unverständnis trifft und damit allen dort anwesenden Journalisten die Arbeit erschwert. Das ist aber kaum vorhersehbar.

Wie bereiten Sie sich auf den Einsatz vor?

WJ: Wir haben zirka 50 Stringer, also einheimische Kräfte, angeheuert. Die EB-Teams, die in Deutschland aus drei Leuten, dem Journalisten, einem Kameramann und einem Tontechniker bestehen, werden zu fünft unterwegs sein. Dazu kommt ein Fahrer, der sich vor Ort auskennt, die Schilder lesen kann und den Wagen abseits der Drehorte parken muss, und ein Dolmetscher, der das Team vor Ort unterstützt, etwa mit den Ordnungskräften kommuniziert.

Und wie bereitet sich das Team inhaltlich vor?

WJ: Wir hatten erst Ende April hier in Hamburg eine ausgiebige Sitzung mit den Redakteuren, die die Sendungen verantworten werden. In Peking werden wir außerdem Team-Sitzungen durchführen, um die einzelnen Reporter und Storymacher einzuweisen.

Und das reicht?

WJ: Wer als Reporter für das Team nominiert ist, liest vielleicht nicht jede Meldung über China und die Olympischen Spiele, aber bereitet sich bis zu den Spielen ordentlich vor. Alles andere wäre eine persönliche Bankrotterklärung.

Wie stellen Sie denn sicher, dass Ihre Stringer nicht dem chinesischen Apparat zuarbeiten?

WJ: Wir haben mehrere hundert Anfragen gehabt und dann eine Auswahl in langen Interviews gecastet.

DT: Das sind überwiegend Studenten, von denen viele hier studiert haben. Deshalb haben wir ein gutes Gefühl, aber natürlich keine hundertprozentige Gewissheit.

Und im Zweifel schalten die Chinesen einfach Ihre Leitung ab, oder?

DT: Das kann ich mir kaum vorstellen. Unser Signal geht zeitgleich auch über einen Satelliten der European Broadcasting Union raus. Da müssten uns schon zwei Leitungen gekappt werden.

So etwas wäre also schon sehr offensichtlich. Wie eine Panne würde das jedenfalls nicht aussehen. n

Erschienen in Ausgabe 5/2008 in der Rubrik „“ auf Seite 20 bis 21 Autor/en: INTERVIEW: DANIEL BOUHS. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.